Dann sprich doch mal darüber. Wir hatten die Diskussion gerade erst bezüglich des Lübcke-Attentats. In weiten Kreisen ist es meiner Beobachtung nach üblich so zu tun, als seien bestimmte Formen der politischen Agitation pauschal so auszulegen, dass sie kausal zu tatsächlicher Gewalt beitragen, womit der Agitator gewissermaßen zum Mittäter an sämtlicher politischen Gewalt erklärt wird, die aus derselben ideologischen Ecke kommt.
Ich frage mich, inwiefern diese Auslegung gerechtfertigt ist, insbesondere auf welcher Grundlage sie erfolgt.
Disclaimer: Das bedeutet nicht, dass man eine Sprache, die gezielt feindselig gegen bestimmte Menschengruppen ist ("Deutschland den Deutschen!") gutheißen muss. Man darf und soll sie imo aufgrund dessen kritisieren, was sie ist: menschenfeindlich, diskriminierend, usw.
Aber vielleicht erweist man dieser Sache nur bedingt einen Gefallen, wenn man sämtliche Äußerungen dieser Art pauschal als verbale Gewalt einstuft oder suggeriert, dass sie zu körperlicher Gewalt anstiften.
Ich bin der Ansicht, dass man sich rassistisch oder menschenverachtend äußern kann, ohne dabei zur Gewalt aufzurufen, Gewalt zu legitimieren oder bereits "verbale" bzw. "implizite" Gewalt zu verüben.
Daher halte ich es für intellektuell unredlich jemandem sowas zu unterstellen, nur um seine Ideologie zu diffamieren.
Ich plädiere dafür für eine enge Auslegung des Begriffs Gewalt und würde sprachlichen Äußerungen im Allgemeinen nur mit größter Vorsicht dem Vorwurf der Gewalt aussetzen.
Zum Vergleich mal die WHO-Definition von Gewalt:
Gewalt ist der tatsächliche oder angedrohte absichtliche Gebrauch von physischer oder psychologischer Kraft oder Macht, die gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft gerichtet ist und die tatsächlich oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gewalt
Ich denke, ich lehne mich nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn ich feststelle, dass viele Äußerungen, die in unserem gegenwärtigen Diskurs als "verbale Gewalt" bezeichnet werden, diese Definition nicht erfüllen.
Die Frage ist also: Welche Definition wendet man stattdessen an und ist diese dann noch eng genug, so dass der Begriff der Gewalt nicht bedeutungslos wird? Ein Gewaltbegriff, aus dem folgt, dass quasi jeder Mensch regelmäßig ohne es zu wollen oder überhaupt zu bemerken sich gegenüber anderen gewalttätig verhält, ist für mich einigermaßen bedeutungslos.