Selbst wenn du nur die deutsche Energiewende meinst: Auch bei dieser wird gerade der Atomausstieg aus dem Ausland kritisiert, absolut auch von Experten. Beispiel:
"A comprehensive study, published in Energy Policy in 2013, reported that Germany's nuclear power phase-out, to be complete by 2022, is contradictory to the goal of the climate portion of the program."
Quelle:
https://www.mech.kuleuven.be/en/tme/research/energy_environment/Pdf/wpen2012-1
Warum sollte das auch nicht so sein? Kumulativ haben wir einen Haufen bereits gebauter Kraftwerke abgeschaltet, die noch Jahrzehnte laufen konnten und Massen an Energie mit minimalem Co2-Ausstoß produzierten.
Es ist sehr Deutschland-spezifisch, das schönzureden. Solltest gerade du als Kosmopolit doch etwas neutraler sehen können anstatt hier den Atomausstieg schönzureden (auch Verharmlosung ist schönreden).
Ich sage doch gar nichts anderes? Ich muss zugeben dass sich die Leute natürlich mit der Energiewende nicht richtig auskennen, aber jeder der mal hier oder dort einen Artikel darüber gelesen hat (natürlich preisbedingt insbesondere innerhalb des letzten Jahren) und mich darauf mal anspricht meint eher so "hey man, wtf?" Ich habe glaube ich im wahrsten Sinne des Wortes noch niemanden in den USA getroffen, der den Atomausstieg gut fand. Geschenkt.
ABER: Nochmal, das Ziel von Klimapolitik ist (oder müsste sein) momentan, möglichst viel CO2 einzusparen zu einem möglichst geringen Gesamtpreis (also einerseits Ausgaben und andererseits negative Einflüsse auf die Volkswirtschaft zu vermeiden). Wenn man Parteien danach bewertet, wie sie das machen, wäre es optimal, das Maximum an CO2 mit dem Minimum an Mitteleinsatz einzusparen. Ich nehme an soweit sind wir uns einig. Das machen die Grünen nicht, weil sie für den Atomausstieg waren und sind. Das ist schlecht. Ebenfalls geschenkt. Ich finde es zwar etwas unehrlich, das als genuin grünes Problem darzustellen, obwohl letztendlich alle Parteien (und ein großer Teil der Bevölkerung, was wiederum erst die Unterstützung von Union und FDP forciert hat) für den Atomausstieg waren, zumal auch heute eigentlich niemand in der deutschen Parteienlandschaft über einen echten Wiedereinstieg in Atomkraft spricht; realistischerweise sind Maximalforderungen eher sowas wie die Atommeiler noch ein paar Jahre laufen lassen. Aber gut, auch das geschenkt.
Sagen wir mal, in einer Welt ohne die Grünen wäre der Wiedereinstieg in Atomkraft ausgemacht. Würde effektiv bedeuten, die sechs Atomkraftwerke die noch gingen laufen weiter*. Das produziert auch Kosten (die Werke müssten mit längerer Laufzeit häufiger gewartet werden) und Probleme (woher kriegt man die Brennstäbe, wenn Russland rausfällt), aber die sind letztendlich verkraftbar. Dementsprechend spart Deutschland durch diesen Betrieb eine bestimmte Menge CO2 ein. Ewig sollten die Dinger natürlich nicht weiterlaufen, insofern kauft man sich dadurch Fläche unter der Kurve, die man anderweitig langsamer die Erneuerbaren ausbauen kann, weil sie bis 2045, wenn Deutschland klimaneutral sein will, wohl ihr natürliches Lebensende erreicht haben dürften. Dementsprechend werden die Kosten pro eingesparten Tonne CO2 effektiv etwas günstiger. Wohlgemerkt nicht sehr viel, denn so groß ist der mögliche Beitrag dieser sechs AKW nicht, aber etwas. Das wäre gut und ich würde es begrüßen, wenn man die Dinger am Netz lässt, bis man sie mit Erneuerbaren substituieren kann.
