Du verlierst dich hier imo in Widersprüchen. Einerseits unterscheidest du nicht zwischen den Begriffen Kultur und Leitkultur. Andererseits bestreitest du, dass es sowas in deutsch überhaupt gibt, nur um dann wieder davor zu warnen, Menschen assimilieren zu wollen.
Was soll es denn nun sein?
Wenn es so etwas wie eine deutsche Lebensweise nicht gibt, dann kann es auch keine Assimilation geben und deine Sorge ist unbegründet. Gibt es aber eine deutsche Lebensweise, die sich wesentlich von der Lebensweise etwa eines Afghanen, Syrers, Polen oder Italieners abhebt, dann wüsste ich gerne, warum du dich dagegen sperrst, diese Kultur zu nennen.
Letztlich sind diese Wörter eh Schall und Rauch. Es geht um die Frage, was den Deutschen zum Deutschen macht. Du behauptest, es sei nur die Sprache. Ich finde das falsch. Zum einen kann man sich ohne Weiteres Deutsche vorstellen, die gar nicht sprechen, zum anderen kann man sich ohne weiteres jemanden vorstellen, der kein Wort Deutsch spricht, sondern eine andere Sprache, und trotzdem von seinem Umfeld mehrheitlich als Deutscher wahrgenommen wird und sich vielleicht auch so fühlt. Man denke an das Kind einer deutschen Auswandererfamilie, das in der Landessprache mit dem deutschen Akzent seiner Eltern aufwächst und dem auch sonst deren deutsche Wesensart aus jeder Pore trieft. Vielleicht hat dieses Kind sogar Goethe und Hölderlin unterm Kopfkissen zu liegen und verkörpert gerade aufgrund seiner Ferne zu Deutschland etwas Urdeutsches, das so rein ist, dass man hierzulande schon ins hinterste Tupfingen fahren müsste, ums zu finden.
Das Problem an deiner Auffassung liegt genau hier:
Na dann hau mal raus, was die deutsche Kultur so übergreifend verbindet. Was teilen spezifisch alle Deutschen in diesem Land, außer der Sprache?
Du unterstellst: Wenn es etwas spezifisch Deutsches gibt, dann müsse es auch mindestens eine Eigenschaft geben, die allen Deutschen gemein ist, die sie einander ähnlich macht.
Das ist ein sehr altes und überholtes Konzept von Ähnlichkeit und wird weder der Lebenswirklichkeit gerecht, noch der Art, wie wir Sprache benutzen, um Begriffe zu bilden.
Denke nur mal an die Familienähnlichkeit unter Verwandten: Der eine hat die Knubbelnase vom Opa, der andere die Augen der Mutter oder das markante Kinn und die Bärenstimme des Onkels. Gibt es eine notwendigerweise eine wesentliche Eigenschaft, die alle Angehörigen einer Familie teilen? Mitnichten. Trotzdem haben wir überhaupt kein Problem damit, sie als eine zusammengehörige Familie aufzufassen.
Ein anderes klassisches Beispiel in diesem Zusammenhang ist der Begriff des Spiels: Nenne mir die wesentliche Eigenschaft, die alle Spiele der Welt verbindet! Es wird dir nicht gelingen. Folgt daraus, dass der Begriff des Spiels selbst keinen Sinn ergibt oder wir ihn nicht benutzen sollten? Wohl kaum.
Ebenso ist es möglich, dass es ein sinnvolles Konzept des Deutschen gibt, ohne dass wir seine wesentlichen Eigenschaften definieren können.
Wie gut der Begriff dann die Lebenswirklichkeit in Deutschland beschreibt, darüber lässt sich immer noch streiten.
In diesem Zusammenhang möchte ich aber mal auf den Unterschied zwischen Kultur und Leitkultur hinweisen: Der Begriff der Leitkultur hat eine starke ideelle Komponente. Das wird schon deutlich, wenn man sich andere verwandte Begriffe wie den des Leitfadens, Leitsatzes, der Leitwährung oder des Leitzinses vergegenwärtigt.
Es geht dabei gar nicht in erster Linie darum: Was ist deutsch? Oder: Wie sind die Deutschen? Es ist mehr eine Absichtserklärung: So wollen wir sein und daran soll sich jeder orientieren, der zu uns kommt.
Ich finde es nicht schlecht, dass man als Gesellschaft darüber redet, welche Erwartungen und Ansprüche man an Einwanderer hat. Die wichtigen Fragen bleiben aber: Spricht jemand gut Deutsch? Ist er ein produktives Mitglied der Gesellschaft? Hält er sich an die Gesetze? Anhand dieser Fragen sollte sich imo entscheiden, ob er bleiben darf oder nicht.
Das heißt nicht, dass damit bereits alle Forderungen erfüllt sind, die man sinnvollerweise stellen kann. Aber jedes Kriterium muss ja auch überprüft und dann nach rechtsstaatlichen Prinzipien beurteilt werden.