Energiewende

Mitglied seit
25.09.2014
Beiträge
4.840
Reaktionen
1.164
Das sehe ich grundsätzlich auch so, aber die Politik bekleckert sich nicht damit den Leuten zu erklären, dass es Klimaschutz nicht umsonst gibt.
Bestes Beispiel ist doch der Vorstoß von Habeck zum Verbot neuer Öl/Gasheizungen ab 2024. Öl und Gas wird auf mittlere Sicht so dermaßen unattraktiv sein, dass der Wechsel zu alternativen Heizsystemen fast alternativlos ist. Sofern die Politik also nicht die x te Preisbremse einführt und einfach das teurere LNG samt Co² Preisanstieg wirken lässt, sollte sich das Problem in den kommenden 10 Jahren fast selbst lösen.
Klimaschutz kostet erstmal Geld und gerade die unteren Schichten müssen da mit durchgezogen werden. Aber die Lösung ist keine Gieskanne die allen Leuten vorgaukelt, dass man da erstmal mit +/- 0 rauskommt.
Das ist doch gerade das Problem, Stichwort fossile Heizungen: Wir haben sehr viele Heizungen im Bestand, die demnächst ausgetauscht werden müssen. Wenn du jetzt weiter fossile Heizungen erlaubst und die sich aktuell noch rechnen, werden davon auch viele noch verbaut. Und dann werden sich in ein paar Jahren wieder Politiker finden, die beim CO2-Preis auf die Bremse gehen, weil denk doch mal einer an die armen Leute mit Öl- oder Gasheizung.
Ideal wäre halt, die Politik hätte schon längst einen klaren langfristigen Pfad vorgegeben, wie wir innerhalb von x Jahren auf einen CO2-Preis kommen, der die externen Kosten vollständig internalisiert. Aber sowas funktioniert halt nicht, weil erstens die Politik unter sich ändernden Machtverhältnissen bei sowas nicht verlässlich ist und man sich zweitens auch nicht drauf verlassen kann, dass die Menschen rationale Entscheidungen treffen.

Die Lage der Nation hat imo nochmal schön herausgearbeitet, was für ein Kasperletheater die FDP hier (mal wieder) veranstaltet:

Manchmal frag ich mich echt, wie man solche Leute ernsthaft wählen kann: Es gibt mit der Partei doch eine valide Alternative, wenn man Politsatire goutiert.
 

parats'

Tippspielmeister 2012, Tippspielmeister 2019
Mitglied seit
21.05.2003
Beiträge
19.299
Reaktionen
1.329
Ort
Hamburg
Ist halt das gleiche wie bei der Rentenpolitik. Würde man den Leuten mal den Zahn ziehen, vergrault man nur die Wähler auf die kommenden Jahre.
 

Gustavo

Doppelspitze 2019
Mitglied seit
22.03.2004
Beiträge
5.507
Reaktionen
1.725
Ist halt das gleiche wie bei der Rentenpolitik. Würde man den Leuten mal den Zahn ziehen, vergrault man nur die Wähler auf die kommenden Jahre.

Das ist imho so eine Verdrehung im deutschen Diskurs über diese Themen, die total ungerechtfertigt ist. Rentenpunkte sind ein fiktives Konstrukt, CO2 ist real. Wenn man irgendwann merkt, dass man das Rentenniveau wirklich nicht mehr finanzieren kann, bleibt einem gar nichts mehr anderes übrig als es zu ändern. Selbst wenn wir morgen Wahlalter 67 einführen würden könnten Rentner politisch nicht einfach die Gesetze der Ökonomie außer Kraft setzen: Ab einer bestimmten Belastung werden Leute Arbeit reduzieren, wenn man den kompletten Ertrag von ihnen weg umverteilt, also arbeiten sie halt weniger. Damit wäre den Rentnern dann auch nicht geholfen. Irgendwann sind zudem alle Boomer tot und dann sieht der demografische Aufbau in Deutschland auch für eine umlagefinanzierte Rente wieder besser aus.
Beim CO2 dagegen geht es um die Fläche unter der Kurve genauso wie um das Enddatum. Das CO2, das man mal in die Luft geblasen hat, kriegt man aus der Atmoshäre nicht mehr (kosteneffizient) raus. Selbst wenn man im Jahr 2044 per Gesetz vorschreiben würde, dass ab morgen alle klimaneutral zu leben haben, wäre der Schaden bereits eingetreten.
 

parats'

Tippspielmeister 2012, Tippspielmeister 2019
Mitglied seit
21.05.2003
Beiträge
19.299
Reaktionen
1.329
Ort
Hamburg
Bin ich bei dir und war auch nicht direkt mein Punkt. Wir schieben seit mehr als einem Jahrzehnt eine Energiewende vor uns her. Strom wurde irgendwie teurer und ein paar Leute meckerten auch über die da oben, das wars aber auch. Bei der Rente ist es doch, wenn auch fiktiv, ähnlich. Eigentlich wissen alle, dass dieses System ohne Reform irgendwann an die Wand gefahren ist. An nötige Reformen traut man sich noch nicht, aber diese werden doch unausweichlich sein.
Die Boomer haben wir in den 40ern dann auch irgendwie überlebt, mal sehen was sich sich bis dahin getan hat.
Würde man den Wählern heute sagen, dass für die "Energiewende"* diverse unangenehme Sachen zu tun sind oder aber die Rente reformiert werden muss und wir deshalb xyz machen müssen, würde es morgen doch wieder heißen "Enteignungspläne der Politikerkaste" und die Wahl in 2 Jahren ist in Gefahr.

*Als Synonym für den ganzen Prozess.

P.s. ich wäre für deutlich stärkere Maßnahmen, auch wenn das für mich eine Mehrbelastung bedeuten würde. Das betrifft sowohl die Rente als den Klimawandel.
 
Zuletzt bearbeitet:

Gustavo

Doppelspitze 2019
Mitglied seit
22.03.2004
Beiträge
5.507
Reaktionen
1.725
Bin ich bei dir und war auch nicht direkt mein Punkt. Wir schieben seit mehr als einem Jahrzehnt eine Energiewende vor uns her. Strom wurde irgendwie teurer und ein paar Leute meckerten auch über die da oben, das wars aber auch. Bei der Rente ist es doch, wenn auch fiktiv, ähnlich. Eigentlich wissen alle, dass dieses System ohne Reform irgendwann an die Wand gefahren ist. An nötige Reformen traut man sich noch nicht, aber diese werden doch unausweichlich sein.
Die Boomer haben wir in den 40ern dann auch irgendwie überlebt, mal sehen was sich sich bis dahin getan hat.