Gehen wir jetzt davon aus, in einem Deutschland, in dem die Grünen das Sagen hätten, würden wir trotzdem auf den CO2-Pfad kommen. Die Kosten dafür wären allerdings etwas höher (wohlgemerkt: "etwas höher" im Vergleich zu einem CO2-Pfad konformen Handeln mit AKW; die Kosten insgesamt werden natürlich sehr hoch sein, aber das liegt in der Natur der Sache, dass man [fast] alle möglichen CO2-Quellen innerhalb von relativ kurzer Zeit substituieren muss). Das jetzt aber "schönreden" zu nennen, wie du es mir vorwirfst, ist halt einfach unverschämt, weil es nun mal letztendlich auf die Kosten und die Einsparungen ankommt. Da sind die Grünen letztendlich trotz allem mit Abstand die Partei, die nahe am Optimum operiert, weil die anderen Parteien (insbesondere die FDP, aber auch die Union und in geringerem Maße die SPD) halt effektiv keinen Plan haben, wie man auch nur in die Nähe von CO2-Neutralität bis 2045 kommt, geschweige denn unter Einhaltung des CO2-Budgets. Die FDP ist von allen (wieder: mit Ausnahme der AfD) die am wenigsten effiziente, weil ihre Lösung mehr oder weniger ein riesengroßes Fragezeichen ist. Wissing ist quasi das personifizierte Beispiel dafür: Einerseits finde ich den Umgang mit ihm ja ein bisschen unfair, weil es im Verkehrssektor einfach am schwersten ist schnell CO2 einzusparen, wofür er nichts kann. Andererseits ist halt ziemlich offensichtlich, dass sein Plan letztendlich überhaupt nicht ist, auch nur in die Nähe eines vernünftigen Beitrags durch den Verkehrssektor zu kommen, sondern eben das Problem auszusitzen, immer auf dem politisch noch rechtfertigbar langsamsten Pfad zu bleiben und sich am Ende seiner Amtszeit dann dafür zu rühmen, die angebliche Deindustrialisierung Deutschlands zumindest verlangsamt zu haben. Dass die Langfristkosten für das verfehlte CO2-Budget effektiv deutlich größer sind als die "Einsparungen" dadurch, die Leute jetzt nicht auf einen effektiven CO2-Pfad zu bringen, auch wenn es erst mal teurer wird, wird dabei völlig ausgeblendet.
Und hier kommt jetzt der springende Punkt: Mir ist schon klar, dass der Atomausstieg ostentativ ein nicht-optimaler Pfad hin zur Klimaneutralität ist. Ist leicht, sich darüber lustig zu machen und fällt auch jedem halbwegs vernünftigen Menschen sofort auf. Alles wahr. Aber letztendlich sind das eben auch nur Kosten und die kann man vergleichen. Und diese Kosten werden eben durch den lange rausgezögerten Pfad immer höher. Den Grünen den Atomausstieg in Rechnung zu stellen, obwohl sie nicht an der Regierung waren, ihnen dann aber auch nicht die erhöhte Effizienz einer nicht so lange rausgezögerten Energiewende nicht auf die Haben-Seite zu schreiben ist halt einfach unfair. Und nicht gleichzeitig zu sehen, dass andere ebenfalls suboptimale Wege hin zur Energiewende gehen, die vielleicht nicht ganz (aber doch immer noch sehr) suboptimal sind, ist auch nicht fair. Nach deinem Maßstab wäre jede Partei, die die Pendlerpauschale behalten möchte, doch auch irrational. Aber in der Gesamtbetrachtung macht es halt einfach NULL Sinn, so zu tun, als gäbe es keine Unterschiede zwischen Grünen und FDP (oder Grünen und Union oder Grünen und AfD), nur weil keine der Parteien einen optimalen Pfad gewählt hat.
Und das lässt den größten, nahezu nie erwähnten Kostenpunkt noch komplett außen vor: Um dieselbe Menge Einsparungen zu erreichen sind Subventionen um einen Kostenfaktor von (Schätzungen) vier bis fünf teurer als Ordnungspolitik (was man, je nachdem auf welcher Seite man politisch steht, "Verbote" oder "Gebote" nennt). Ein optimaler Mix hat beides, aber nicht im gleichen Maße. Da verschleudern wirtschaftsnahe Parteien das Geld geradezu, indem sie (vielen, nicht allen) Unternehmen, die sich das auch so leisten könnten, ihre CO2-Einsparungen quasi abkaufen. Das ignoriert deine Betrachtung völlig, weil sie sich auf einen kleinen Teil der Energiewende über jede Gebühr fokussiert und andere Teile völlig außer Acht lässt.
