1. Niemand fordert, die Unabhängigkeit der Richter oder die freie Beweiswürdigung einfach abzuschaffen. Dennoch kann man feststellen, dass es ein Problem ist, wenn Richter sich nach Belieben austoben dürfen und das Rechtssystem wenig bietet, um das zu verhindern.
Moment mal, nicht ich habe die freie Beweiswürdigung und die richterliche Unabhängigkeit in Frage gestellt, sondern du in deinem letzten Post. Als du nämlich meintest, sie sei problematisch und auch, als du vorgeschlagen hast, Richter für grobe Fahrlässigkeit haften zu lassen. Entweder man hat sie, oder man hat sie nicht, da gibt es keinen Mittelweg. Richter dürfen sich auch nicht "nach Belieben austoben". Du scheinst wirklich nicht nachvollziehen zu können (oder zu wollen?) wie richterliche Entscheidungsfindung geschieht. Ich habe es glaube ich in diesem Thread oder in dem Aufschreithread schonmal geschrieben, aber hast du dir schonmal einen Tag lang Gerichtsverhandlungen angesehen, verständnishalber im Strafrecht? Ich vermute nicht, sonst würdest du hier nicht so tun, als würde völlig irrational und nicht nachvollziehbar gewürdigt. Oh man, es ist einfach sinnlos über etwas zu diskutieren, was du offenbar nur aus Schauergeschichten kennst, aber nie selbst erlebt hast.
Man könnte noch weitere Punkte anbringen. Was ich am Rechtssystem als solchem bemängle ist ein übergroßes Vertrauen in die Urteilsfähigkeit des einzelnen Richters, das in meinen Augen nicht gerechtfertigt ist.
Also erstmal entscheidet nicht der einzelne Richter, sondern in der Regel Spruchkörper. Dass das zunehmend aufgeweicht wird (Stichwort Einzelrichter) finde ich scheiße, aber es liegt mal wieder am Geld, das der Gesetzgeber sparen will, um es an anderer Stelle öffentlichkeitswirksamer zu verpulvern. Und das ist deine Schuld und MVs Schuld und die von etwa 79,5 Millionen anderen Bürgern. Gegen Atomkraft und Bahnhöfe wird ja gerne demonstriert, aber bis auf ein paar Richter setzt sich keiner für mehr Geld in der Justiz ein. Soviel mal dazu.
Und zum anderen ist das Vertrauen nicht übergroß. Vielmehr gibt es Rechtsmittel, mit denen ihre Entscheidungen überprüft werden können. Ja, ich weiß, das klappt oft nicht. Aber doch nicht, weil das System schlecht wäre oder die Rechtslage verbesserungswürdig. Weißt du, was in den Rechtsmittelinstanzen passiert? Als Außenstehender meint man vielleicht, dass anwaltlich vertretene Parteien dann mal den Finger in die Wunde der angeblichen Fehler des Gerichts legen würden, um so eine Änderung herbeizuführen, aber nein, weit gefehlt. Ich kann das jetzt nur für die Rechtsmittel in Zivilsachen aus erster Hand berichten, aber da kommt nur blabla von den Anwälten (überspitzt dargestellt). Eine erstaunliche Zahl der Berufungen ist offensichtlich unbegründet. Und bei nicht wenigen liegt es daran, dass die Partei in der ersten Instanz geschlampt hat. Die Partei oder ihr Anwalt, nicht das Gericht. So enthält gefühlt jede zweite Berufung die ich sehe neuen Tatsachenvortrag, der nicht mehr zugelassen werden darf, weil er schon in der ersten Instanz hätte gebracht werden müssen. Und in der Berufung ist es leider zu spät.
