Du unteschlägst halt dass die Kapitualationsdebatte unter folgenden Prämissen läuft.
1. Die Ukraine kann den Krieg nicht gewinnen
2. Russland wird die Ukraine nicht dauerhaft besetzen
3. Russland wird nicht in andere Ostblockstaaten "einmarschieren"
Da kann man jetzt lang und breit drüber diskutieren und zu recht verschiedener Meinung sein und/oder zu anderen Ergebnissen kommen
Aber mMn ist unter der Voraussetzung dass diese drei Prämissen zutreffen, die Kapitulation die Lösung mit den wenigstens Verlusten.
Naja, als regelmäßiger Hörer des Lanz-Precht-Podcasts finde ich, dass du Prechts Position hier schon etwas euphemisiert wiedergibst. Precht hat mehrfach behauptet, dass alle Experten der Meinung seien, die Ukraine werde den Krieg am Ende unweigerlich verlieren. Das mag vor und innerhalb der ersten Tage nach der Invasion auch mal so gewesen sein, obwohl selbst da auch Spotlight-Bias eine Rolle gespielt haben mag. Aber spätestens seit ein oder zwei Wochen kann imo keine Rede mehr davon sein, dass das so klar ist, wie Precht behauptet.
Die Ukraine hat imo nach überwiegender Aufassung zumindest vieler Militärexperten mindestens eine realistische Chance ihre aktuelle Stellung im Wesentlichen zu halten.
Und nun würde mich mal interessieren, wie die Argumentation dafür geht, dass eine sofortige Kapitulation der Ukraine ihr in irgendeiner Form eine bessere Verhandlungsposition gegenüber Putin verschaffen soll als wenn sie durch verbissenen Widerstand weitere Vormärsche Russlands verunmöglicht?
Die zweite Behauptung empfinde ich auch als etwas irreführend. Natürlich würde Russland nicht die gesamte Ukraine besetzen können, aber eine Kapitulation würde einerseits bedeuten, dass man die ukrainische Armee entwaffnen oder direkt aus dem Land jagen könnte und alle strategisch wichtigen Punkte des Landes kontrollieren könnte - den industrialisierten Osten, Kiew, alle bedeutenden Häfen der Schwarzmeerküste.
Ich sehe es nicht als erwiesen, dass der Ukraine im Falle eines russischen Sieges groß was anderes blühen würde als den Separatistengebieten und das ist afaik ziemlich nahe am Kadyrow-Regime, das Precht in grenzenloser Naivität für ausgeschlossen hält.
Es bleibt halt bei der letztlich trivialen Erkenntnis: Wer aufgibt, hat keine Verhandlungsmasse mehr. Insbesondere gegenüber jemandem wie Putin, der nur Stärke respektiert und sich einen Dreck und politische Rücksichten und Gepflogenheiten schert, wäre das imo eine absolut fatale Ausgangsposition, um irgendeine erträgliche Einigung zu erzielen.
Was den Einmarsch in weitere Gebiete angeht, so gilt das vielleicht für NATO-Staaten, aber sicherlich nicht für bspw. Moldau oder Georgien.
Ein weiterer blinder Fleck in der Argumentation sind imo die langfristigen Auswirkungen, wenn man hier ein Exempel zulässt, dass sich Angriffskriege lohnen, weil niemand bereit ist einem militärischen fait accompli etwas entgegenzusetzen. Der Westen wäre gezwungen entweder auf Wunsch der Ukraine seine Sanktionen zu lockern und Putin damit auch diesen Sieg noch zu gönnen oder er könnte die Sanktionen aufrechterhalten, was Putin wiederum dazu verleiten könnte, die Ukraine dafür abzustrafen, wenn er sie als Faustpfand behandelt.