*Neue würden nicht gebaut, das halte ich für wirtschaftlich unter heutigen Bedingungen für ausgeschlossen. Vielleicht gibt es irgendwann noch einen Effizienzsprung, dann könnte sich diese Rechnung wieder ändern, aber in Anbetracht der Tatsache dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein will und man die Fläche unter der Kurve auch dem CO2-Gesamtbudget konform gestalten will, wäre der Beitrag für Deutschland wohl vernachlässigbar
Es ist ein Vergleich. Ich finde sowohl die Position "Atomausstieg sind Peanuts, daher warum daran aufhalten" als auch "Deutschland ist global Peanuts, also warum sollten wir massiv Wohlstand ausgeben für Klimaschutz" schlecht.
In gewisser Weise ist die zweite Position sogar logischer, wenn man Egoist ist. Dann könnte Deutschland das Minimum machen und auf Klimawandel vorbereiten, anstatt viel Wohlstand zu opfern, um der Welt zu helfen und ein Vorbild zu sein.
Wenn man dann derjenige ist, der von anderen Verzicht erwartet, damit Deutschland seine Ziele erreicht und Vorbild ist, dann hat man mMn die verdammte Pflicht, seine eigenen Scheuklappen abzulegen. Damit meine ich nicht in erster Linie die Oma, die halt Angst vor Atomenergie hat. Sondern die Grünen-Politiker, die es ja durchaus einsehen, aber aus reinem Partei-internen Kalkül keine offene Debatte daraus machen, wie es sie in anderen Ländern in den grünen Parteien längst gibt.
Wie gesagt: Wenn du so darüber nachdenken willst, steht dir das ja frei. Aber dann kannst du nicht einfach ignorieren, dass das massenhaft in jeder Partei passiert. Den Grünen, die wie gesagt schon mehr tun als die anderen Parteien, das auch noch vorzuhalten, obwohl letztendlich alle das Ziel (zumindest rhetorisch) teilen, ist halt einfach unsinnig. Das ist genau so ein plattes Argument wie sich über irgendwelche Klimaprotestierer zu mockieren, die auf den Urlaub nach Bali fliegen: Für das Klima macht letztendlich nur die Menge an CO2 einen Unterschied, nicht ob sie für Urlaubsflüge nach Bali, Fahrtwege zum eigenen Arbeitsplatz oder Leopard 2-Produktion zustande kommt. Es gibt keinen Heuchelei-Multiplikator.
€dit:
Gustavo deine Argumentation ist nicht konsistent.
Du kannst nicht argumentieren, dass der Weiterbetrieb der 6 AKWs nur einen marginalen Impact hat (was ebenso eine sehr willkürliche Bezeichnung deinerseits ist, bei einem Volumen von fast 10% des deutschen Strombedarfs) und gleichzeitig ausblenden, dass der Weiterbetrieb im Gegenzug so gut wie gar keine Kosten verursacht.
Die 6 AKWs weiter zu betreiben ist so ziemlich das naheliegenste, logischste und beste was wir zur CO2-Reduzierung überhaupt tun können.
Es nicht zu tun, sollte sehr genau begründet werden, insbesondere wenn die Regierung schon in so einen Panikmodus verfällt, Gasheizungen ab 2025 zu verbieten, obwohl es gar keine Möglichkeit gibt diese in der Zeit zu substituieren.
Wie kommst du darauf, dass ich das ausblende? Ich sage bloß man kann halt auch nicht ausblenden, dass die Kosten bei Verfehlen des Ziels ungleich höher sind. Die sind natürlich nicht so offensichtlich zurechenbar wie beim Atomausstieg (auch wenn ich wie gesagt nicht richtig sehe, dass man die Grünen dafür als Hauptverantwortlichen ausmachen kann), deshalb aber nicht weniger real.