Man muss in einem Rechtsstaat eine Balance halten zwischen der Schaffung von Rechtsfrieden und der Kontrollmöglichkeit für die Betroffenen. Beides sind genau gegensätzlich wirkende Kräfte. Jede Kontrolle einer richterlichen Entscheidung bedeutet, dass vorerst die Schaffung von Rechtsfrieden aufgeschoben wird. Um mal beim Zivilrecht zu bleiben: Da streiten zwei Parteien, woraufhin eine von ihnen verliert. Jetzt muss man sorgsam abwägen, wie viel und wie oft man das Urteil noch überprüfen will. Denn jede weitere Instanz, jede weitere Überprüfung gibt zwar dem Verlierer die Möglichkeit, sein (vielleicht, vielleicht aber auch nicht bestehendes) Recht zu verwirklichen, aber zugleich nimmt man damit dem Sieger seine Rechte. Ich halte die Art, wie in unserem Recht die Balance gehalten wird, für sehr, sehr gelungen. Es ist in meinen Augen der perfekte Ausgleich zwischen Rechtsfrieden und Kontrolle. Auch das kann man sicher anders sehen, sowohl in die eine, als auch die andere Richtung. Aber dann bitte fundiert und nicht mit Stammtischparolen.
konservativen Umgang mit Befangenheitsanträgen
Ich glaube langsam, du schlägst einfach wild mit irgendwelchen Begriffen um dich, die du irgendwo in linken Wutblättern gelesen hast. Hast du schon mal vor Gericht erlebt, mit welchen Begründungen Richter als befangen abgelehnt werden? Mimimi, der böse Richter hat meinen schwachsinnigen Antrag abgelehnt, den ich nur gestellt habe, um in der Revision das Rügerecht nicht zu verlieren, Befangenheit!!! Und was soll das Geschwafel darüber, dass andere Richter aufgrund eines nebeligen Korpsgeistes grundsätzlich für neutral gehalten werden. Richter sind - wie jeder andere Mensch - einer ihnen gleichgültigen Sache gegenüber neutral. Das gilt solange, bis daran Zweifel geweckt werden. Nein, das bloße Stellen des Befangenheitsantrags weckt keinen Zweifel, wär ja noch schöner.
Ich weiß, ich sollte es mir sparen, weil du es nicht verstehen willst und diesen Satz jetzt bestimmt kommentieren wirst, etwa in dem Sinn "da sieht man wieder, dass du blind bist", aber ich schreibe es trotzdem: Richter sind - besser als so ziemlich alle anderen Menschen/Berufe - noch bevor sie das erste Mal einen Fall entscheiden jahrelang darin ausgebildet, ihre persönliche Meinung außen vor zu lassen und einen Fall sachlich und objektiv zu entscheiden. Natürlich gibt es Fälle die einem näher gehen als andere, was aber nicht gleich Befangenheit bedeutet. Trotzdem, Juristen im allgemeinen und Richter im besonderen lernen, sich von der Sache emotional hinreichend zu distanzieren. Ich kann und will nicht bestreiten, dass es vorkommt, dass man diese Distanz bei manchem Prozess (vor allem im Strafrecht mit entsprechenden Verteidigern) mitunter verliert. Wenn sich das irgendwie erkennbar äußert, dann sollten die Kollegen einem Befangenheitsantrag natürlich auch stattgeben. Und nach meiner persönlichen Erfahrung geschieht das auch, wenn der Anschein einer Befangenheit besteht. Nur ist das nicht gleich der Fall, weil der Angeklagte oder irgendeine Partei oder ein Zeuge oder ein Journalist der taz das Gefühl hat. Ja ich weiß, es gab da vor drei Jahren mal eine Artikel im Spiegel wo es sich so las, als hätten die Richter x und y aus Verbundenheit zu ihrem Kollegen ihn in Schutz genommen...
... Deshalb sollten wir uns mit demselben Eifer und denselben hohen Standards um Gerechtigkeit bemühen, wie z.B. in der Wissenschaft um die Wahrheit.
