Gecko:
Ich habe das Fass mit den 1-EUR-Jobs nicht aufgemacht und will sie auch nicht verteidigen. Der Punkt ist, dass es zweifellos sinnvolle Maßnahmen zur Verbesserung der Chancen von Arbeitslosen gibt. Meine Reaktion war v.a. auch: Steuertarif so anpassen, dass man genau diese Gestaltungen wie bspw. 450 EUR Jobs und Gleitzone usw. nicht mehr benötigt.
Es steht mE außer Frage, dass es keine grundsätzlich tolle Idee ist Leute aus dem Erwerbsleben zu drängen weil eigentlich jeder irgendetwas Sinnvolles leisten könnte … zumindest prinzipiell.
Das reelle Problem ist aber, dass es eben a) auch genügend Menschen gibt die keine Lust auf Arbeiten haben und/oder unfähig sind aus Fehlern zu lernen und Verantwortung zu übernehmen, und b) viele Menschen leider von ihren arbeitsrelevanten Fähigkeiten her einfach zu ersetzen sind, weil sie eben weder Elan und Engagement noch sonst irgendetwas relevantes zu bieten haben und schlimmstenfalls eventuell auch noch ungeschickt sind.
In einer reinen Marktwirtschaft gehen solche Menschen komplett unter, weil sie in einer reinen Marktlogik wertlos sind. In einer sozialen Marktwirtschaft ist es die Aufgabe der Gesellschaft auch diesen Menschen eine Perspektive zu bieten. Keine einfache Aufgabe, aber eine die gelöst oder zumindest angegangen werden muss.
Die Kritik durch die wir auf 1-EUR Jobs kamen war, dass ich fand, dass Geld mit der Gießkanne raushauen totaler Mist ist. Und ich finde nach wie vor, dass auch den Menschen die besonders arm dran sind nicht durch sinnloses raushauen von Scheinchen geholfen wird, sondern nur durch kurz- bis langfristig durchdachte Maßnahmen.
Kuint:
Was willst Du denn sonst machen als versuchen jemanden weiterzubilden und weiterzuqualifizieren? Was für ein Menschenbild und Realitätsverständnis ist das denn zu sagen, dass erstens Menschen nichts Sinnvolles mehr hinzulernen können und zweitens es unmöglich/unzumutbar ist auch mit 50+ etwas neues zu finden? Den (impliziten) Anspruch zu haben, dass man ein Recht auf Kündigungsschutz oder Durchfüttern bis ins die Rente hat wenn man die 55 erreicht hat, und das auch noch ohne den Risiken ausgesetzt zu sein denen alle anderen ausgesetzt sind … macht mich schon etwas ratlos. Was ist denn eine bessere Definition von "allgemeines Lebensrisiko" als die Tatsache, dass man halt nicht damit rechnen kann, dass man sich nach dem Ende der Ausbildung nie weiterbilden muss und es mit den Gehältern eben nicht immer nur weiter nach oben geht?
Es gibt mE kein moralisches Recht auf Andersbehandlung durch Alter über die Regelungen hinaus die ohnehin schon bestehen wie z.B. die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen, längeres ALG usw. Diese Maßnahmen sind doch schon dazu gedacht die Effekte der Alterung auszugleichen. Wenn ich damit leben muss, dass ich mal Pech habe, warum meinst Du, dass es unzumutbar ist wenn ältere Menschen auch diesem Risiko ausgesetzt sind?
Als Nachgang zu dem was ich da schon schrieb: Wenn man so denkt, dann setzt man genau den falschen Menschen Anreize dazu sich möglichst dumm und unfähig zu stellen, auf dass sie stets versucht werden sich auf Kosten der Allgemeinheit vom Arbeitsmarkt zurückzuziehen. Das ist gegenüber beiden Gruppen unfair.
Und die Forderung nach einem BGE/UBI ist mE einfach nur bescheuert. Damit etabliert man erst recht den Gedanken, dass es das Recht des Einzelnen ist zu bestimmen, ob er etwas zur Gesellschaft beitragen will oder nicht, während er gleichzeitig das volle Anrecht darauf hat von der Gesellschaft ausgehalten zu werden. Das ist institutionalisierte Verantwortungslosigkeit die jedem garantiert seinem Orchideenhobby auf Kosten der Allgemeinheit nachzugehen. Ich sehe nicht wie es Grundlage eines Gesellschaftsvertrags sein kann wenn man sagt "die ökonomisch Produktiven müssen
bedingungslos die ökonomisch Unproduktiven durchfüttern und haben
kein Recht diese zumindest zu einer Beteiligung an
irgendetwas zu bewegen."
