Ich krieg grad nicht so gut mit, wie darüber diskutiert wird, aber dieses Argument kommt mir regelmäßig zu kurz. Da wird im luftleeren Raum über das Für und Wider der Schuldenbremse diskutiert, als hätten wir nicht eine Wirtschaftskrise und massive Nachfrageeinbrüche und gleichzeitig enormen Investitionsbedarf.
Mir ist auch gar nicht klar, wie FDP/Union das gegenüber ihren ganzen Lobbyklienten erklären oder glauben die wirklich, irgendein deutsches Unternehmen würde mehr von ein paar läppischen Steuersenkungen oder mehr Abschreibungen profitieren, während die Wirtschaft dippt, statt dass der Staat genau dagegen aninvestiert und nebenbei noch substanzielle Werte schafft und für mehr Gerechtigkeit sorgt?
Die Union hat Glück, dass das Thema aktuell von der unsäglichen Flüchtlingsthematik überlagert wird, insofern müssen sie sich fast gar nicht äußern. Bei der Union bin ich ernsthaft gespannt, wie sie sich entwickelt und aufstellt: Einerseits haben sie die Länderchefs, die alle unter den respektiven Schuldenbremsen ächzen und sie gerne reformieren würden. Auf der anderen Seite hat man die Bundes-CDU, die programmatisch doch ziemlich deutlich auf den Linnemann-Kurs eingestellt wurde. In den Politik-Redaktionen scheinen alle anzunehmen, dass es eigentlich schon eine ausgemachte Sache sei dass die Schuldenbremse unter der CDU bedeutend reformiert wird, aber ich bin mir da ehrlich gesagt nicht ganz so sicher. Linnemann will schon eine deutlich liberalere Ausrichtung der Wirtschaftspolitik und ich vermute in der Union wissen sie auch, dass sie die niemals bekommen würden, wenn sie damit aktiv Wahlkampf betreiben müssten: Niemand will hören, dass man leider keine Wahl hat als den Staat zurückzunehmen und Einkommen von unten nach oben umzuverteilen. Die einzige halbwegs realistische Chance ist dieser Sparsamkeits-Salmon, den man jetzt auch hört. Für eine Reform spricht natürlich, dass objektiv wohl auch der CDU nicht entgangen sein kann, dass Austerität sich mittelfristig weder politisch noch wirtschaftlich auszahlt und es für die "natürliche Regierungspartei" ziemlich verrückt wäre, um jeden Preis so eine Politik zu fahren, die man auch noch gegen den mutmaßlichen Koalitionspartner (wer auch immer das sein wird) durchsetzen müsste. Zumal die Wirtschaftsverbände mittlerweile ziemlich geschlossen (okay, nicht die "Familienunternehmer", Deutschlands beste Lobbygruppe) für Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe plädieren. Könnte mir allerdings gut vorstellen, dass die Wirtschaftsverbände sich von der Union auch relativ leicht mit "wird sich zeigen" abspeisen lassen.
Bei der FDP stellt sich die Sache imo relativ einfach dar: Die wissen eh, dass ihre Regierungszeit abgelaufen ist. Da geht es nur noch darum, ein Wahlkampfthema für 2025 zu setzen, mit dem man nochmal in den Bundestag kommen kann. Ich nehme an auch die Wirtschaftsverbände werden irgendwo einsehen, dass die FDP auf lange Sicht ihre Interessen nicht besonders gut vertreten kann, wenn die Partei mittelfristig in der Existenz gefährdet ist. Sollte die Union in der Regierung die Schuldenbremse wirklich schleifen, wäre das auch direkt das Ticket für die FDP, wieder relevant zu werden.
Ich bin btw etwas erstaunt, wie viele Leute aktuell als vorzeitige Bilanz der Ampel darüber schreiben, dass die Regierung an den unüberbrückbaren Differenzen zwischen Partnern links als auch rechts von der Mitte zerbrochen ist. Das war die GroKo ja nun auch und da ging das alles doch sehr viel flüssiger. Ich glaube letztendlich schauen alle irgendwie bewusst über den springenden Punkt hinweg, der nicht etwa eine "Dreierkoalition" ist oder die Heterogenität der Haltungen in der SPD oder die Rigidität der Grünen (lol), sondern banalerweise einfach nur der Unterschied zwischen Union und FDP: Für die Union ist es ein Wert an sich, dass sie den Kanzler stellt, dafür ist sie immer bereit Kompromisse zu machen. Für die FDP (zumindest die FDP heute, die FDP bis in die 1990er sah anders aus) ist Regierung nur dann ein Wert wenn sie auch wirklich ihre Themen durchsetzen kann und dummerweise ist ihr Thema halt "weniger Staat".
Weil die FDP aber genauso wie die Union weiß, dass sich das niemals mit aktivem Wahlkampf mit diesem Thema erreichen lassen würde, muss sie eigentlich per se versuchen, Veränderungen über "Sparhaushalte" durchzuboxen. Dummerweise hat sich mittlerweile die empirische Evidenz enorm verdichtet, dass in der Krise sparen weder gute policy noch gute politics ist. Insofern hat man mit der FDP immer eine inhärente und irgendwie auch unauflösbare Spannung in der Regierung: Was die FDP will kann man politisch nur in der Krise durchsetzen, gleichzeitig ist eine Krise politisch der denkbar schlechteste Zeitpunkt dafür, weil man als Regierung mit Austerität die eigene Unbeliebtheit im wirtschaftlichen Abschwung nur noch weiter zementiert.