Das ist für mich Kern des Problems: Die Leute wissen nicht nur nicht, was sie wollen, sondern ihre Grundüberzeugungen sind bereits höchst widersprüchlich. [...]
Na ja, Trittbrettfahrer-Dillemata zu lösen sind die Kernaufgabe jeglicher Politik, für den Rest reicht der Markt vollkommen. Dementsprechend finde ich es auch etwas banane, das Thema mit dem Verweis darauf enden zu lassen: Ja, das ist überall so. Für vieles davon kann man politische Lösungen finden, wenn man denn will. Beispiel Schule: Effektiv läuft es selten auf 0 ("wir tun einfach gar nichts für die Integration") oder 1 ("wir karren unsere Kinder per Bus quer durch die Stadt, damit die Anteile an Flüchtlings- und anderen integrationsbedürftigen Kindern überall akzeptabel bleiben"); alles eine Frage des politischen Willens. Da sind viele moving parts im Spiel: Beispielsweise kann man auch Mittel verschieben, so dass der Betreuungsschlüssel in solchen Schulen deutlich günstiger ist. Klar, in der Theorie wäre es cool wenn alle Leute ihre Überzeugungen auch leben, aber im Zweifelsfall reicht es meistens, wenn sie bereit sind, dafür zu bezahlen; gibt ja durchaus auch Leute, die sie tatsächlich leben.
1. Ist mir jetzt in der Kritik etwas pauschal. Die Schätzung basiert afaik auf Generationenbilanz, für die Raffelhüschen in Deutschland angeblich einer der führenden Experten ist. Ob das schon nicht stimmt, ob er die Methode falsch auf das Thema angewendet hat, keine Ahnung. Ich bin in dem Bereich nicht tätig und mir fehlt auch grad die Zeit für eine vertiefte Recherche. Aber es einfach mit "jaja, der erzählt immer viel" wegzuwischen, finde ich zumindest etwas schräg. Was sind denn besser gerechnete Schätzungen, die du für glaubwürdig hältst?
2. Ich kann dir beim ersten und letzten Satz, ehrlich gesagt, nicht ganz folgen. Was die Beliebtheit prekärer Berliner Stadtteile im bundesdeutschen Durchschnitt angeht, hast du natürlich recht. Aber dass die Stadt auf viele Menschen offenbar trotz zum Teil fragwürdiger Zustände noch genug Anziehungskraft entfaltet, ist imo keine Entschuldigung für diese Zustände.
1. Die Rechnung von Bonin (irgendwo hier im Thread von mir verlinkt) erschien damals (und definitiv heute umso mehr) sehr viel realistischer als die von Raffelhüschen. Und wie gesagt: Raffelhüschen ist jemand, der gerne absurde Rechenmethoden nimmt und damit Dinge zu rechtfertigen. Die Generationenbilanz bspw. ist so ein Ding: Das hat er populär gemacht, ist aber letztendlich nur eine Masche, um "Verbindlichkeiten" zu zählen, zukünftige Einnahmen aber zu unterschätzen und dann zu sagen "schaut, Finanzierungslücke!" Wenn du exakt dasselbe privatwirtschaftlich machst wäre die "Finanzierungslücke" weg und es ginge niemandem besser, außer denjenigen, die dann Gebühren einstreichen können, was auch ein Grund ist warum sein ganzes Institut reichhaltig mit Drittmitteln aus der Versicherungswirtschaft bedacht wird. Rudi Bachmann hat gerade bei Makronom ein Interview gegeben, das den Wirtschaftsjournalismus in Deutschland dafür kritisiert, Leuten wie ihn und HW Sinn immer wieder haufenweise Raum zu geben, obwohl sie seit 20 Jahren (wenn überhaupt) nichts mehr zu dem Thema publiziert haben und das kann ich nur unterstreichen.
2. Na ja, ich sage dass man die Kirche vielleicht im Dorf lassen sollte bei solchen Einschätzungen. Das klingt ein bisschen als würden wir hier von einer Art "Ghetto" reden, dabei sind das alles Stadtteile, wo es immer noch mehr als genug (autochthone!) Menschen gibt, die dort genuin gerne wohnen möchten und das vielleicht nicht so sehr als "Zustände" sehen.
Hier muss ich mal einhaken. Was meinst du mit: "machen genug, um ihren Aufenthalt verdient zu haben"?
Ich kann es mir denken, weil ich wohl ähnlich empfinde. Dennoch widerspricht es imo dem leitenden Narrativ, dass man sich den Aufenthalt aus humanitären Gründen weder verdienen könne noch müsse.
Der letzte Satz irritiert mich: Wenn man die Leute getrost wieder abschieben kann, warum hat man sie überhaupt herkommen lassen?