BaHaMaMaMa:
Jo, das ist auch ein Punkt der mich maßlos nervt. Kaum etwas ist nerviger als jemanden als Härtefall vorgehalten zu bekommen der sich einfach null um Rente oder Altersabsicherung generell gekümmert hat, die Kohle rausgefeuert hat als ob es kein morgen gäbe und dann über die Ungerechtigkeit der Welt heult, wenn er merkt, dass das eigene Konsum- und Sparverhalten Konsequenzen hat. Noch schlimmer sind dann nur noch diejenigen die dann auf den Kapitalismus schimpfen oder gleich die komplette Verantwortungslosigkeit predigen indem sie alles vom Staat regeln lassen wollen.
Heator:
Wie willst Du bestimmen wer einen härteren Job hatte und festlegen wer wie früher in Rente gehen darf? Das ist die Büchse der Pandora weil das eine neue Art von Oppression Olympics etabliert wo jeder seinen Beruf bzw. seine Tätigkeit zum Knochenjob definiert um bloß schneller verrentet zu werden.
Horst:
Was ist die Alternative zu Weiterbildung und Umqualifizierung? Es ist doch genauso verkehrt einfach mit den Schultern zu zucken und nichts zu tun. Die Problematik, dass sich Wissen schneller überholt wird mittelfristig eher nicht kleiner werden, und die Lebensdauern auch nicht. Das ist ein Problem für das es eine Lösung braucht. Zum einen dafür, dass man länger arbeiten kann, dann natürlich so, dass man es auch irgendwie leisten kann, und dafür, dass man auch für veränderte Tätigkeiten die nötigen Fähigkeiten erwerben kann.
Gustavo:
Was meinst Du mit progressiver Lohnersatzquote? Die Äquivalenz aller erworbenen Rentenpunkte oder den flachen Verlauf der Ziel-Lohnersatzquote der Eckrente oder die Deckelung der Rentenbeiträge bei 2x Durchschnitt? Ich raffs grad nicht.
parats:
Produktivität spielt schon aus Gründen keine wirkliche Rolle bei der Rentenberechnung und -diskussion. Durch das aktuelle System werden Produktivitätsgewinne automatisch weitergegeben indem der Rentenwert steigt. Gleichzeitig wäre ein Wegdiskutieren der Tragfähigkeitsprobleme des Rentensystems bei konstantem Eintrittsalter mit Verweis auf die Produktivität mit schwerwiegenden Folgen verbunden. Klar kann man sagen, dass man die Produktivitätszuwächse dazu nutzt das stetig schlechter werdende Verhältnis von Beitragszahler zu Bezieher auszugleichen. Das bedeutet aber auch, dass dann die Wohlfahrtsgewinne durch diese Produktivitätszuwächse genau dahin gehen und nicht in die erhöhte Wohlfahrt zum Beispiel der arbeitenden Bevölkerung. Daraus folgt, dass man entweder den Lebensstandard der Erwerbstätigen auf Kosten der Rentner senkt, oder, dass die Produktivitätssteigerung so groß ausfallen muss, dass beides möglich ist, also auch der Lebensstandard steigt. Anders gesagt: Man muss sich schon extrem strecken, oder man fällt im Lebensstandard merklich hinter die Länder zurück deren Demographie in Ordnung ist, denn es wäre vermessen zu behaupten, dass man es schafft ein Vielfaches der sonst "normalen" Produktivitätsgewinne zu produzieren. Gerade auch weil es ein häufig gehörtes Argument ist, dass man die mangelnde junge Arbeitskraft ja durch attraktive Arbeitsbedingungen importieren kann. Wenn man sich auf den Ausgleich über die Produktivität verlässt, vergrault man sich die Arbeitskräfte, denn die haben dann eher einen Anreiz dahin zu gehen wo die Produktvitätszuwächse anders verteilt werden.
Zsfg.: Die Last auf immer weniger Schultern verteilen funktioniert nicht solange es Bewegungsfreiheit gibt.
Der Verweis darauf, dass es in 20 Jahren besser wird wenn die Babyboomer alle tot sind ist kein Trost, denn dann haben wir alle trotzdem den Großteil unseres Lebens damit verbracht uns den Rücken krumm zu machen für die Rentnergeneration die die Konsequenzen ihrer Handlungen nie wirklich spüren musste und müssen dann nochmal 10 Jahre später damit leben, dass wir im Gegensatz zu erwähnter Generation nochmal 5+ Jahre länger arbeiten dürfen. Unser Erwerbsleben war dann gezeichnet von hohen Abzügen, dafür bekommen wir von weniger dann mehr Prozent, durften anderen bei 20+ Jahre Rentengenuss zuschauen und bekommen selbst vielleicht 10-15 Jahre. Tolle Wurst.