Der eine bekommt einen Schlag ins Gesicht und sagt "ist mir doch egal" der andere nicht. Die eine zierliche Frau fühlt schon starke schmerzen als sie geschubst wird und spricht von körperverletzung.
Der Muskelprotz merkt nicht mal was als er mit der selben Kraft geschubst wird.
Hier ist aber für den Täter klar, was passiert. Ich weiß, dass massive Probleme bekomme, wenn ich eine zierliche Person, die zufällig vor einem Abgrund steht, mit mittlerer Kraft schubse. Ich weiß, dass ich gar keine Probleme bekomme, wenn ich eine kräftige Person im Kampfsport-Training mit mittlerer Kraft schubse.
Die Sache ist, dass das für den Verursacher auch klar ersichtlich ist. "Gefühlsverbrechen" dagegen kann der "Täter" unter Umständen nicht mal wahrnehmen. Im Gendertopic hatten wir ja das Beispiel von verrückten Feministinnen, die sich "vergewaltigt" fühlen, wenn ein Mann sie zu lange anschaut.
Natürlich ist die Trennung zwischen objektiven und subjektiven Sachverhalten in der Praxis extrem schwer. Bei solchen Streitigkeiten geht es ja immer um zwischenmenschliche Verhältnisse und vollkommene Objektivität kann es in diesem Kontext gar nicht geben.
Dennoch denke ich, dass es möglich ist, zwischen objektiven Tatbeständen mit subjektiver Interpretation und subjektiven Tatbeständen zu unterscheiden.
Um Benraths beispiel aufzugreifen: Ohrfeige verteilt, Opfer wurde so stark getroffen dass es davon starb. Die Intention zu einer Tat besteht objektiv und ist für den Täter bekannt: Sollte die Ohrfeige töten oder war das nicht beabsichtigt? Allerdings muss der Täter diese ja niemandem (ehrlich) sagen, damit kann in der Praxis nur eine Näherung gefunden werden, d.h. das Gericht muss (inkl. eigener Subjektivität) versuchen herauszufinden, was die Intention des Täters wahrscheinlich war. Die Tat selbst besteht aber objektiv, die Ohrfeige ist passiert, das Opfer ist gestorben.
Anders sieht es bei einem "Gefühlsverbrechen" aus. Hier ist der Tatbestand selbst subjektiv, d.h. ob überhaupt ein Tatbestand vorliegt hängt nur davon, wie die Gefühlslage des Opfers zum "Tat"zeitpunkt war. Morgens hätte die gleiche Person das "ich finde dich doof" einfach ignoriert, abends stürzt sie sich nach einem "ich finde dich doof" von der Brücke. Die Reaktion ist dann auch für den Täter, anders als Reaktionen auf körperliche Einwirkungen, in vielen Fällen nicht vorhersehbar.
Ich bin kein Jurist aber was ich bisher aus Diskussionen hier mitbekommen habe ist, dass genau deshalb Dinge wie Stalking juristisch nur sehr, sehr schwer fassbar sind. Wenn selbst die Juristen in diesem Land das nicht ganz einfach in den Griff bekommen würde ich jedenfalls davon ausgehen, dass es keine so ganz einfache Lösung gibt.
Dazu kommt, dass die USA eine sehr, sehr erfolgreiche Gesellschaft mit einer deutlich weiterreichenden Interpretation der Meinungsfreiheit sind als wir. Beides zusammengenommen ist, auch wenn letztendlich immer irgendwo etwas Subjektivität beiben wird, meiner Meinung nach ein sehr guter Grund, warum man die Einschränkungen der Meinungsfreiheit zur Ahndung von "Gefühlsverbrechen" sehr, sehr kritisch sehen sollte.
Dazu kommt dann noch die Ausnutzbarkeit: Auf wessen Gefühle wird rechtlich Rücksicht genommen? Wie unterscheide ich jemanden, der verletzt spielt um anderen eins auszuwischen von jemandem, der tatsächlich emotional verletzt wurde? Voreilige Schüsse gegen die Meinungsfreiheit schaffen hier potentiell sehr viel Unsicherheit, ich denke nicht dass das für uns als Gesellschaft positiv ist.
@Outsider:
Dass etwas, das zweifelsfrei eine Straftat ist, nicht immer angezeigt wird hat doch gar nichts mit dem Thema zu tun. Die Körperverletzung ist objektiv feststellbar und strafbar und damit hat sich die Sache. Dass der objektiv geschädigte diese aus irgendwelchen Gründen nicht zur Anzeige bringen will ändert daran nichts.