Ja, aber mein Punkt ist doch, dass der Schaden am Rentensystem vergleichbar gering ist. Die Tatsache, dass bestimmte Transferleistungen nicht mit unendlichem Zeithorizont in ihrer jetzigen Form finanzierbar sind ist im Sozialstaat eher die Ausnahme als die Regel. Bei der Rente gibt es aber kein Gesamtbudget, das irgendwie über die Zeit in Einklang gebracht werden muss. Es gibt lediglich Ansprüche, aber die sind eben wie gesagt nicht real und können dementsprechend auch einfach wieder geändert werden. Wenn bis sagen wir 2035 die Ansprüche und die Leistungsfähigkeit immer weiter auseinander gehen, müssen halt ab dem Jahr 2036 die Kürzungen um so drastischer werden. Die werden zwar immer noch graduell sein, weil man politisch drastische Kürzungen nicht zumuten kann, aber die Kurve verläuft dann deutlich steiler nach unten. Mein Punkt ist, dass das politisch zwar schwierig wird, aber es eben auch ökonomisch unumgänglich ist und dementsprechend so oder so passieren wird.

Das ist beim CO2-Budget aber einfach nicht so sein: Im Zweifelsfall könnten wir unser 1,5 Grad-Zielbudget auch um 25%, 50%, 75% übertreffen, das wird nicht zwangsläufig gedrückt werden, zumal das Problem ja eh global ist, d.h. man wird immer sagen können unser Beitrag als Land macht eh keinen entscheidenden Unterschied, warum also nicht übertreffen?


Würde man den Wählern heute sagen, dass für die "Energiewende"* diverse unangenehme Sachen zu tun sind oder aber die Rente reformiert werden muss und wir deshalb xyz machen müssen, würde es morgen doch wieder heißen "Enteignungspläne der Politikerkaste" und die Wahl in 2 Jahren ist in Gefahr.

*Als Synonym für den ganzen Prozess.

P.s. ich wäre für deutlich stärkere Maßnahmen, auch wenn das für mich eine Mehrbelastung bedeuten würde. Das betrifft sowohl die Rente als den Klimawandel.

Das ist ja gerade was die Grünen mit dieser Heizungsgeschichte machen. Das ist ja die wahre Tragik der FDP: Im Gegensatz zu den Grünen erzählen sie den Leuten irgendwelche freundlichen Märchen, dass man den Verbrennermotor retten könnte, statt ihnen die Wahrheit zu sagen, dass die Autoindustrie in 20 Jahren einfach ganz anders aussehen wird als heute. Die Grünen dagegen forcieren die Energiewende beim Wohnen, obwohl der Nutzen davon erst in Jahrzehnten eintreten wird und dann auch eher durch vermiedenen Schaden als durch konkreten Nutzen für den Endverbraucher. Trotzdem läuft es für die Grünen besser als für die FDP.

Das ist btw auch, was mich an diesem Geschwätz von der "Technologieoffenheit" stört: Das zeugt einfach von mangelnder Ernsthaftigkeit bzgl. der Klimapolitik. Wenn man die FDP lassen würde, würde sie viel zu viel auf Technologien setzen, die höchstwahrscheinlich keinen nennenswerten Beitrag leisten können, einfach weil man einen bestimmten Zeithorizont hat, in dem das alles passieren muss. Technologieoffenheit hatten wir ja: Niemand verhinderte "Fusionsenergie", "E-Fuels" und DAC-Lösungen, aber sie brauchten einfach zu lange, jetzt ist es dafür zu spät. Die Fläche unter der Kurve füllt sich mit jedem Jahr weiter und im Zweifelsfall wird es für drastische Reduzierungen kurz vor Schluss sowieso keine Mehrheiten geben. Also muss man halt die Weichen für die Technologien stellen, von denen man weiß dass sie entsprechend skalieren, statt auf irgendwelche Moonshots zu hoffen, von denen niemand sagen kann ob/wann sie kommen.
 

parats'

Tippspielmeister 2012, Tippspielmeister 2019
Mitglied seit
21.05.2003
Beiträge
19.299
Reaktionen
1.329
Ort
Hamburg
Das ist beim CO2-Budget aber einfach nicht so sein: Im Zweifelsfall könnten wir unser 1,5 Grad-Zielbudget auch um 25%, 50%, 75% übertreffen, das wird nicht zwangsläufig gedrückt werden, zumal das Problem ja eh global ist, d.h. man wird immer sagen können unser Beitrag als Land macht eh keinen entscheidenden Unterschied, warum also nicht übertreffen?
Aber genau dafür muss man sich gerade machen und ehrlich sein, dass wir Klimaschutz nicht für umsonst kriegen können.

Das ist ja gerade was die Grünen mit dieser Heizungsgeschichte machen. Das ist ja die wahre Tragik der FDP: Im Gegensatz zu den Grünen erzählen sie den Leuten irgendwelche freundlichen Märchen, dass man den Verbrennermotor retten könnte, statt ihnen die Wahrheit zu sagen, dass die Autoindustrie in 20 Jahren einfach ganz anders aussehen wird als heute. Die Grünen dagegen forcieren die Energiewende beim Wohnen, obwohl der Nutzen davon erst in Jahrzehnten eintreten wird und dann auch eher durch vermiedenen Schaden als durch konkreten Nutzen für den Endverbraucher. Trotzdem läuft es für die Grünen besser als für die FDP.
1. Mit Verboten von bestimmten Heizsystemen drückt man sich einfach. Habeck könnte auch genauso sagen, dass sich eine neue Gasheizung oder Ölheizung ab 2024 wirtschaftlich nicht mehr rentieren wird, weil die Tonne Co² der Preistreiber sein wird.
Damit ist auch gleich klar wohin der allgemeine Weg fossiler Brennträger gehen wird. Das sollte eigentlich der letzte kapiert haben, aber es gibt scheinbar noch einige, denen man es so direkt sagen muss.
2. Zum Thema Verbrennungsmotor und FDP allgemein will ich mich gar nicht mehr äußern. Die FDP ist so ziemlich lost und ich gönne ihnen 4,9% auf Ewigkeit.
Mich nervt das Buzzword Technologieoffenheit, als ob alle anderen mit Scheuklappen unterwegs wären. Christian Lindner scheint da aber irgendwie gefallen dran zu finden, weil es wohl das "progressive Profil" stärkt.
 

GeckoVOD

Moderator
Mitglied seit
18.03.2019
Beiträge
3.780
Reaktionen
2.127
Aber genau dafür muss man sich gerade machen und ehrlich sein, dass wir Klimaschutz nicht für umsonst kriegen können.


1. Mit Verboten von bestimmten Heizsystemen drückt man sich einfach. Habeck könnte auch genauso sagen, dass sich eine neue Gasheizung oder Ölheizung ab 2024 wirtschaftlich nicht mehr rentieren wird, weil die Tonne Co² der Preistreiber sein wird.

Es gibt eventuell ein paar Benefits, u.a. dass man ein Argument hat, um in puncto Denkmalschutz existierende Verbote umgehen kann. Die Wirtschaftlichkeit interessiert bei solchen Verfahren nicht, gesetzliche Vorschriften aber sehr wohl. Zudem schafft man Realitäten im öffentlichen Wohnbau / körperschaften des öffentlichen Rechts. Auch da gilt, was Gesetz ist hat Priorität, man wechselt von kann auf muss. Ist ein ganz anderes Gewicht.

