Ich gebe aber zu, dass ich da vielleicht leicht ideologisch verblendet bin, da ich die Meinungsfreiheit für eines der höchsten Güter einer freien Gesellschaft halte, der ich im Zweifelsfall auch das Wohl eines Einzelnen unterordnen würde.
Das klingt recht melodramatisch. Kannst du mal einen Fall zitieren, wo jemand in Deutschland für eine Beleidigung verurteilt wurde, die deiner Ansicht nach als freie Meinungsäußerung schützenswert ist?
Hier wird von vielen ja so getan, als reiche es zu einer Verurteilung wegen Beleidigung hin, dass sich jemand beleidigt fühlt. Das ist aber nur eine notwendige Bedingung (Beleidigung wird nur auf Antrag verfolgt). Zusätzlich muss eine Beleidigung auch tatsächlich vorliegen. Was als Beleidigung gilt, entscheidet ein Gericht, aber ich denke nicht, dass der Begriff kategorisch schwerer abzugrenzen ist als viele andere Rechtsbegriffe.
Gerade die libertäre Fraktion tut ja gern so, als wäre z.B. eine Körperverletzung ein mit naturwissenschaftlicher Präzision bestimmbarer Begriff. Das ist aber nicht so. Ist etwa ein Schubsen eine Körperverletzung? Oder eine Ohrfeige? Wie steht es mit der Beschallung mit lauter Musik? Oder dem Rauchen einer Zigarette? Darf ich jemanden bewusst mit einem Krankheitserreger infizieren? Darf ich ihn einer potentiell krebserregenden Substanz aussetzen?
Das sind alle Grenzfälle, in denen unter Berücksichtigung des Einzelfalls eine Abwägung zwischen Handlungsfreiheit und körperlicher Unversehrtheit getroffen werden muss.
Bei der Beleidigung ist es nicht anders. Darum kann ich die Fundamentalkritik am Konzept nicht nachvollziehen.
Es ist imo eine Tatsache, dass Menschen durch Äußerungen ebenso verletzt werden können wie durch körperliche Angriffe. Ich sehe daher a priori keinen Grund, weshalb der Rechtsstaat sie nicht vor beidem schützen sollte, solange er dafür sorgt, dass konkurrierende Rechtsgüter wie die freie Meinungsäußerung ausreichend geschützt sind.