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es ist ohnehin erstaunlich: sonst wird hier immer über die zu laschen strafen geschimpft und darüber, dass leute viel zu oft freigesprochen werden aber plötzlich habt ihr schiss, dass reihenweise unschuldige einfahren?
Was ist daran erstaunlich? Es gibt zwei Dimensionen: Einerseits die Schuld, andererseits die Bestrafung. Man kann doch eine hohe Hürde für die Schuld fordern und gleichzeitig hohe Bestrafungen. Dann kann man auch kritisieren, dass die Bestrafungen zu lasch sind, auch wenn man die Hürde für die Schuld okay findet. Ist kein Widerspruch.
Zudem gilt die Höhe der Hürde der Schuld für alle, vor dem Gesetz sind alle gleich. In einer aufgeklärten Bevölkerung. Nun gehen wir mal ganz abstrakt als Optimierungsproblem heran:
Wir haben eine Rate von Übergriffen X und eine Rate von falschen Anschuldigingen Y. Ein Prozentsatz A der Übergriffe X überschreitet die Hürde des Schuldnachweises und wird verurteilt, der Teil (1-A) wird fälschlicherweise abgewiesen. Bei den falschen Anschuldigungen sieht es ähnlich aus, da wird ein Anteil B korrekt abgewiesen und (1-B) fälschlicherweise verurteilt.
Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass A mit B steigt aber nicht unbedingt gleich ist.
Nun gibt es einen "sweet spot" der juristisch benötigten Beweislast, bei der sich die Raten der falschen Verurteilungen und falschen Abweisungen in einem gewünschten Rahmen befinden, d.h. (1-A) und (1-B) werden als "gut" angesehen.
Wenn nun aber die Zahl der Übergriffe X steigt dann wird zwangsläufig die Zahl der falschen Abweisungen steigen, somit verschiebt sich das Verhältnis und somit der "sweet spot", wenn man die Balance zwischen falschen Anschuldigungen und falschen Abweisungen beibehalten will. Deshalb muss man in einer solchen Situation die Hürde niedriger ansetzen, um das Verhältnis zu wahren, d.h. auf gestiegene Übergriffe müsste man mit einer einfacherern Verurteilung reagieren.
Oder anders formuliert: Je weniger Übergriffe in einer Gesellschaft es gibt desto stärker muss jeder einzelne bewiesen werden, um die dann im Verhältnis viel öfter auftretenden falschen Anschuldigungen effizient herauszufiltern. Je mehr Übergriffe es gibt desto weniger fallen die falschen Anschuldigungen ins Gewicht und um so wichtiger wird es, viele Verurteilungen zu erreichen, um das Problem zu bewältigen. Das gehr aber dann auf Kosten der falsch beschuldigten, das sollte man nicht vergessen! Ist doof, ist aber so.
Ich bin dagegen, dass wir den "sweet spot" unserer deutschen Rechtsprechung, der eine vernünftige Balance für die deutsche Gesellschaft darstellte, nun aufgrund der Asylanten verschieben. Würden wir stattdessen die Asylanten verschieben dann hätten wir es nicht nötig, unsere Gesetze zu ändern.
Falls jemand gut begründen kann, dass der aktuelle "sweet spot" generell verschoben werden muss dann bin ich dem gegenüber auf jeden Fall offen. Ob das der Fall ist kann ich mangels präziser Kenntnis der Gesetzeslage nicht beurteilen. Nach dem, was HeatoR weiter oben schreibt, könnte das sogar wirklich aktuell der Fall sein, dann wäre das Gesetz an sich gar nicht schlecht. Was mir übel aufstößt ist nur, dass so etwas gerade jetzt gefordert wird, wo es offensichtlich eine Schnellschuss-Reaktion zur Ablenkung von den viel wichtigeren Problemen ist.
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