Damit ist auch gleich klar wohin der allgemeine Weg fossiler Brennträger gehen wird. Das sollte eigentlich der letzte kapiert haben, aber es gibt scheinbar noch einige, denen man es so direkt sagen muss.
Grüße gehen raus an die Boomergeneration, die halt vermietet, weil geerbt. Es sind viel, viel mehr, als du glauben magst.
 
Mitglied seit
25.09.2014
Beiträge
4.840
Reaktionen
1.164
Der Witz am Verbrennerverbot ist ja, dass sogar die Automobilindustrie das will. Für die ist die Unsicherheit, ob sie in 12 Jahren ein bestimmtes Marktsegment noch bedienen muss, auch nicht erstrebenswert. Es gibt afaik genau einen deutschen Automobilkonzern, der nach 2035 noch gern Verbrenner verkaufen würde und man rate, welcher das ist.
 
Mitglied seit
27.06.2014
Beiträge
3.465
Reaktionen
1.264
Ort
Hamburg
Das ist natürlich so Quatsch. Die Industrie will Planbarkeit, kein Verbot.

Am besten wäre für die Industrie "nie Verbot".

Aber wenn die Alternativen sind "kurzfristiges Verbot irgendwann" vs "8 Jahre+ Planbarkeit", dann nehmen sie das Letztere.

Meine Meinung: Am besten wäre langfristige Planbarkeit des Steigens des Co2-Preises. Daraus würde sich bspw logisch ableiten, wann eine Gasheizung nicht mehr attraktiv wäre (vielleicht schon heute nicht mehr, wenn der Co2-Preis entsprechend hoch wäre).
 

Gustavo

Doppelspitze 2019
Mitglied seit
22.03.2004
Beiträge
5.507
Reaktionen
1.725
Das ist natürlich so Quatsch. Die Industrie will Planbarkeit, kein Verbot.

Am besten wäre für die Industrie "nie Verbot".

Aber wenn die Alternativen sind "kurzfristiges Verbot irgendwann" vs "8 Jahre+ Planbarkeit", dann nehmen sie das Letztere.


Schon, aber das ist auch keine knappe Abwägung. Die Wirtschaftlichkeit von E-Fuels in PKWs ist ja für Unternehmen (!) auch planbar und tatsächlich haben bei dem Gipfel im Januar alle größeren deutschen Anbieter bis auf Porsche gesagt, dass sie keine Verbrenner mehr produzieren wollen. Man bläst diese Sache völlig über Gebühr auf, wenn man so tut als wäre ein Verbot von etwas, was sowieso niemand will, auch nur einen Jota Planbarkeit wert. Im Übrigen ist es soweit ich weiß auch nicht so, dass Verbrenner tatsächlich verboten wären, die Autobauer müssten nur halt Strafen zahlen, weil die Flotte die CO2-Grenze reißen würde, die dann auf die Kunden umgelegt werden müssen. Da jeder neu zugelassene Verbrenner Opportunitätskosten verursachen wird, da er einem Bestandsfahrzeug und/oder einem Fortbewegungsmittel, deren Antrieb man bisher nicht elektrifizieren kann, E-Fuels wegnimmt, ist das je nach Betrag sogar lediglich ein Internalisieren von Kosten, also ökonomisch die vernünftige Vorgehensweise.

Und man muss bedenken: Dieser Verzicht der Autobauer wie angekündigt passiert ja nicht im luftleeren Raum. Die Autobauer wissen genau, dass sie enormen Einfluss auf die Politik in Deutschland haben. Wenn selbst unter diesen Bedingungen niemand bereit ist, auf den Verbrennungsmotor zu setzen, ist das wohl auch keine ganz knappe Kosten/Nutzen-Kalkulation-


Meine Meinung: Am besten wäre langfristige Planbarkeit des Steigens des Co2-Preises. Daraus würde sich bspw logisch ableiten, wann eine Gasheizung nicht mehr attraktiv wäre (vielleicht schon heute nicht mehr, wenn der Co2-Preis entsprechend hoch wäre).


Die gibt es bereits in dem Sinn, dass Heizungen in in den Emissionsrechtehandel integriert werden. Aber mach dir nichts vor: Es gibt absolut KEINEN Grund zu glauben, dass Verbraucher rational genug sind, ohne Verbote ein soziales Optimum zu erreichen. Die Idee, dass Verbraucher den Preismechanismus auf mittlere Frist antizpieren können, glaubt seit man von Modellen zu Daten umgeschwenkt ist keiner mehr. Wenn man will, dass da maximum an Wärmepumpen nachgefragt ist, die die deutschen Heizungsinstallateure verbauen können*, MUSS man Leute jetzt über Verbote dazu zwingen. Preismechanismus ab 2029 reicht nicht und einfach den CO2-Handel vorzuziehen wäre eine riesige Subvention für die Industrie, weil dann jeder SOFORT eine Wärmepumpe haben will, in so kurzer Zeit aber die Produktion nicht hochgefahren werden kann und die Dinger gar nicht installiert werden können.


*plus eine frühzeitige Nachfrageerhöhung generiert wird, um Kapazitäten früher aufzubauen
 
Mitglied seit
25.09.2014
Beiträge
4.840
Reaktionen
1.164
Das ist natürlich so Quatsch. Die Industrie will Planbarkeit, kein Verbot.

Am besten wäre für die Industrie "nie Verbot".

Aber wenn die Alternativen sind "kurzfristiges Verbot irgendwann" vs "8 Jahre+ Planbarkeit", dann nehmen sie das Letztere.

Meine Meinung: Am besten wäre langfristige Planbarkeit des Steigens des Co2-Preises. Daraus würde sich bspw logisch ableiten, wann eine Gasheizung nicht mehr attraktiv wäre (vielleicht schon heute nicht mehr, wenn der Co2-Preis entsprechend hoch wäre).
Es gibt wenig Grund zu der Annahme, dass wir eine optimale Transformation eher erhalten, wenn wir einfach nur Preise festlegen und darauf setzen, dass die Marktteilnehmer sich dazu rational verhalten - über einen Zeitraum, der eher in Jahrzehnten als in Jahren gemessen wird.
Noch dazu ist die langfristige Planbarkeit des CO2-Preises eine Schimäre. Die wäre noch am ehesten durch eine Steuer zu realisieren - gegen die freilich auch jahrelang von allen Marktbefürwortern agitiert wurde. Es ist aber schon politisch völlig unrealistisch, dass wir heute schon wissen können, wie hoch die Steuer in 10 oder 15 Jahren sein wird. Und dass wir Einsparziele mit einem fixen Preisregime erreichen, ist auch nicht klar. Das Gegenmodell des marktkonformen CO2-Handels ist noch volatiler.

