Wenn wir Augen im Kopf haben können wir das nicht, nein. Keine Ahnung wo du auf dem Video die Zeit für einen Warnschuss siehst, ich seh es nicht.
Selbst wenn du den Warnschuss nicht siehst, was ist mit einem Taser? Und deine Erklärung "oh, sie könnte ja dann Muskelzuckungen haben" erscheint mir jetzt vergleichsweise wenig einleuchtend; klar könnte sie das, aber ob es jetzt wahrscheinlicher ist dass das zu einer ernsthaften Verletzung beim Opfer führt als dass der Polizist mit einer scharfen Waffe schießt erscheint mir erst mal mehr als unklar. Ganz zu schweigen davon, dass dein Standpunkt bzgl. der vier (!) Schüsse für wenig Sinn ergibt. Wenn in den von dir geposteten Artikeln regelmäßig Polizisten auf erwachsene Männer nur zweimal schießen müssen, erschließt es sich mir überhaupt nicht, dass man hier direkt vier Mal schießen muss. Es ist doch völlig illusorisch zu glauben, dass der Polizist zwischen den Schüssen irgendeine Gefahrenabwägung vornehmen kann, weil sie innerhalb von Milisekunden fallen, also muss die Entscheidung bzgl. der Zahl der Schüsse ein Affekt sein, der mutmaßlich in der Ausbildung behandelt wird. Einfach so zu tun als wäre es das Optimum, hier überhaupt keine Risikoabwägung bzgl. des Lebens des Täters machen zu müssen ist für mich schlechte Policy. Dazu gibt es sicherlich Studien; ich kenne sie nur nicht aber meine Vermutung (!) ist, dass das keineswegs ist wie sich Polizisten verhalten müssen oder sollen.
Warum soll das eine Rolle spielen? Hat das Opfer etwa weniger Recht auf körperliche Unversehrheit, wenn die Täterin psychisch krank ist? Das ist in DIESER Situation einfach mal völlig unerheblich. Nichts von dem was du genannt hast spielt in dem Moment eine Rolle, wo sie mit einem Messer in der Hand in direkter Stichnähe zu einer anderne Person steht. In dem Augenblick ist sie nichts anderes als eine Todesgefahr, die elimiert werden muss. Das ist keine Gerichtsverhandlung, wo es auf Schuldfähigkeit oder irgendwelche Gründe ankommt.
Wenn du selbst erkennst, dass das keine Gerichtsverhandlung ist, dann würde ich mir an deiner Stelle mal überlegen, ob es Sinn ergibt, als alleinigen Maßstab anzulegen, was rechtlich noch im Rahmen ist. Worauf ich versuche dich, mehr und mehr offen, hinzuweisen, ist die Tatsache, dass "policing" in den USA aufgrund der dortigen Situation etwas ist, was sich nicht einfach auf rechtliche Fragen reduzieren lässt, sondern eben auch eine soziologische Komponente hat. Selbst wenn die Rassenfrage in diesem konkreten Fall überhaupt keine Rolle gespielt hat (und ich weiß das nicht, es würde mich auch nicht wundern wenn es so wäre) sollte man sich zweimal überlegen, ob es wirklich zielführend ist, dass die Polizei Null Wert auf das Leben des Täters legen sollte, egal wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich jetzt eine schwere Verletzung des Opfers ist. In meinen Augen tut man sich damit keinen Gefallen, das als Credo auszurufen, weil Schwarze, selbst wenn sowohl Täter als auch Opfer schwarz sind, schwer umhin kommen zu glauben dass die Polizei es überhaupt erst als Zielvorgabe ausibt, nicht mal ein Minimum an Wert auf das Leben des potenziellen Täters zu legen, weil Täter gemeinhin als Schwarze gesehen werden.
Naja du kannst auch in das jeweilige Landesrecht schauen. Überall steht, dass der tödliche Schusswaffengebrauch als Mittel zur Rettung von Leib und Leben von Dritten zulässig ist. Ich weiß auch nicht, wie du denken kannst, dass es anders wäre.
Was ist daran so schwer zu verstehen, dass "was zulässig ist" nicht der alleinige Maßstab für polizeiliches Handeln sein sollte? Heißer Tipp: In den USA ist so ziemlich alles zulässig, was die Polizei macht. Trotzdem ist es keine gute Idee, als Policy auszugeben, dass der einzelne Polizist innerhalb dieses Rahmens einfach tun soll was er will. Ich habe gerade heute eine Präsentation eines Papers gesehen, wo eine Forschergruppe sehr detailliert mit Daten auf der Mikroebene aufgeschlüsselt haben, dass weiße Polizisten in Chicago schwarze Passanten viel häufiger anlasslos kontrollieren, viel häufiger festnehmen und viel häufiger Gewalt anwenden als Polizisten anderer Ethnien. Das ist alles zulässig, aber es führt halt dazu dass sich der Antagonismus zwischen der schwarzen Bevölkerung und der Polizei weiter verschärft. Damit ist nicht nur niemandem geholfen, es ist sogar für beide kontraproduktiv.
Wir haben hier einen Fall, in dem die Gefahr nicht anders abwehrbar gewesen ist, zumindest nicht mit hinreichender Sicherheit. Die Gefahr bestand in einer akuten Bedrohung des Lebens einer anderen Person. Das ist alles was zählt. Deine hypothetischen Kausalverläufe sind dabei total unerheblich, der Polizist muss nicht ausprobieren, ob nicht vielleicht der Wurf der Dienstwaffe die Täterin entwaffnet oder ob nicht vielleicht ein Vogel ihr das Messer plötzlich aus der Hand reisst. Das kann er machen, wenn er nicht befürchten muss, dass das Opfer in der nächsten Sekunde tot ist. Aber hier steht die Täterin mit gezücktem Messer direkt vor dem Opfer.
Dazu ist in der Situation schlicht keine Zeit. Genau so wenig für einen Warnschuss. Er hat sogar vorher noch mehfach gerufen, dabei aber richtigerweise nicht das Ziel aus der Mündungsrichtung gelassen, um reagieren zu können. Die Milisekunden die es dauert um die Waffe in den Himmel zu richten und DANN wieder zuverlässig auf die Täterin in der Hoffnung, dass sie in der Zwischenzeit nicht schon zugestochen hat, obwohl sie eindeutig irre ist und IN ANWESENHEIT DES POLIZISTEN ihren Angriff schon fortsetzt.
Als ob du beurteilen kannst, ob "tasern" oder "ein Schuss" statt vier keine hinreichende Sicherheit bietet. Das ist eine empirische Frage und da kaufe ich dir keine Sekunde ab, dass "ich habe mal ein paar Monate bei der Polizei rumgesessen" dich zu einem Experten macht. Wie gesagt: Bei dir verwäscht sich das alles für meinen Geschmack immer sehr schnell mit Wunschdenken. Aber: Ich würde es nicht ausschließen, dass das best practices auch hier sind und ob es legal ist oder nicht ist noch mal eine ganz andere Frage. Nur würde ich da gerne hören, was man bei der deutschen Polizei über sowas denkt, weil ich dir da einfach keinerlei Objektivität zutraue.
Hier btw nochmal ein Video aus einer anderen Perspektive:
https://abc6onyourside.com/news/loc...umbus-police-shooting-makhia-bryant-4-22-2021
Ich wäre auch ungerne in der Situation des Cops, ist schon klar. Aber zu behaupten derjenige verdient eine Medaille und hätte hier die perfekte Polizeiarbeit gemacht finde ich doch etwas weit hergeholt.