Bei Claas Relotius ist das ganz anders. Wenn der Redakteur des „Spiegels“ schreibt, ist immer alles schwarz und weiß. Gut und Böse lassen sich bei ihm genau trennen. Seine Geschichten, die er zuerst für alle möglichen Zeitungen und Magazine schreibt (darunter drei für die F.A.S.), haben eine klare Botschaft, sie haben ein Ende und geben dem Leser ein gutes Gefühl. Er erzählt Märchen. Claas Relotius ist Fälscher.
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Diese Geschichte bricht Claas Relotius das Genick. Erst diese und nur diese. Alle anderen rund sechzig Storys, die er vor allem für das Gesellschaftsressort des „Spiegels“ zuvor abgeliefert hatte, waren nicht nur glatt durchgegangen, sie waren bewundert worden. Ihr Autor errang einen Sonderstatus und wurde mit Journalistenpreisen überhäuft. Relotius erschien als Heiland, als Retter eines Magazins, ja sogar der ganzen Branche. Die Laudationes, die auf ihn gehalten wurden, lesen sich wie Seligsprechungen.
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Denn der zog sich, wie einst Münchhausen, am eigenen Schopf aus dem Sumpf. Vorneweg mit einem Artikel, in dem der damals als neuer Chefredakteur designierte Ullrich Fichtner mit einem Furor die Geschichte des Claas Relotius erzählte, welcher der blumigen Tonalität von dessen Märchen in nichts nachstand. Das freilich kam nicht von ungefähr. Relotius war Fichtners Protegé, mehr noch der des Ressortleiters Geyer. Alle drei waren in dem Augenblick, in dem Moreno mit seiner Recherche kam, im Begriff aufzusteigen – Fichtner zum Chefredakteur, Geyer zum Blattchef, Relotius zum Ressortleiter. „Jaegers Grenze“ wäre seine letzte große Geschichte als Reporter gewesen. Sie wurde es, allerdings anders als gedacht.
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Nach der Lektüre von Morenos Buch ist es schwer vorstellbar, dass es mit den Karrieren von Geyer und Fichtner beim „Spiegel“ zunächst weitergehen und nicht enden sollte wie bei dem Dokumentar, der die meisten Relotius-Texte geprüft und für echt befunden hatte. Der Mitarbeiter hat die stolze Abteilung, deren Motto lautet: „Wir glauben erst mal nichts“, inzwischen verlassen. Ressortchef Geyer und der „Spiegel“ haben sich kürzlich getrennt, Fichtner ist Reporter mit besonderen Aufgaben.