Es bleibt dabei, dass Planbarkeit (leider) durch fixe Ausstiegsdaten am besten gewährleistet und politisch durchsetzbar ist.
Ich glaube aber auch nicht, dass man im Sinne optimaler Steuerung damit besonders schlecht fährt.
Vermutlich sind wir damit sogar noch zu spät und zu milde: Ich halte für wahrscheinlich, dass wir die zig Millionen Verbrenner, die auch nach 2035 noch rumgurken, weiterhin durch massive Quersubvention der Allgemeinheit schützen werden, weil man es der Krankenschwester auf dem Land natürlich nicht zumuten kann, dass sie für ihren 10 Jahre alten Golf den echten CO2-Preis bezahlt.
Politisch ist dann zweitrangig, ob die Dame sich im Sinne rationaler Nutzenmaximierung hätte ausrechnen können, dass ihr Golf bei vollständig internalisierten Kosten viel teurer als ein E-Auto ist.
 
Zuletzt bearbeitet:

Benrath

Community-Forum
Mitglied seit
19.05.2003
Beiträge
19.484
Reaktionen
661
Am besten wäre für die Industrie "nie Verbot".

Das offenbart halt wieder dein eher simples Verständnis von Ökonomie, das immer nur auf die Unternehmersicht abstellt.

Man kann leicht Beispiele aufmachen, wo das Verbot als Koordinationsmechanismus helfen kann, weil alle Unternehmen eine schlechte Alternative, z.B. den Verbrennungsmotor, verfolgen, weil sie individuell davon profitieren würden, wenn sie der einzige wären, aber das gesamtwirtschaftlich und sogar individuell schlechter ist, wenn das alle machen.

Gemeinhin ist das das einfache Prisoner Dilemma. Natürlich könnte man den "Payoff" von Verbrennungsmotor auch mit anderen Maßnahmen als Verbot verteuern, aber in Anbetracht andere politökonomischer Probleme ist dann das Verbot anscheinend manchmal als Holzhammer besser umsetzbar als z.B. ein glaubhafter CO2 Preispfad.
 
Mitglied seit
27.06.2014
Beiträge
3.465
Reaktionen
1.264
Ort
Hamburg
Es bleibt dabei, dass Planbarkeit (leider) durch fixe Ausstiegsdaten am besten gewährleistet und politisch durchsetzbar ist.
Ich glaube aber auch nicht, dass man im Sinne optimaler Steuerung damit besonders schlecht fährt.
Vermutlich sind wir damit sogar noch zu spät und zu milde: Ich halte für wahrscheinlich, dass wir die zig Millionen Verbrenner, die auch nach 2035 noch rumgurken, weiterhin durch massive Quersubvention der Allgemeinheit schützen werden, weil man es der Krankenschwester auf dem Land natürlich nicht zumuten kann, dass sie für ihren 10 Jahre alten Golf den echten CO2-Preis bezahlt.
Aber damit lieferst du doch genau ein Argument, warum der Ausstieg aus der Produktion allein eben eine halbgaren Maßnahme ist.

So wie auch neue Gebäude schön auf kfw55 bauen und alte nicht anfassen nicht gut funktioniert.

Übrigens: Ich habe nichts gegen ein terminiertes Ende des Verbrenners, wenn der Zeithorizont lang genug ist. Weil ich wie die Industrie Planbarkeit für wichtig halte.

Ich finde es nur unredlich, so zu tun, als ob das Verbot ein Herzenswunsch der Industrie wäre.

Aus meiner Sicht wäre eine Kombination gut. Höhere CO2 Preise schon heute, damit jetzt schon der Anreiz da ist. Transparenz über den Anstieg dieses Preises. Aufklärungspflicht über den Kostenunterschied nicht nur heute, sondern nach den offiziellen Prognosen der Preise in der Zukunft (ähnlich wie die Auszeichnungspflicht bei Finanzprodukten bzgl total cost of ownership). Und dann gerne auch langfristige Ausstiegsdaten.

Aber ist alles Makulatur, wenn wir dann auch 2035 weiter Kohle verstromen, weil weder der EE Ausbau klappt noch wir Atomkraft nutzen.
 

Gustavo

Doppelspitze 2019
Mitglied seit
22.03.2004
Beiträge
5.507
Reaktionen
1.725
Aber ist alles Makulatur, wenn wir dann auch 2035 weiter Kohle verstromen, weil weder der EE Ausbau klappt noch wir Atomkraft nutzen.

Kohle unterliegt auch dem Emissionsrechtehandel. Es ist trivial, den Preis so zu gestalten, dass das bis 2035 nicht mehr der Fall ist, schon alleine weil Solar und Wind so schnell günstiget werden.
 
Mitglied seit
25.09.2014
Beiträge
4.840
Reaktionen
1.164
Aber damit lieferst du doch genau ein Argument, warum der Ausstieg aus der Produktion allein eben eine halbgaren Maßnahme ist.
Ich hab doch nie was anderes gesagt? Natürlich würde, wenns nach mir geht, der CO2-Preis deutlich stärker steigen und wäre auch schon heute viel höher.
Trotzdem finde ich es sinnvoll, wenn man für Leute, die es jetzt verchecken und später rumheulen, auch Signale setzt, die deutlich früher und klarer wirken als der CO2-Preis integriert über die nächsten x Jahre.
Wie man das genau macht und ob es dazu Verbote nutzt, ist mir relativ egal. Vielleicht wäre es ja gut die CO2-Steuer viel stärker in den Verkaufspreis zu packen, damit schon da klar ist, wie der Hase läuft? Es gibt zig Dinge, die man tun könnte.
 

GeckoVOD

Moderator
Mitglied seit
18.03.2019
Beiträge
3.780
Reaktionen
2.127
jetzt verchecken und später rumheulen
So einfach mal die Flotte auf E-Antrieb umrüsten ist nicht für jeden Betrieb ad hoc machbar, das muss über Jahre geschehen. Das Aussetzen der CO2-Erhöhung an und für sich, nach 2 Jahren Pandemie und einem Jahr Krieg, ist noch okay. Nicht jeder Betrieb hat die Größe von VW und co. V.a. da man im Verkehrssektor jetzt nicht die (CO2-)Einsparpotenziale hat, die es im Gebäudesektor oder anderen gibt.

Was imo mehr Sinn im Logistik- /Vekehrsbereich ergäbe, direkt:

- Tempolimit (AbEr MeInE fReIhEiT)
- Verbot von analoger Dialogpost um Auslieferungen zumindest etwas zu verringern (was soll diese Boomerscheiße auch?)
- Verbot / Verteuerung von kostenlosen Warenlieferungen unter einem Bestellwert von (Grenze eigtl. egal) 100€ oder einem Gewicht unter 10 kg, gleichzeitig Förderung vom Aufbau von Abholstationen
- Verbot von Inlandsflügen

Bräuchte imo nicht viel. Darüber hinaus

Gesetzliche Verankerung von Home-Office-Angebot, wenn es die Arbeit hergibt, bzw. Verringerung der gesetzlichen Hürden / Klärung dieser (Unfallversicherung, etc. pp.) und dem Ausbau des Schienennetzes / ÖPNV-Systemen. Geschieht beides imo viel zu zögerlich.
 