Ich weiß nicht wie ich dir das sagen soll, ohne deiner naiven Weltsicht allzu viel Schaden zuzufügen. Aber du solltest dich damit abfinden, dass subjektive Gerechtigkeit vor Gericht in einem Rechtsstaat nicht zwingend erlangt werden kann. Bis heute konnte kein Mensch erklären, was Gerechtigkeit konkret ist. Wir haben uns deshalb im modernen Rechtsstaat darauf beschränkt, Gesetze zu erlassen und uns darauf zu einigen, dass niemand mehr erwarten kann, als dass jeder im Rahmen dieser Gesetze gleich behandelt wird. Ich weiß, du glaubst das nicht, weil du es nicht glauben willst, aber alle Richter, die ich kenne, bemühen sich nach Kräften, das zu gewährleisten. Aber mehr geht nun einmal nicht. Unser materielles Rechtssystem regel abstrakt generell für eine Unzahl von Fällen, was wir für richtig und was wir für falsch halten. Unser prozessuales Recht versucht ein Verfahren zu schaffen, in dem das materielle Recht möglichst verwirklicht werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass das am Ende rauskommt, was der Bauch im Einzelfall als gerecht empfindet. Eine Partei mag moralisch noch so sehr im Recht sein, sie kann rechtlich im Unrecht sein. Dann muss aber nicht gleich die Rechtslage "ungerecht" sein und Hals über Kopf geändert werden. Das gilt es in einem Rechtsstaat zu akzeptieren. Genauso, wie es zu akzeptieren ist, dass eine Partei materiell im Recht ist, aber aus prozessualen Gründen verliert. Eine Partei mag ja noch so viel einen Anspruch haben, aber wenn sie ihn nicht beweisen kann, dann muss sie verlieren. Auch wenn dann keine Gerechtigkeit geschehen ist, muss es doch so enden: Denn die Idee, dass der verliert, der seinen Anspruch nicht beweisen kann, ist richtig. Vor Gericht Gerechtigkeit zu erlangen, so wie man - wie du das so schön sagst - in einer Naturwissenschaft die Wahrheit findet, ist leider nur ein naiver Traum.
Ich erlebe ständig Parteien, bei denen ich tief davon überzeugt bin, dass sie sich beide im Recht
fühlen; sogar aus nachvollziehbaren Gründen. Aber sie können nicht beide gewinnen. Wenn sie dann das Urteil kriegen, erfährt (mindestens) einer von ihnen seiner Ansicht nach keine wahre Gerechtigkeit. Ich wüsste gerne mal, wie viele wenigstens in der Lage sind, einzusehen, dass sie gerecht behandelt wurden, auch wenn sie meinen, dass sie eigentlich Recht hätten bekommen müssen. Beispiel gefällig? Dann lies mal den Eingangspost und frage dich, wie wohl die Mutter des Kindes des Bekannten den selben Fall hier erzählen würde.
So, zum Schluss noch, damit das nicht so stehen bleibt:
2. Dein Bild von den historischen Voraussetzungen unserer Gesetze ist naiv. Du tust so, als habe es jemals ein Greimum von Juristen, Wissenschaftlern und Philosophen gegeben, das sich überlegt hat, wie das perfekte Rechtssystem aussieht, und als sei unser heutiges Rechtsystem das Ergebnis dieser Überlegungen.
Muss ich Dir jetzt echt erklären, warum das Bullshit ist?
Tue ich so, ja? Wie das wohl kommt...
Hm, nun gut, weil ich mich gerade wirklich gut unterhalten fühle, sage ich einfach mal: Ja, führ es doch mal bitte weiter aus. Es wird sicherlich amüsant zu erfahren, ob du wirklich das als Antwort postest, was ich von jemandem erwarte, der sich nach eigenem Bekunden nicht in (deutscher) Rechtsgeschichte auskennt.
Edit: Na toll Heator, jetzt hast du ihn ja gewarnt.
3. Konkrete Vorschläge sind schwer zu machen, wenn man im System nicht drinsteckt, was ich durchaus nicht tue.
Trotzdem hoffe ich, dass wir uns bald in der Forschung und der Gesellschaft der Frage zuwenden, ob und, wenn ja, wie wir unser Rechtsystem durch neue Erkenntnisse verbessern können.
Jo, wir sollten das dringend mal tun. Warum ist nur nie jemand vor dir auf diese Idee gekommen?
Ein paar konkrete Punkte wurden ja schon angesprochen:[...]
Mal abgesehen davon, dass das keine Vorschläge sind, sondern wieder nur die dubiose Benennung von vermeintlich schlimmen "Problemen", erspare ich es mir mal, darauf einzeln einzugehen, weil wir die Punkte ja schon längst besprochen haben. Im Ergebnis kann man dem zustimmen oder nicht. Aber das ist Aufgabe des Gesetzgebers. Ich persönlich stimme dir da ja sogar teilweise zu. Aber ich begreife auch die anders lautenden Beweggründe des Gesetzgebers, der ebenfalls gute Gründe hat, anders zu entscheiden. Und viel ändern würden diese Punkte schließlich an den angeblichen Grundproblemen ohnehin nichts.