Es war nicht der erste Versuch. Die Eskalation in der Rigaer Straße hat eine Vorgeschichte. Sie nahm ihren Anfang im Januar mit einem verprügelten Polizisten, der am „Dorfplatz“ ein Knöllchen ausstellte. Er sei dabei von drei Männern angepöbelt, zu Boden geworfen und getreten worden, vermeldete die Polizei, anschließend seien die Täter in die Rigaer Straße 94 geflohen. Dabei war keiner. Nur der Inhaber der Bäckerei direkt gegenüber hat etwas gesehen. „Geschubst“ hätten sie den Beamten, sagte der Türke der „Berliner Zeitung“.
Geschubst oder verprügelt, der Vorfall rief eine Armee auf den Plan. Am selben Abend schwebte ein Polizeihubschrauber über der Rigaer Straße, ein Sondereinsatzkommando und 500 Bereitschaftspolizisten rückten an, dabei ging sogar die Polizei selbst nicht davon aus, die Täter überhaupt anzutreffen. Da sie keinen richterlichen Durchsuchungsbefehl hatte, nahm sie eine sogenannte Hausbegehung nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz vor, das in Berlin gilt – dabei darf man zwar zur Gefahrenabwehr Dachböden und Flure durchsuchen, aber keine Wohnungen. Diese schützt das Grundgesetz in besonderer Weise. Der Rechtsstaat sieht nicht vor, alle Wohnungen eines Hauses zu durchsuchen, nur weil ein mutmaßlicher Täter Stunden zuvor durch dessen Eingangstür gegangen ist.
Die Rigaer Straße 94 ist kein gewöhnliches Mietshaus mit nebeneinanderher lebenden Parteien. Das ganze Haus wird gemeinschaftlich bewohnt, die Treppenhäuser sind davon ebenso Teil wie die Kneipe im Erdgeschoss, der Garten oder die Treppenhäuser, wo die Toiletten liegen. Die Küchen sind Gemeinschaftsküchen. Wer hier wohnt, lebt ein Projekt mit anderen, genau darum geht es ja. Solche Häuser geben Menschen Schutz, die woanders nicht so leben können, um die Ecke etwa gibt es ein queerfeministisches Haus. Man kann sich vorstellen, dass eine „Begehung“ durch 200 Beamte durchaus als Eindringen in den eigenen Lebensbereich empfunden wird – und als die Machtdemonstration, die sie war. In einer Pressemitteilung dazu kündigte Frank Henkel an, diesen „neue(n) Eskalationsversuch der linksextremen Szene“ nicht „unbeantwortet zu lassen“ – gemeint war der Schubser. „Wir werden klarstellen, dass man einen Polizisten nicht angreift“, fügte sein Pressesprecher hinzu. Es ging also gar nicht um Ermittlungen, sondern darum zu zeigen, wer stärker ist, nicht um tatsächliche Gefahrenabwehr, sondern um Vergeltung. So funktioniert ein Western, aber doch kein Rechtsstaat. Wenn die Rigaer 94 das Terrorhaus ist, für das er es ausgibt, warum besorgt sich Frank Henkel dann keinen richterlichen Durchsuchungsbefehl?