Grundsätzlich agree, wobei angemerkt sei, dass sich "die Linke" (lies: Mainstream-Medien und -Parteien) einem intensiven Dialog über Kostenschätzungen und Zukunftsprojektionen größtenteils verwehren. Sprich: Diejenigen, die sagen: "wird schon nicht so teuer" behaupten das meist nur ohne irgendeine Modellrechnung; zur Verfügung stehendes Daten (bspw, historische Employment-Daten von ähnlich zusammengesetzten Migrantengruppen der Vergangenheit) werden ignoriert.
Na ja, ich habe nicht das Gefühl dass "die Rechte" die Gutachten der Forschungsinstitute und/oder Wirtschaftsweisen durchgelesen hat, um zu ihrer Ablehnung zu kommen. Wenn überhaupt wird das von allen Seiten ignoriert, aber ich muss auch sagen, dass ich meine Informationen auch aus der Presse habe und dort wurden alle Studien der größeren Institute durchaus behandelt, von "wird schon nicht so schlimm" bis "Sozialstaat? Wir werden froh sein, in 25 Jahren nicht unsere Haustiere essen zu müssen!" Für die Connoisseure: Ja, letzteres war meine Interpretation von Bernd Raffelhüschen.
Der von dir aufgezeigte Spagat (Sozialausgaben p.P. runter? Steuern hoch?) wird also umgangen, was uns aber langfristig treffen wird. Wir hätten die Infrastrukturinvestitionen und Rückstellungen für Sozialkassen (auch implizit durch Schuldenabbau) gut gebrauchen können.
Du umgehst den Spagat, indem du meine Frage einfach nicht beantwortest. Ich rede nicht von heute, ich rede vom "long run" (allerdings nicht so lang, dass wir alle tot sind). Darauf will ich letztendlich hinaus: Niemand (zumindest niemand mit irgendeinem ökonomischen Sachverstand) glaubt, dass Deutschland aufhört zu wachsen und in 25 Jahren kein deutlich reicheres Land sein wird als heute, mit oder ohne Flüchtlinge. Sollte die Integration der Flüchtlinge weitestgehend scheitern und sollten sie alle hierbleiben, wird sie das zu einem Kostenfaktor machen. Der Kostenfaktor wird aber im Vergleich mit dem zusätzlichen Wohlstand, den das Wirtschaftswachstum generiert, vernachlässigbar bleiben, alleine bedingt durch ihre Zahlenstärke und die Beschaffenheit unseres Sozialsystems. Ich habe durchaus kein Problem damit, wenn Leute sagen, dass sie die Zuwanderung möglichst auf wirtschaftlich produktive Menschen beschränken wollen, aber ich verstehe nicht, wie dieses Thema komplett die Frage überlagert, wie sich der Wohlstand in Zukunft verteilen wird. Nur mal als Beispiel von der LIS (vor Steuern und Sozialtransfers):
Die Effekte dieser Stagnation übersteigen auf Dauer die Effekte der Zuwanderung um ein Vielfaches (!), aber das Thema kommt in der öffentlichen Wahrnehmung nur sporadisch vor. Wir tun so als wäre das Hauptproblem der Mittelschicht eine Ressourcenkonkurrenz mit Einwanderern, die kaum tatsächlich besteht und blenden völlig aus, dass wir es seit langer Zeit kaum noch schaffen, für große Teile der Bevölkerung trotz stetigen Wachstums mehr als die Stagnation ihres Wohlstands aus Markteinkommen zu generieren (für die Unterschicht sieht es teilweise noch schlechter aus). Selbst nach Steuern und Sozialtransfers kommen wir maximal auf leichte Anstiege für die Mittelschicht, die in keinem Verhältnis dazu stehen, in welchem Maße der Wohlstand des Landes insgesamt wächst.
Dadurch, dass die Kosten für Flüchtlinge manchen hier als unnötig erscheinen, ändert sich nicht grundsätzlich etwas an der Tatsache, dass selbst völlig unnötige Kosten kein wichtiger Einflussfaktor sind, wenn sie im Vergleich zum Fehlbetrag marginal sind.