Mitglied seit
25.09.2014
Beiträge
4.840
Reaktionen
1.164
Ich kauf das Argument "denk doch mal einer an die kleinen Betriebe!" nicht. Gerade beim Transport, den du ansprichst, gehts doch um Dienstleistungen, die alternativlos hier zu erbringen sitzt. Jeder Preisanstieg trifft also auch die Konkurrenz und die Kosten können auf den Endverbraucher umgelegt werden. Und wenn das nicht geht, sinkt halt der Konsum oder verlagert sich in CO2-sparendere Alternativen - das ist doch Teil dessen, was wir politisch wollen.

Den Rest sollte man natürlich trotzdem nicht lassen. Wie verfehlt die Anreize immernoch sind, durfte ich grad wieder erleben, als wir für meine Frau nach Verbindungen von Berlin nach Paris geguckt haben. Wenn in 2023 der ICE mehr als doppelt so lange braucht wie das Flugzeug und trotzdem in quasi jeder Konstellation auch noch doppelt so teuer ist, läuft definitiv was schief.
 

GeckoVOD

Moderator
Mitglied seit
18.03.2019
Beiträge
3.780
Reaktionen
2.127
Ich kauf das Argument "denk doch mal einer an die kleinen Betriebe!" nicht.
Ja, das ist in deiner Blase schön zu glauben.
Wir warten in meinem Unternehmen seit 18 Monaten auf unsere bestellten E-Fahrzeuge, es stehen immer noch die Verbrenner da. Die Ladesäule wurde auch 2019 bestellt, erst Handwerkermangel, jetzt angeblich Materialknappheit. Modernisierung der Außendämmung des Gebäudes pausiert, weil zu hohe Baustoffpreise und Handwerkermangel. PV-Anlage zieht sich ewig, weil Denkmalschutz (ganz vergessen ,fick dieses Unsinnsamt). Bin mal gespannt ob Material da wäre.

Wirklich, der ganze Scheiß wurde von meiner Geschäftsführung Mitte 2019 angestoßen (Modernisierung Gebäudehülle, PV-Anlage, Umrüsten auf E-Fahrzeuge), wir warten immer noch, einen ganzen Polestar haben wir (tolle Wurst!). Und wir haben flüssige Mittel und dankbarerweise durch den Konzern eigene Architekten und Gewerke. Allerdings stagnieren die Bauvorhaben auch, siehe meine Posts im eigentlichen Thema Energie hier im Forum. Kenne aber genug Unternehmen, die dank Corona noch in Schräglage sind.

Ich weiß nicht, wen du unter dem "Endverbraucher" verstehst. Bei mir sind die Endverbraucher Sozialhilfeempfänger (aka. der Wohlfahrtsstaat), Kitas, Alten- und Pflegeheime. Da ist essig mit der Weitergabe, das zahlst nämlich eher du, als der Empfänger.
Es sind nicht nur die Käufer von Autos, die den Preis tragen und sich theoretisch leisten können. Co2-Bepreisung gilt für alle, nicht nur die Autobauer.
 

GeckoVOD

Moderator
Mitglied seit
18.03.2019
Beiträge
3.780
Reaktionen
2.127
:rolleyes: :rolleyes: :rolleyes:

CO2-Preiserhöhung aussetzen ist okay, da
- aktuell durch Corona (Mehrbelastung) und Ukraine (Störung Lieferkette, Mehrbelastung) genug finanzielle Unsicherheit da ist
- es andere Maßnahmen gibt, die man auch ansetzen kann, sofort umsetzbar sind und wenig indirekte Kosten erzeugen

Nirgends sagte ich, dass die Bepreisung generell schlecht ist. Spätestens ab 2025 sollte das wieder steigen, sobald irgendeine Sicherheit da ist.
 

parats'

Tippspielmeister 2012, Tippspielmeister 2019
Mitglied seit
21.05.2003
Beiträge
19.299
Reaktionen
1.329
Ort
Hamburg
Fraglich wofür ein thread. Hier gibt es doch keinen der in e fuels wirklich die Zukunft sieht, oder?
 
Mitglied seit
11.09.2002
Beiträge
4.895
Reaktionen
323
Kohle unterliegt auch dem Emissionsrechtehandel. Es ist trivial, den Preis so zu gestalten, dass das bis 2035 nicht mehr der Fall ist, schon alleine weil Solar und Wind so schnell günstiget werden.
Ist es nicht, da Solar und Wind nicht ausreichend sicher Energie liefern und die Speichertechnologien + Ausbau 2035 noch nicht so weit sein werden.
Trivial wird es nur wenn man annimmt, dass im Ernstfall "aus dem Ausland" Energie kommt oder wir abschalten.
 

Gustavo

Doppelspitze 2019
Mitglied seit
22.03.2004
Beiträge
5.507
Reaktionen
1.725
Ist es nicht, da Solar und Wind nicht ausreichend sicher Energie liefern und die Speichertechnologien + Ausbau 2035 noch nicht so weit sein werden.
Trivial wird es nur wenn man annimmt, dass im Ernstfall "aus dem Ausland" Energie kommt oder wir abschalten.

Da geht es aber um die Spitzenlast an maximal ein paar Tagen im Jahr, dementsprechend gering ist der Effekt auf das CO2-Budget. Ob wir Kohle verstromen ist ja nicht primär eine "Ja/Nein"-Frage, sondern eine "falls ja, dann wie viel"-Frage.
 
Mitglied seit
16.08.2010
Beiträge
6.113
Reaktionen
1.047
Okay, ich habe mich jetzt noch mal informiert ( :troll: ) und die EU scheint ja gar kein "Verbrennerverbot" zu planen. Sondern ein Verbot von Kraftfahrzeugen, die CO2 (Treibhausgase?) direkt ausstoßen. Das finde ich dann schon mal deutlich sinnvoller als zuerst gedacht.
Klimatechnisch wäre eine Bilanzbetrachtung zwar immer noch sinnvoller, ist aber schwierig umzusetzen und hilft u.U. nicht gegen die Belastung in den Städten.
 
Mitglied seit
25.09.2014
Beiträge
4.840
Reaktionen
1.164
Mich wundert eher, dass die Grünen das bisher nicht an die große Glocke hängen.

Für Lindner und die FDP ergibt das Verhalten durchaus Sinn. Seit Corona durch ist, kann die FDP mit keinem eigenen Projekt punkten und hat auch nicht wirklich was in der Pipeline. Ein Hauptziel scheint aktuell zu sein, den Grünen das Leben schwer zu machen, die man als Hauptkonkurrenz sieht. Da kommt Mittelknappheit recht gelegen, weil die Agenda der FDP eher in Verhinderung als Gestaltung besteht. Steuersenkungen kriegt man eh nicht durch, also wozu finanzielle Spielräume schaffen und den Koalitionspartnern damit Wünsche erfüllen?

