@Heator
-Zur Gefahr von Falschverdächtigungen
Das scheint ja ein richtiges Gespenst zu sein, das hier umgeht und Männern reihenweise den Schlaf raubt. Ich möchte nur mal erwähnen, dass es eine erhebliche Anzahl an demokratischen Rechtsstaaten gibt, in denen es wesentlich schärfere Formulierungen für den Straftatbestand der Vergewaltigung gibt - nämlich die fehlende Einwilligung des Opfers.
Mir ist nichts davon bekannt, dass es in diesen Ländern seit Einführung dieser Gesetze eine Epidemie von Falschbeschuldigungen oder gar Falschverurteilungen unschuldiger Männer gegeben hätte. Falls doch, dann nehme ich Quellen hierzu dankend an.
Ich schätze daher die Gefahr, dass es nach einer Unformulierung des deutschen StGB zu derartigen Zuständen käme als relativ gering ein.
Im Übrigen finde ich deine Argumentation widersprüchlich:
die hemmschwelle zur falschanzeige kann allein deswegen schon sinken, weil sich täterinnen früher immerhin noch die mühe gemacht haben sich selbst verletzungen beizufügen. das ist heute dann gott sei dank nicht mehr nötig.
Du bist doch gerade der Meinung, dass es überhaupt keiner (körperlichen) Verletzungen bedarf, um glaubhaft eine Vergewaltigung zu behaupten. Also war die Selbstzufügung solcher Verletzungen weder früher nötig noch wird sie es in Zukunft sein: Es bleibt alles beim Alten.
-Zu meinem Beispielfall und der Strafbarkeit
Du versuchst hier eine Strafbarkeit mit Aspekten zu begründen, die in meiner Beschreibung überhaupt nicht vorkommen und übrigens absichtlich nicht vorkommen. Mir ist bewusst, dass es konkludente Drohungen gibt. Hätte ich die in die Beschreibung des Falls aufnehmen wollen, dann hätte ich das getan.
Ich folge auch nicht deiner Herleitung, warum sich denn ein Vergewaltigungsopfer nicht wehrt. Dass es um Angst geht, da geh ich noch mit. Aber warum muss diese Angst durch eine Einschüchterung (auf welche Art auch immer) des Täters hervorgerufen werden? Vielleicht basiert sie auf früheren Erfahrungen des Opfers, mit denen der Täter gar nichts zu tun hat.
Dass allein körperliche Überlegenheit in der geltenden Rechtssprechung eine Drohung oder schutzlose Lage begründet, würde ich übrigens mal gerne belegt haben, denn das kann ich mir kaum vorstellen. Männer sind Frauen quasi immer körperlich überlegen, also wäre dieses Kriterium in quasi jedem Fall gegeben und würde die einschränkende Funktion der Begriffe ad absurdum führen.
-Zu den Beispielen für Schutzlücken
Ich hätte mir schon gewünscht, dass du was dazu sagst, warum das denn doch keine Schutzlücken sind, denn ich habe bei Fischer dazu nämlich leider nichts Konkretes gefunden. Ich vermute, du hast nicht in das Dokument reingeguckt, daher:
In folgenden Fällen ist der Täter nach geltendem Recht vollständig straflos:
a) Fälle, in denen der Täter zwar Gewalt ausübt, droht oder das Opfer in schutzloser Lage nötigt, der Entschluss zur Vornahme sexueller Handlungen jedoch erst später gefasst wird, das Opfer jedoch aufgrund des Vorverhaltens
weiterhin eingeschüchtert ist. Hier ist der Töter straflos, weil das Nötigungselement nicht zum Zweck der sexuellen Handlung eingesetzt wurden (fehlender Finalzusammenhang).
[Anmerkung von mir: Das dürfte ziemlich genau die Situation von BGH 4 StR 544/12 treffen.]
b) Fälle, in denen es an einer schutzlosen Lage i.S.d. § 177 I Nr. 3 StGB fehlt, das Opfer aber aufgrund früherer Gewalt, die zum Tatzeitpunkt freilich nicht ausgeübt oder zumindest konkludent angedroht wird (sonst § 177 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB), objektiv mit weiterer Gewalt rechnen muss (Klima der Gewalt).
c) Fälle, in denen das Opfer nur subjektiv Gewalt befürchtet, obgleich diese objektiv nicht droht, der Täter aber die Opferfurcht kennt und sich diese zunutze macht.
d) Fälle, in denen das Opfer seinen Willen zwar grundsätzlich artikulieren kann, der Täter sich aber ohne Ausübung von Zwang durch schlichte Nichtbeachtung des gegenteiligen Willens – etwa im Wege eines überraschenden Angriffs – darüber hinwegsetzt. Dies betrifft auch Fälle eines zunächst einvernehmlichen Sexualakts, bei dem der Täter durch den plötzlichen Übergang zu sexuellen Variationen den Willen des Opfers missachtet.
-Zum Thema Fahrlässigkeit
Ich stimme dir völlig darin zu, dass das ein heißes Eisen ist. Aber wenn man die Vergewaltigung erstmal als schwerwiegende Rechtsverletzung sieht, dann ist es doch so: Wir bestrafen z.B. fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung. Warum soll das bei Vergewaltigung nicht gehen?
Ein erstes Hindernis scheint mir die Charakterisierung der Vergewaltigung als sexuelle Nötigung zu sein. Eine fahrlässige Nötigung ist zumindest mir nicht vorstellbar: Wie soll ich jemanden durch bloße Rücksichtslosigkeit "ausversehen" zu etwas zwingen? Das ergibt für mich keinen Sinn.
Der ganze Tatbestand der Vergewaltigung lässt sich aber durchaus aus einer anderen Perspektive denken, statt aus dem der Nötigung, nämlich aus dem der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung, ohne dass dazu eine vorsätzliche Nötigung erforderlich sein muss. So eine Verletzung kann prinzipiell auch fahrlässig erfolgen, indem Mann in einer bestimmten Situation zwar nicht den Vorsatz hat, die Frau zu etwas zu nötigen, es aber dennoch an der gebührenden Sorgfalt ermangeln lässt, ihren entgegenstehenden Willen zu erkennen.
(Auf so einen Fall zielte übrigens auch mein Beispielfall von oben zum Teil ab. Dabei sollte man allerdings nochmal festhalten, dass auch die aktuelle Reform keine Strafbarkeit für Fahrlässigkeit vorsieht.)
-Schlussbemerkung zum Sinn der Reform
Hier kann ich dir auf deine Fragen leider keine Antwort geben und du scheinst mich in diesem Punkt auch missverstanden zu haben: Ich bin KEIN Befürworter dieser Reform.
Für mich ergeben Gesetzesänderungen grundsätzlich nur Sinn, wenn sie für mehr Konsistenz, Einfachheit oder Klarheit sorgen oder als Reaktion auf einen erkannten Regelungsbedarf notwendig werden. Letzteres wäre dann die viel zitierte Schutzlücke, von deren Existenz ich in diesem Fall aber nicht überzeugt bin, ohne mir anmaßen zu wollen, das abschließend beurteilen zu können.