Wenn jemand prinzipiell abschiebbar (also nicht hinreichend schutzbedürftig) ist, dann sehe ich nicht, was genau ihn berechtigen soll, hier bleiben zu dürfen, wenn er nur unter der Prämisse hier einreisen durfte, dass er vielleicht schutzbedürftig sei.
Weil wir nun mal im voraus nicht wissen, wer schutzbedürftig ist und wer nicht? Letztendlich läuft man sehenden Auges gegen die Wand, wenn man denselben Fehler wiederholt wie vor 30 Jahren, nämlich den Leuten aus politischer Bequemlichkeit zu sagen "oh, diese Leute gehen schon alle wieder", das wird einfach nicht passieren. Dementsprechend würde ich bei denjenigen, die kein (!) Schutzbedürftnis geltend machen können, danach selektieren, wer sich hier eingliedert und wer nicht und die letztere Gruppe priorisieren. Ob man die erstere überhaupt abschieben muss oder ob da nicht der "Spurwechsel" sinnvoller wäre ist imho durchaus diskutabel, zumal es keineswegs so ist, als würden die in Deutschland gesetzten Anreize maßgeblich über die Zahl der Flüchtlinge entscheiden, die heute noch nach Europa kommen.
Ich kann den Eindruck, den diese Liste auf mich macht, schwer in Worte fassen. Ich sehe ermutigende Beispiele neben gebrochenen Existenzen. Unterm Strich lese ich sie als Dokument des Scheiterns. Ich kann das jedenfalls nicht mit den moralischen Ansprüchen in Einklang bringen, die für viele der Grund, ja die Notwendigkeit unserer Flüchtlingspolitik sind.
Dafür bleiben mir zu viele Fragen offen: Wen schützen wir wovor? Tun wir es auf gerechte Art? Tun wir es in einer Weise, die effizient mit unseren Ressourcen und denen der Schutzbedürftigen umgeht?
Vielleicht können wir jetzt nochmal die (im Vergleich zu den vermeintlich widersprüchlichen Einstellungen der deutschen Wählerschaft) wichtigere Frage diskutieren, welche Auswirkungen Asylmigration auf unseren Sozialstaat hat.
Wird imho überschätzt. Es gibt nur zwei Arten, wie wir neue Arbeitnehmer in unsere Wirtschaft bekommen: Kinder oder Einwanderung. Kinder wären prinzipiell gut, dauert aber lange bis sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und bis dahin stecken wir nicht unbeträchtliche Summen in ihre Ausbildung (dazu kommt das Problem, dass wir effektiv absolut nicht wissen, wie wir die Bevölkerung dazu bekommen, mehr Kinder zu bekommen). Diese Kosten entfallen (größtenteils!) bei den Flüchtlingen, dazu kommt wie gesagt die alte Problematik, dass in Deutschland die Kosten für Leute, die kaum etwas eingezahlt haben, wegen des Äquivalenzprinzips sehr überschaubar sind*. Wenn in Deutschland über den Sozialstaat geredet wird, dann sind Kosten durch Einwanderung ein sekundäres Problem; das Hauptproblem ist weiterhin, dass zu wenige junge Menschen zu viele ältere versorgen müssen†.
*anders als bspw. in Dänemark
†wobei man da auch nicht in Panik verfallen sollte: Wenn die Leute sowas sagen wie "heute kommen auf einen Rentner drei Arbeitnehmer, im Jahr 2050 werden es noch 1,5 sein" klingt das bedrohlich, aber es ist noch nicht so lange her, da waren es in Deutschland acht Arbeitnehmer pro Rentner und obwohl wir jetzt bei (knapp unter) drei stehen ist die Versorgung immer noch gut.
Liest sich mE ziemlich ernüchternd. Wenn einer einen richtigen Job gefunden hat, dann vor allem auf dem Bau. Sonst sehr viele in irgendwelchen Maßnahmen oder schlicht arbeitslos. Hört sich nicht nach einem guten Geschäft an, leider :/
Dafür, dass die meisten vor ca. vier Jahren ohne jede Deutschkenntnis hier angekommen sind, finde ich das eigentlich durchaus ok. Die Frage ist, ob in 10 Jahren die ganzen Leute, die bis jetzt noch kein Deutsch können immer noch da sein werden; das müsste imho nicht sein.
Dazu sei noch gesagt, dass es schon ziemlich bezeichnend ist, dass die wählerschaft getreu ihren idealen eigentlich nicht sehr viel vom kapitalismus und materialismus halten sollte, aber seltsamerweise ziemlich stark davon profitiert und kein großes problem damit zu haben scheint.
Dummes Zeug. Postmaterialismus kommt daher, dass man materiell versorgt ist und sich deshalb die Aufmerksamkeit auf andere Dinge verschiebt. Niemand behauptet, dass man als Grüner im Büßerhemd rumlaufen muss.