Barkow liegt auf einer Linie mit der Bundesbank und dem Wissenschaftlichen Beirat des Finanzministeriums. Dieser hatte schon in einem Gutachten im Jahr 2021, als Scholz noch das Ministerium leitete, eine andere Buchungspraxis gefordert. Die Ökonomen hatten damals schon auf die Konstellation aufmerksam gemacht, vor der die Ampel nun steht. Sie schrieben: „Sollte es wegen steigender Zinsen zu hohen Disagien kommen, wirken diese wie kurzfristige Mehrausgaben, die anderswo im Haushalt eingespart werden müssen.“

Lindner könnte also im Etat 2024 die Buchungspraxis ändern und die Belastung durch die Kursabschläge auf Jahre hinaus verteilen. Dann gäbe es 2024 und in den Jahren danach mehr finanziellen Spielraum für andere Projekte. Einige Milliarden Euro könnten dann etwa für Kindergrundsicherung, Bildung oder auch die Bundeswehr verplant werden - statt für die keineswegs zwingende einmalige Verbuchung von Kursabschlägen bei Anleihen. Sicher ist aber auch: Die Zinslast des Bundes wird in den kommenden Jahren in jedem Fall wachsen.
Die Argumente, die Bilanzierung zu ändern, sind imo gut genug, dass es nicht wie ein Trick wirken würde, wenn man es anders machte.

Läuft doch für FDP und Union.

Bemerkenswert unbemerkenswert finde ich, wie Scholz sich verhält, als ginge ihn das alles nichts an. Als hätte er nicht einen Koalitionsvertrag ausgehandelt, der nicht finanzierbar ist und dann nochmal teure Commitments draufgelegt ("2-Prozent-Ziel übererfüllen"), von denen er schon jetzt nichts mehr wissen will.
Ganz der Scholzomat halt. Vielleicht spekuliert er darauf, dass die Union sich bis zur nächsten Wahl wieder selbst zerlegt?
 
Zuletzt bearbeitet:

Gustavo

Doppelspitze 2019
Mitglied seit
22.03.2004
Beiträge
5.507
Reaktionen
1.725
Inwieweit kann man denn mit billigen "Bilanz"-tricksereien die Leute täuschen? Das mag bei der breiten Masse gehen, aber jeder mit etwas mehr fachlichem Hintergrund müsste das doch sofort durchschauen. Irgendwie fehlte mir da der "Aufschrei", was nun viele Gründe haben kann.
Das man Lindner sowas durchgehen lassen würde, wäre für mich aber der unwahrscheinlichste.

Na ja, du hast da den üblichen Zyklus: Der typische Wirtschaftsjournalist in Deutschland versteht jetzt nicht SO viel Makro, insofern können das viele nicht selbstständig erkennen. Irgendwann kommen dann Artikel wie der, den saistaed gepostet hat und dann teilen sich die Reaktionen quasi in drei Gruppen auf:
- Diejenigen, die dagegen argumentieren oder den Standpunkt völlig ignorieren, weil sie sowieso der Meinung sind, dass Zinsen den Staat konditionieren sollten (so Leute wie Braunberger in der FAZ, Siems in der Welt)
- Diejenigen, die das als "einerseits, andererseits"-Geschichte darstellen ("die FDP sagt so, die Grünen sagen so") und wo es offen bleibt wer letztendlich der Wahrheit näher kommt (häufig alle bei Spiegel [außer Thomas Fricke] und Süddeutscher)
- Diejenigen, die das aufgreifen und als "Lindners Rechnung ist mehr Ideologie als Finanzmathematik" verkaufen (so jemand wie Schieritz in der Zeit, Fricke beim Spiegel)

Der Anteil derjenigen, die in die dritte Richtung schreiben, ist in Deutschland einfach gering. So liberal sie bei gesellschaftspolitischen Themen ist, so sehr gibt es einen konservativen Überhang bei wirtschaftlichen Themen, der sich erst langsam dreht, weil halt ca. die Hälfte der deutschen Wirtschaftsjournalisten vor mehr als 10 Jahren in Köln "VWL sozialwissenschaftlicher Richtung" studiert haben, wo lange Zeit die deutsche Orthodoxie gelehrt wurde. Ergo würden wohl ein paar mehr Leute merken, dass sie übers Ohr gehauen werden, aber nicht so viele mehr und letztendlich macht es für Lindner keinen großen Unterschied.
Letztendlich haben die Leute auch einfach viel zu wenig Ahnung davon, wie eine Volkswirtschaft funktioniert, als dass ich da große Erfolge erwarten würde. Meiner Erfahrung nach kannst du Leute nur extrem schwer von Dingen überzeugen, die für sie nicht intuitiv sind. Deshalb funktionierte die Schwarze Null auch so gut, weil alle wissen dass ihr Haushalt nicht dauerhaft mehr ausgeben kann als er einnimmt. Dass ein Staat etwas anderes ist als ein Haushalt dagegen ist überhaupt nicht intuitiv und geht dementsprechend nicht in die Köpfe der meisten Leute. Alleine schon dass niemand Nominalzinsen und Realzinsen auseinander hält in der Diskussion zeigt wie oberflächlich über das Thema geredet wird.

Du siehst ja selbst bei so Themen wie "Technologieoffenheit", dass die FDP nur gebetsmühlenhaft wiederholen muss, was dem Bürger erst mal einleuchtet ("warum verbieten wenn der Markt es doch auch regeln kann?") und damit durchdringt, selbst wenn so ziemlich jeder mit einem Hauch Sachverstand weiß, dass der Standpunkt blödsinnig ist.


Mich wundert eher, dass die Grünen das bisher nicht an die große Glocke hängen.

Was ich bei den Grünen nicht verstehe ist, dass sie sich nicht auf denselben Standpunkt wie die FDP stellen und eine conditio sine qua non aufstellen. Die FDP hat ja von Anfang an gesagt, mit uns gibt es keine Koalition außer wir schließen sowohl Steuerhöhungen als auch neue Schulden aus. Das ist natürlich erst mal ein ziemlicher Brocken, aber weil die FDP pivotal ist, kann sie sich das leisten (wobei dann natürlich Tricksereien gefunden werden müssen, um zumindest eins der beiden Ziele zu umgehen).
Die Grünen sind aber nicht weniger pivotal als die FDP, insofern hätten die Grünen auch sagen können "ohne verbindliche Festlegungen, mit denen wir auf das 1,5-Grad Ziel kommen gibt es mit uns halt keine Koalition." Wenn man wirklich in den Meinungsendkampf mit der FDP muss, was wichtiger ist, keine Neuverschuldung oder Klimaziel erreichen, hätte man damit glaube ich ziemlich gute Chancen in der Öffentlichkeit. Das Argument "wir können unseren Kindern doch keine Schulden hinterlassen" zieht nicht so sehr, wenn man gleichzeitig beim Klimawandel Abstriche machen will.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mitglied seit
25.09.2014
Beiträge
4.840
Reaktionen
1.164
Es scheint mir auch manchmal etwas schwer nachzuvollziehen und wirkt, als hätten die Grünen sowas wie einen Fairplay-Gedanken verinnerlicht, der ihnen teilweise mehr schadet als nützt.
Jetzt, wo mit Mindestlohn, Bürgerged und Kindergrundsicherung demnächst die großen sozialpolitischen Vorhaben abgearbeitet sind, die den Grünen auch am Herzen lagen - und die dreht man imo selbst mit einem Regierungswechsel nicht mal einfach so zurück -, könnten die Grünen ja mal etwas mehr riskieren, notfalls auch die Koalition.
 