Ja. Das war zwar überhaupt nicht, worauf ich hinauswollte, aber bitte. Die ganze Argumentation ist mehr oder weniger fragwürdig:
- Der Bundeshaushalt ist knapp über 10% des BIP, die Staatsquote 44% des BIP.
- Gebundene Staatseinnahmen (ob Gebietskörperschaft oder Politikfeld) sind, insoweit Geld nicht verfassungsmäßig zweckgebunden ist, buchhalterische Fiktionen. Wenn die Länder bspw. nicht in der Lage wären, einerseits weiterhin den Schulbetrieb zu finanzieren und andererseits Flüchtlinge zu versorgen, würde Geld von den anderen Gebietskörperschaften hin zu den Bundesländern umgeschichtet.
- Der Staat ist kein Privathaushalt und kann sich, gerade in jüngsten Zeiten, verschulden. So zu tun als hätten wir es mit der Verdrängung von Infrastrukturinvestitionen zu tun ist bei den aktuellen Zinssätzen im höchsten Maße absurd. Mir ist natürlich klar, dass das Bild von den verfrühstückten Rücklagen "für schlechte Zeiten" politisch ein attraktives Bild ist, wenn man gegen bestimmte Kosten ist, aber ökonomisch ist es unsinnig. Niemand hindert Deutschland daran, diese Investitionen zu tätigen.
- Die bisherigen Kosten der Flüchtlinge sind nur ein Bruchteil dessen, was an Ertrag für das abgefallen ist, was du "die fetten Jahre" nennst.
- Rezessionen sind an sich belanglos, interessant für die Gesundheit der Staatsfinanzen ist das Langzeitwachstum; vor 2008 sind Staaten langfristig fast immer nach Rezession über stärkeres Wachstum auf den Langfristpfad zurückgekehrt. Meines Wissens gibt es niemand, der prognostiziert, dass das in Zukunft nicht weiter passiert.
- Es erscheint mir zutiefst intellektuell unehrlich, zu behaupten dass Merkel bzw. eine Merkel-Fraktion weitere "1,5 Mio. Flüchtlinge" will, obwohl sie seit fast einem Jahr das Gegenteil behauptet und keine Anstalten macht, auf diese Zahl zu kommen. Hindert uns jemand daran, Flüchtlinge direkt aus der Türkei in diesen Größenordnungen aufzunehmen? Tun wir es deshalb? Dass wir nicht auf höhere Zahlen kommen liegt definitiv nicht daran, dass die Grenzen zu Deutschland (!) für Asylbewerber nicht mehr passierbar wären.
- Zuletzt die absurdeste Annahme von allen, obwohl ich sie immer wieder lese: Wir können nur Flüchtlinge oder Sozialstaat haben*. Wer genau würde uns dazu zwingen, Flüchtlinge auf dem Niveau zu versorgen, auf dem es aktuell getan wird? Ich bin immer wieder erstaunt, dass Leute einfach unsere aktuelle policy unendlich weit in die Zukunft fortschreiben, als sei das die normalste Sache der Welt, ganz egal wie krass sich die Rahmenbedingungen ändern. Sagen wir mal, es kämen wirklich vier Millionen Afrikaner in einem Jahr, weil in Afrika der Migrationsdruck zu hoch geworden ist und sagen wir mal (völlig unrealistisch), dass dann die Grenze offen bleibt. Wer genau zwingt Deutschland dazu, diese Leute auf dem Niveau zu versorgen, das der deutsche Sozialstaat seinen Bürgern bietet? Glaubt hier tatsächlich jemand, die Bürger werden mit dem Argument "aber die Rechtssprechung des BVerfG sagt doch, dass!!!" zufrieden geben, wenn sie selbst tatsächlich Einschnitte zu erwarten haben? Das ist so unsagbar weltfremd, dass ich nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll.
*Alles was hierauf folgt bitte nicht dahingehend interpretieren, dass ich damit sagen will, wir könnten oder sollten deshalb so viele Flüchtlinge aufnehmen wie kommen wollen. Das steht da nicht und ist damit auch überhaupt nicht gemeint.