Kosten/moralische Verpflichtung:
Ich sehe Merkels Politik immer noch als ziemlich alternativlos, besonders wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht.
Prinzipiell losgelöst: Generell bin ich der Meinung, dass man da helfen kann, wo es einem nicht auf existentieller Ebene schadet. Deutschland kann sich durchaus ziemlich viel leisten, daher sehe ich uns schon in einer Pflicht. Das alles ist normativ und ich verstehe, wenn man es nicht will; oder in dem Ausmaß, in dem es letztendlich über die Bühne ging. Imo müssen wir auch nicht mehr sehr viel mehr aufnehmen.
Ansonsten: Verpflichtet ist Deutschland vor allem als Staat der EU. Ohne Aufnahme hängen die Flüchtlingen in Ländern, die es sich auf Dauer definitiv nicht leisten können - siehe Italien und v.a. Griechenland. Zusätzlich die Türkei, die für mich alles ist, aber kein Garant auf "Schutz". Daher besteht eine Notwendigkeit zu entlasten, die besten Fälle zum Weiterleiten raussuchen ist auch eher naiv.
Inbe4: "Camps und vor Ort abschieben": Als ob da Staaten so einfach mitziehen würden. Oder es nicht schräg bei der Bevölkerung vor Ort käme, die dann sehen Gelder werden für Lager bereitgestellt, aber selbst müssen sie sich totsparen.
Und auch wieder Benraths Argument: Kosten gibt es mit jeder Lösung, solange das kein Quantencomputer durchrechnen kann, wird die Diskussion immer normativ vermengt sein.
Die Frage ist imo berechtigt: Warum war es alternativlos, Dublin aufzukündigen und die Schleusen zu öffnen, wenn es jetzt auch wieder anders geht?
Merkel hat entschieden, geltendes Recht und die üblichen Verfahren außer Kraft zu setzen.
Der Streitpunkt scheint mir in der Tat zu sein, inwiefern Deutschland sich mit der Flüchtlingspolitik bereits "auf existentieller Ebene" geschadet hat. Ich denke, man kann das durchaus bejahen, ohne gleich den Untergang des Abendlandes zu prophezeien.
Meiner Meinung nach haben wir uns mit der unorganisierten Aufnahme von Flüchtlingen derart überfordert, dass unsere politische und faktische Handlungsfähigkeit derart eingeschränkt ist, dass du sogar davon redest, wir "müssten auch nicht mehr sehr viel aufnehmen". Das klingt für mich stark nach Obergrenze - von jemandem, der den vergangenen Kurs als alternativlos bezeichnet.
Wenn man gezwungen ist, seine Politik innerhalb kurzer Zeit so stark zu korrigieren, dann liegt es imo nahe, dass etwas falsch gelaufen ist.
Ich stimme dir übrigens zu, dass wir insbesondere und vielleicht vor allem unseren europäischen Partnern an der Peripherie zur Hilfe verpflichtet sind. Das hätte sich imo aber auch anders regeln lassen, als zu erlauben, dass die Flüchtlingsmassen unkontrolliert durchgewinkt werden.
Zum Thema Schutzgarantie und Glaskugel: Warum haben Flüchtlinge aus dem Orient, die in der Türkei stecken bleiben, für dich einen stärkeren Anspruch auf Schutzgarantien als Millionen anderer, die in Afrika oder Südostasien irgendwo dahinkrepeln? Diese Menschen haben größtenteils nicht mal die Chance, an unsere Grenze zu kommen und daraus scheint in der Logik unserer Politik zu folgen, dass sie auch weder Rechte nocht Ansprüche haben - das ist die Heuchelei, die ich meinte.
Im Übrigen ist es zwar wahr, dass wir über die Kosten nur spekulieren können. Das gilt aber auch für Folgen einer alternativen Politik. Woher willst du wissen, dass überhaupt deutlich mehr Menschen gestorben wären, wenn wir sehr viel weniger Flüchtlinge aufgenommen hätten? Es ist ja nicht so, dass wir hauptsächlich die aufnehmen, die unmittelbar gefährdet sind.
Das Argument "wir müssen
den Menschen helfen" verliert deutlich an Kraft, wenn man so genau sagen kann, wen man jetzt eigentlich wovor beschützt und warum man andere doch verrecken lässt.
ansonsten @ Saistead. Manche verstehen wohl Politik nicht. Politische Entscheidungen sind leider selten effizient und effektiv, weil man sich nicht darauf einigen kann was effizient und effektiv ist, und weil der Status Quo oder die Trägheit gewinnt oder man einigt sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Ich glaube auch, dass die Regierung von der Masse der FLüchlingswelle überascht war. Ich wars auch und natürlich wusste es ein paar hier immer besser. Aber ich glaube kaum das 2014/15 jemand mit dieser Entwicklung gerechnet hat.
Mag alles stimmen. Aber eine moralische Rechtfertigung für die Flüchtlingspolitik sehe ich immer noch nicht.
Das richtige Argument geht ja so, dass man keine andere Wahl hatte, als so zu handeln, wie man gehandelt hat, weil es moralisch nicht vertretbar gewesen wäre. Du unterstützt eher ein Argument wie "wir waren überfordert, da standen die plötzlich vor der Tür und wir konnten doch die Tür nicht zuschlagen; dass das so viele werden, hat uns alle überrascht".
Letzteres ist kein Argument dafür, dass man richtig gehandelt hat, sondern eine Erklärung bzw. Rechtfertigung, wie man es so versemmeln konnte - ein großer Unterschied.