Gustavo

Doppelspitze 2019
Mitglied seit
22.03.2004
Beiträge
5.507
Reaktionen
1.725
Es scheint mir auch manchmal etwas schwer nachzuvollziehen und wirkt, als hätten die Grünen sowas wie einen Fairplay-Gedanken verinnerlicht, der ihnen teilweise mehr schadet als nützt.
Jetzt, wo mit Mindestlohn, Bürgerged und Kindergrundsicherung demnächst die großen sozialpolitischen Vorhaben abgearbeitet sind, die den Grünen auch am Herzen lagen - und die dreht man imo selbst mit einem Regierungswechsel nicht mal einfach so zurück -, könnten die Grünen ja mal etwas mehr riskieren, notfalls auch die Koalition.


Ich könnte das jetzt nicht mit Literatur belegen, das ist mir aber auch schon häufiger aufgefallen und scheint wohl in vielen Demokratien so zu sein. Ergibt natürlich auch irgendwo Sinn: Tendenziell braucht die politische Linke zum Erreichen ihrer Ziele einen handlungsfähigen Staat mehr als die politische Rechte, weshalb die Linke zu größeren Konzessionen bereit ist, um Blockaden zu vermeiden, solange der Gesamtnutzen positiv ist.

Ich bin allerdings wie gesagt erstaunt, dass die Grünen der FDP da nicht das Messer auf die Brust setzen. Es wäre letztendlich glaube ich überhaupt nicht schwer für die Grünen zu vermitteln, dass sie sich beim 1,5-Grad Ziel nicht auf Kompromisse einlassen, weil das ihr absolutes Kernthema ist und die FDP kann sich im Zweifelsfall Neuwahlen von allen denkbaren Regierungsparteien am wenigsten leisten. Eine alternative Koalitionsoption ohne die Grünen ist nicht in Sicht.
 
Mitglied seit
27.06.2014
Beiträge
3.465
Reaktionen
1.264
Ort
Hamburg
Die Grünen sind halt selbst nicht konsequent in ihren Prioritäten, da ist es doch nicht überraschend, dass sie beim Thema Klimaschutz nicht konsequent in der Koalition sind.

Beispiele wären ihre Fokussierung auf soziale Wohltaten, die viel Geld kosten, sowie der ideologische Wahnsinn, lieber Kohle zu verfeuern, statt Atomkraftwerke laufen zu lassen.
 
Mitglied seit
16.08.2010
Beiträge
6.113
Reaktionen
1.047
Die Grünen sind halt auch einfach "nur" ne normale Partei.
 

Gustavo

Doppelspitze 2019
Mitglied seit
22.03.2004
Beiträge
5.507
Reaktionen
1.725
Die Grünen sind halt selbst nicht konsequent in ihren Prioritäten, da ist es doch nicht überraschend, dass sie beim Thema Klimaschutz nicht konsequent in der Koalition sind.

Beispiele wären ihre Fokussierung auf soziale Wohltaten, die viel Geld kosten, sowie der ideologische Wahnsinn, lieber Kohle zu verfeuern, statt Atomkraftwerke laufen zu lassen.

Soziale "Wohltaten" (auch ein Kampfbegriff btw) sind dafür ja wohl kein gutes Beispiel. Policy wird in der politischen Realität in einer funktionierenden Demokratie immer bedeuten, dass man bestimmte Ziele austarieren muss. Lexikalische Ziele, in dem Sinn dass man Ziel A erst vollständig und 100% erreicht haben muss, bevor man sich Zielen B, C, D usw. widmet, sind in der realen Politik extrem ungewöhnlich. Ich nehme an wenn die Wahl zwischen einem Staat mit extrem hoher wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit (man denke etwa an Brasilien oder ähnliche) und 100% Klimaschutzziele werden erreicht und einem egalitäreren Staat (man denke etwa an Deutschland), aber 65% Klimaschutzziele werden erreicht hätte, dann würden sich nur die wenigsten für die erste Option unterscheiden. Das ist nicht inkonsequent, sondern kann eine völlig rationale Nutzenabwägung machen. Carles Boix in Princeton hat bspw. ein Paper, bei dem er sich solche tradeoffs bzgl. demokratischer Prinzipien selbst anschaut und sieht, dass das in verschiedenen Kontexten (USA, Frankreich, Brasilien) normal ist.

Atomkraftwerke abschalten ist tatsächlich ziemlich inkonsequent. Daraus kannst du aber nicht folgern, dass die Wähler nicht trotzdem reale Präferenzen haben, sie haben nur eben in diesem Fall inkohärente Präferenzen. Solche zu finden ist aber in der Umfrageforschung eher die Regel als die Ausnahme, Atomkraft ist nur halt ein super offensichtliches Beispiel. Allerdings wird das häufig auch als politisches Argument stark übertrieben: Atomkraft könnte in jedem Fall nur einen marginalen Teil zur Elektrifizierung beitragen, zumindest in dem Zeitfenster in dem man die Energiewende umsetzen will. Es ist eine Sache eine in sich inkohärente Meinung zu vertreten, wenn sie minimalen Schaden am größeren Ziel verursacht. Es ist eine andere, wenn das Ziel dadurch enorm erschwert wird. Davon kann in dem Fall aber keine Rede sein; FDP und Union führen das gerne an, weil es so offensichtlich widersinnig ist.
 
Mitglied seit
27.06.2014
Beiträge
3.465
Reaktionen
1.264
Ort
Hamburg
Richtig, man muss verschiedene Prioritäten miteinander austarieren.

Wenn ich nun in einer Koalition mit der FDP bin, die offen sagt "für uns ist die schwarze Null das wichtigste", dann muss man sich halt entscheiden:

1. Ich depriorisiere Ausgaben die nichts mit dem Klimaschutz zu tun haben
2. Ich tue das nicht, kann dann aber nicht surprised Pikachu sein, weil meine angebliche existentielle #1 Priorität zu wenig funding hat

Es ist ja nicht so, dass ohne die zusätzlichen Sozialausgaben (oder ist das auch ein Kampfbegriff?) Deutschland auf einmal ein total unsoziales Land wäre.

Mal von der Tagespolitik in Deutschland abgesehen: Klar sollten Länder wie Brasilien da die Balance halten. Aber am Ende wird es beim Thema Klimaschutz auch nicht ohne Einschnitte beim Thema "Sozialstaat-Utopie" gehen.
 

Gustavo

Doppelspitze 2019
Mitglied seit
22.03.2004
Beiträge
5.507
Reaktionen
1.725
Richtig, man muss verschiedene Prioritäten miteinander austarieren.

