Jetzt habe ich zwei typische Schulbücher gelesen, "Der Vorleser" von Bernhard Schlink und "Der Untertan" von Heinrich Mann.
Von Thomas Bernhard habe ich "Alte Meister" gelesen, ein wirklich sehr empfehlenswerter Roman und seitdem setze ich Bernhard auch auf meine Liste der Lieblingsautoren.
Für einen Roman weist "Alte Meister" eigentlich kaum Handlung auf, es ist vielmehr eine lange Reflexion über das verhasste Österreich und die Unfähigkeit der Kunst das Menschliche zu ersetzen, wie der Protagonist Reger, ein Musikphilosoph, der die Kunst stets über allem stellte, nach dem Tod seiner Frau feststellen muss. Seitdem ergeht er sich in Hasstiraden über Österreich, einfältige Museumsbesucher, den Schriftsteller Adalbert Stifter und den Philosophen Heidegger, die die ganze Kulturlandschaft "verkitscht" hätten. Insbesondere die Passagen über Heidegger gehören zu dem lustigsten, was ich seit langer Zeit gelesen habe.
Stilistisch arbeitet Bernhard gerne mit der Wiederholung von Sätzen, Wörtern und Motiven, das kann für manche Leser sicherlich für Frust sorgen, wenn man sich aber einlässt wird man förmlich in einen fast traumartigen Sog gezogen. Am besten nebenbei die frühen Werke von Steve Reich und Philip Glass laufen lassen um das repetitive Empfinden noch zu verstärken.
Von Nicholas Wade habe ich anschließend "Das Genomprojekt" gelesen, ein populärwissenschaftliches Buch über die neue Genforschung, welche momentan hitzig diskutiert wird hinsichtlich der Folgen die die Erforschung unserer Gene auf unser Weltbild haben und vor allem ethische Konsequenzen (Forschung an Stammzellen ethisch vertretbar? Aufhalten des Alterungsprozesses oder gezielte Optimierung von Genen im Sinne "unserer Natur"?).
Von Reclam habe ich danach eine Zusammenstellung von Texten über das Kulturphänomen "Kitsch" gelesen.
Der Band gibt zuerst einige Primärbeispiele (etwa "Der Tod von Winnetou") von besonders kitschigen Beispielen innerhalb der Literatur, fährt dann fort mit den Vorläufern der Kitschdiskussion angefangen bei der Aufklärung bei Lichtenberg zu Schiller, der die Lyrik von August Bürger ("Münchshausen") als Verrat an der Kunst betrachtet und ihn einen Dilletanten schimpft, der sich zwecks des Strebens nach Popularität auf das Niveau des Pöbels begäbe, wo doch der wahre, große Dichter sowohl nach dem Interesse der "edlen Klasse" und der "untersten, der für die Kunst nicht sensibilisierten Klasse" hinziele.
Anschließend fährt der Band fort mit mehreren verschiedenartigen Kommentaren, etwa von Hermann Broch, für den, auch wenn er zugibt, dass keine Form der Kunst, vor allem die Oper, nicht ohne einzelne "kitschige, effekterheischende" Elemente bestehen könne, der Kitsch sich zur Kunst wie der Antichrist zur Religion verhielte und von daher zu verteufeln sei.
Karl Kraus hingegen sieht in der, vor allem seit der Industrialisierung aufkeimenden, Branche der Kitschkultur eine Reaktion auf die Heuchelei der Hochkultur. Endlich müsse man nicht einfach nur Interesse bei einem Werke vorgeben, sondern könne sich auch rein zum Vergnügen einem Buch widmen, rein zur oberflächlichen Unterhaltung.
In der Postmoderne wiederum ist Kitsch selber längst in der Hochkultur angekommen, wie Susan Sontag meint. Die Hochkultur bediene sich heute aller verschiedenen Themengebiete, antike Mythen werden wild mit Werbebotschaften verbindet, die Grenze zwischen "Hochkultur" und "niederer Kultur" sei längst nicht mehr existent. So lassen sich auch namhafte Künstler mehr als offensichtlich von "Kitsch" inspirieren.
Die Zusammenstellung der Texte ist insgesamt vielseitig und wen das Thema interessiert, dem sei der Band empfohlen.
Außerdem von Reclam habe ich einen Band über "Evolution und Ethik" gelesen. Seit Darwin, aber besonders seit Mitte der 70er durch Dawkins ("The Selfish Gene") und E.O.Wilson ("Sociobiology") versucht nun die Naturwissenschaft nun auch aktiv in das Geschehen von Geisteswissenschaften vorzudringen, so lautet beispielsweise der Ansatz von Wilson das menschliche Verhalten mit Hilfe der Evolution erklären zu können und so eine Ethik zu schaffen, die jedweder religiösen und rein geisteswissenschaftlichen Ethik überlegen sei. Ferner versucht er gar die Soziobiologie als Leitwissenschaft zu etablieren, nach dem Motto "Nur wer die Gene versteht, versteht den Menschen".
Der Band bietet einige Essays von Befürwortern und Gegnern zu diesem Thema, dabei gehen jedoch nicht alle so weit wie Wilson. Für alle Teilnehmer steht fest, dass die Evolutionsbiologie wichtige Beiträge liefert, jedoch sei dies noch kein Grund zum vorschnellem Jubel. Ein wichtiger Einwand wäre beispielsweise, dass die Biologie noch lange an dem Problem zu knabbern hätte, wie man die Entstehung enorm komplizierter Kulturprozesse erklären könne, ein anderer besagt zum Beispiel, dass Naturwissenschaften immer nur Ergebnisse lieferten, die zugleich einer Deutung bedürften, also die Naturwissenschaften niemals in der Lage wären etwa eine "Metaethik" zu postulieren, die die Ergebnisse der Biologie an die kulturellen Begebenheiten anpassen.