Wenn ich nun in einer Koalition mit der FDP bin, die offen sagt "für uns ist die schwarze Null das wichtigste", dann muss man sich halt entscheiden:

1. Ich depriorisiere Ausgaben die nichts mit dem Klimaschutz zu tun haben
2. Ich tue das nicht, kann dann aber nicht surprised Pikachu sein, weil meine angebliche existentielle #1 Priorität zu wenig funding hat


Du setzt hier einfach mal voraus, was eben erst zu diskutieren ist: Dass die FDP die fiskalischen Parameter erst mal prioritär abstecken kann und dass die anderen Parteien dann innerhalb dieser bzgl. ihrer Wünsche operieren müssen. Mit genau derselben Berechtigung könnte man sagen "die Grünen sagen es müssen alle Ausgaben getätigt werden die nötig sind um auf den Reduktionspfad zu kommen der nötig ist" und die FDP (und SPD) sollen sich dann halt Gedanken machen, wie man darum anderweitig Geld einsparen oder mehr einnehmen kann, um das zu finanzieren und danach ihre Wünsche umsetzen. Was da geht oder nicht geht ist letztendlich eine Frage davon, wie viel politisches Gewicht man geltend machen kann.

Meine These war ja gerade, dass die Grünen da politisch die besseren Argumente hätten, denn im Gegensatz zur FDP könnten sie sich Neuwahlen leisten*. Im Zweifelsfall müsste man sich halt wieder fiskalpolitische Rechentricks ausdenken, um das Geld als Schulden aufzunehmen, was ja letztendlich auch Sinn ergibt, da das eine Infrastrukturinvestition ist, von der künftige Generationen profitieren, was genau die Art von Ausgabe ist die man auch in der Theorie mit Staatsschulden finanzieren kann und sollte, um die fiskalischen Lasten besser zu verteilen.



*ferner vermute ich, dass die meisten Leute sich beim abstrakten tradeoff "neue Staatsschulden und CO2-Reduktion oder keine neuen Staatsschulden und keine CO2-Reduktion" für Ersteres entscheiden würden

Es ist ja nicht so, dass ohne die zusätzlichen Sozialausgaben (oder ist das auch ein Kampfbegriff?) Deutschland auf einmal ein total unsoziales Land wäre.

Mal von der Tagespolitik in Deutschland abgesehen: Klar sollten Länder wie Brasilien da die Balance halten. Aber am Ende wird es beim Thema Klimaschutz auch nicht ohne Einschnitte beim Thema "Sozialstaat-Utopie" gehen.

Es ist auch nicht so, als könnte Deutschland mit mehr Staatsschulden absehbar seine Schulden nicht mehr bedienen oder mit einer höheren Staatsquote wirtschaftlich nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Es gibt volkswirtschaftlich überhaupt kein Argument, warum der tradeoff hauptsächlich Sozialausgaben gegen Klimaschutz sein muss und nicht etwa Steuererhöhungen gegen Klimaschutz oder Staatsschulden gegen Klimaschutz oder halt irgendeine Kombination der drei. Ersteres ist lediglich das framing, das die FDP bevorzugt, aber das macht es ja deshalb nicht allgemeinverbindlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mitglied seit
27.06.2014
Beiträge
3.465
Reaktionen
1.264
Ort
Hamburg
A priori vor der Koalitionsverhandlung hast du recht: Dann hätten die Grünen mehr versuchen können.

Dennoch wäre auch dann die Frage, ob die Grünen nicht mehr zwischen Klima und sozial priorisieren müssten. Ich denke schon.

Die Grünen können sich imo nur dann Neuwahlen leisten, wenn sie bereit für eine Koalition mit der CDU sind. Auch dann würden sie sehr wahrscheinlich nicht gleichzeitig alle Klimamaßnahmen und *insert Kampfbegriff* bekommen.
 
Mitglied seit
25.09.2014
Beiträge
4.840
Reaktionen
1.164
Was wollen die Grünen denn, das nicht im Koalitionsvertrag steht? Das mit den fossilen Heizungen wird doch afaik nur um ein Jahr vorgezogen?
Es sollte doch eigentlich klar sein, dass man bei den Klimaschutzmaßnahmen nachbessern muss, da wir durch den Krieg jetzt mehr Kohle verstromen, als geplant war. Bei den AKWs haben die Grünen doch auch eine pragmatische Anpassung mitgemacht.

Die 100 Bundeswehr-Milliarden standen auch nicht im Koalitionsvertrag und wurden von der FDP abgenickt. Offensichtlich hat die FDP kein Problem mit spontanen Neuschuden in großer Höhe, sondern ein Problem, wenn damit Projekte umgesetzt werden, die vornehmlich mit den Grünen verbunden sind.

Umgekehrt hat die FDP auch kein Problem damit, Maßnahmen wie das Verbrenner-Aus zu blockieren, die exakt so im Koalitionsvertrag stehen.
 
Mitglied seit
27.06.2014
Beiträge
3.465
Reaktionen
1.264
Ort
Hamburg
Eine pragmatische Anpassung wäre, den Atomausstieg komplett rückgängig zu machen bzw die 6 noch betriebsfähigen AKW so lange laufen zu lassen, wie es geht.

3 AKW um ein Jahr zu verlängern war keine "pragmatische Anpassung", sondern das allermindeste.

Ich habe übrigens nichts dagegen, dass ihr auf der FDP herum hackt. Aber die Grünen hier auf das Podest hoher Vernunft zu heben ist einfach absurd.
 
Mitglied seit
25.09.2014
Beiträge
4.840
Reaktionen
1.164
Die Grünen sind bei weitem nicht perfekt, machen aber imo von allen Parteien insgesamt die pragmatischste, ideologiebefreiteste und vernünftigste Politik.
Tragisch ist, dass das Hickhack zwischen den Parteien und ihren teils ideologischen Standpunkten sich fast immer in gegenseitiger Verhinderung, fast nie in gegenseitiger Ertüchtigung niederschlägt. Hauptschuld trägt daran imo FDP, gefolgt von der Union, weil die beide ihr politisches Kapital in deutlich höherem Maße aus der Verteidigung des Status quo schöpfen.


Eine pragmatische Anpassung wäre, den Atomausstieg komplett rückgängig zu machen bzw die 6 noch betriebsfähigen AKW so lange laufen zu lassen, wie es geht.
Sagt wer?
 

Benrath

Community-Forum
Mitglied seit
19.05.2003
Beiträge
19.484
Reaktionen
661
Ist auch wieder lustig wie Xantos auf dem einen Pferd rumreitet, das zugegeben tot ist und den Grünen nur geschadet hat, statt sonst was zu nennen. Der Rest wird ignoriert. Es gibt drölf Beispiel wo die FDP lachend in die Kreissäge rennt und quasi das offensichtliche Ziel nur noch ist, wie lasse ich meinen Koalitionspartner schlecht aussehen.
 
Mitglied seit
27.06.2014
Beiträge
3.465
Reaktionen
1.264
Ort
Hamburg
Das Thema ist nicht tot. Die Grünen hatten jetzt ein Jahr einzusehen, dass man Atomenergie braucht bzw mindestens nicht abschalten sollte. Haben die Grünen auch in anderen Ländern geschafft. Wenn man das nicht kann, weil man sich nicht gegen Wissenschaftsfeindliche Deppen in den eigenen Reihen durchsetzen kann, dann braucht man auch nicht den Anspruch haben, etwas in Deutschland durchzusetzen.
 
Oben