Ich finde das Thema Evolution, Gene usw. sehr interessant und werde mich in Zukunft stärker damit auseinandersetzen. Der Band gibt insgesamt auch einen guten Einblick in aktuelle, insbesondere praktisch orientierte Fragestellungen der Philosophie.
Zuletzt noch einen Band ("Zwischen Autor und Text" von Umberto Eco), der das Problem der Interpretation von literarischen Werken anhand von Essays von verschiedenen Positionen behandelt, wie weit darf man, oder muss man, bei der Interpretation vordringen?
Eco beispielsweise vertritt hier die Meinung, dass die derzeitige Forschung zu sehr auf Extremen aus sei, insbesondere die Schule der Dekonstruktion fasst er hier ins Auge. Während er etwa noch in den 70ern kritisiert hätte, dass "zu wenig" interpretiert wurde, so hätte sich es heute in die Richtung des anderen Extrems verändert. Vor allem im akademischem Bereich würden nur noch extreme Interpretationen beachtet werden, die jedoch selten den Kern des Textes träfen. In einer Kurzgeschichte von Jorge Luis Borges etwa fiele der Gedanke, man solle das Alte Testament wie einen Text von Celine lesen. Tatsächlich entdeckte Eco einige Parallelen, doch letztlich muss diese Art der Interpretation am Text selber scheitern. Der Text bietet laut Eco einen verlässlichen Parameter, auf den es immer wieder zurückzugreifen gilt.
Der Pragmatist Richard Rorty sieht die Sache anders. Rorty stimmt Paul Valery zu, wenn er sagt: "Il n'y a pas de vrai sens d'un texte." Folglich solle man nach Rorty die Grenze zwischen "Gebrauch" und "Interpretation" einfach fallen lassen, Rorty richtet sich damit vor allem gegen die methodische Interpretation (psychoanalytisch, leseorientiert, feministisch...), der er, wieder mit den Worten Valery's Mangel an "Lust an Poesie" diagnostiziert. Eine "Ethik des Lesens" wie es besonders die neue Schule der Dekonstruktion gerne fordert, gäbe es schlicht nicht. Rorty plädiert für eine unmethodische, inspirierte Art der Interpretation, die vor allem subjektiv gefärbt ist.
Der Vertreter der modernen dekonstruktionistischen Schule, Johnathan Cullers wiederum lobpreist extreme Interpretationen. Sie würden doch gerade das Spannungsfeld illustrieren, in dem der Text sich befände und dadurch erst neue Fragen aufwerfen. Wenn Eco meinte, man solle frei interpretieren, aber ab einem bestimmten Punkt Halt machen, weil das dann Überinterpretation sei, läge er so nach Cullers falsch. Schließlich verweist Cullers darauf, dass Eco selbst in seiner Karriere mehrmals auf extreme Interpretationen erfolgreich zurückgegriffen hätte. Auch Rorty verurteilt er, man könne die wissenschaftliche Arbeit nicht so sehr simplifizieren, dass man einfach alle gängigen Kriterien über Bord wirft, aufhört nach literarischen Kodes zu suchen und sich allein an "Pfirsichen, Sauriern und Metaphern" zu ergötzen. Die Literatur nach der pragmatistischen Schule allein zur "Selbsterkenntnis" zu benutzen vernachlässigte doch die andere Seite, nämlich den Erwerb von Literatur und seiner Wirkung im Allgemeinen, gänzlich.
Die Pragmatistenschule verhielt sich nach Cullers zunehmend heuchlerisch, wenn etwa Rorty's Kollege Stanley Fish seine Karriere begründet indem er über "das Wesen von literarischer Bedeutung und die Funktion des Lesens" theoretisierte und alle seine Vorgänger kritisiert, dass sie im Unrecht seien und dann auf einmal, sobald er berühmt war, einfach den Spieß umzudrehen und zu sagen: "Im Grunde kann man nicht sagen, dass du oder ich recht hast, schließlich gibt es so etwas wie eine Natur des Lesens oder der Literatur nicht."
Etwas aus dem Rahmen wiederum fällt der Essay von Christine Brooke-Rose, einer Literaturprofessorin und Autorin, die über die Gattung der modernen, historisch orientierten, "Palimpsestliteratur" schreibt, vorangetrieben vor allem durch Thomas Pynchon und Umberto Eco. In ihr sieht Rose den Fortschritt der neuen Literatur, indem sie uns die Vergangenheit, in realistischer oder verfremdeter Form, nahebringt, etwas was die eigentliche Stärke der Literatur sei, im Vergleich etwa zum Film. Sie betont, dass der neue Roman daher hauptsächlich außerhalb des anglikanischen Raumes stattfände, sie nennt die amerikanische Postmoderne unter John Barth und Thomas Pynchon narzisstisch und zu sehr auf den Prozess des Schreibens bezogen, Vorbilder hingegen seien vielmehr Schriftsteller wie Salman Rushdie oder Carlos Fuentes.
Mir hat der Band sehr gut gefallen, man bekommt einen guten Einblick in die Diskussion in ein doch ganz interessantes Themengebiet.