Die umstrittene Kindergrundsicherung soll nach Vorstellung der Grünen nun doch mit weniger als 5000 zusätzlichen Verwaltungskräften auskommen. Das haben führende Politikerinnen der Partei am Wochenende angekündigt – ohne aber näher zu erläutern, wie sie dies erreichen wollen, ohne ihr Projekt grundlegend zu ändern. Genau das sorgt jetzt für neuen Unmut in der Sozialverwaltung, allen voran in der
Bundesagentur für Arbeit, die neben den Kommunen in besonderem Maße davon betroffen ist. Es herrsche „große Verwunderung“ über ein „freihändiges Hantieren“ mit Zahlen zum Personalbedarf der Kindergrundsicherung, wie es in dieser Debatte neuerdings geschehe, erfuhr die F.A.Z. am Montag aus Behördenkreisen.
Einen konkreten Vorschlag dazu, wie sich der Mehrbedarf an Personal senken ließe, gibt es vom Deutschen Landkreistag: Er fordert, auf die im Gesetzentwurf von Familienministerin
Lisa Paus (Grüne) vorgesehene Einführung neuer Doppelzuständigkeiten für Familien im Bürgergeld zu verzichten. Denn das sei „der grundlegende Konstruktionsfehler“, kritisiert der Präsident des kommunalen Spitzenverbands, Reinhard Sager. Bisher stießen solche Vorschläge aber auf entschiedenen Widerstand der Grünen. Insgesamt zwei Millionen Kinder leben derzeit in Familien, die Bürgergeld beziehen.
Bisher ist es so, dass diese Kinder ihre Leistungen zusammen mit den Eltern aus einer Hand erhalten: Fürs Berechnen und Auszahlen der Grundsicherung sind die
Jobcenter zuständig. Mit der geplanten Reform käme aber eine neue Zuständigkeit der Familienkassen hinzu: Diese würden nicht mehr nur das pauschale Kindergeld auszahlen, sondern auch die stets individuell zu ermittelnde monatliche Geldleistung für den Lebensunterhalt der Kinder im Bürgergeld. Für die Eltern bliebe hingegen das Jobcenter zuständig; und für mögliche Sonderbedarfe der Kinder wären weiterhin die Jobcenter zuständig.
Neue Behördenschnittstelle Grund für mehr Personal
Diese im Gesetzentwurf vorgesehene neue Behördenschnittstelle gilt als Hauptgrund dafür, dass ungewöhnlich viel zusätzliches Personal in der Sozialstaatsverwaltung benötigt wird. Der Familienministerin und ihrer Partei galt aber diese neue Schnittstelle bisher als politisch unverzichtbar, da sie das Ziel verfolgen, „Kinder aus dem Bürgergeld herauszuholen“, wie Paus es formuliert hat. Ihrer Vorstellung zufolge wäre dies erreicht, sobald das Geld für die Kinder nicht mehr vom Jobcenter kommt. Auch in ihrem Modell würden die Kinder aber weiterhin bei ihren Eltern leben, die Bürgergeld beziehen.
Am Wochenende war Paus unerwartet von ihrem Ziel abgerückt, zur Einführung der
Kindergrundsicherung 5000 neue Verwaltungsstellen bei den Familienkassen im Organisationsbereich der Bundesagentur für Arbeit aufzubauen. Noch Anfang April hatte sie argumentiert, dass ein solcher Personalaufbau nötig sei, um für Leistungsbezieher die versprochenen Vereinfachungen zu erreichen. Nun aber zeigte sie Verständnis dafür, „dass die Zahl, die im Umlauf ist, Diskussionen verursacht“. Sicher lasse sich der Personalbedarf durch „Synergieeffekte“ und „Digitalisierung“ reduzieren. Zudem handele es sich bei den genannten 5000 Stellen nur um „Prognosen der Bundesagentur für Arbeit“.
„Keine 5000 neuen Stellen“
Hinweise darauf, dass sie eine Abkehr von geplanten Doppelstrukturen erwägen könnte, um den Personalbedarf zu senken, gab die Ministerin jedoch nicht. Verstärkt wurde ihre neue Positionierung allerdings von der Grünen-Ko-Vorsitzenden
Ricarda Lang: Es sei nun klargestellt, dass es „keine 5000 neuen Stellen geben“ werde, sagte Lang am Sonntagabend in der ARD. Also gebe es „auch keinen Grund, dass die Debatte sich weiter an dieser Zahl aufhängt“.
Beide Politikerinnen übergingen damit aber die fachlichen Grundlagen, auf denen der Personalbedarf beruht. Es handelt sich nicht um eine freihändige Schätzung der Bundesagentur für Arbeit (BA), sondern um Berechnungen nach üblichen Grundsätzen zur Personalbedarfsermittlung von Behörden. Im November hat die BA den Bedarf in einer Stellungnahme mit 5355 Vollzeitäquivalenten beziffert. Und sie deklarierte dies als vorläufige Angabe, da einige verwaltungsrelevante Sachverhalte noch auf politische Klärung warteten.
Einwände der FDP nicht ausgeräumt
Auf Nachfrage stellte die BA am Montag heraus, dass sie solche Berechnungen immer „in Abstimmung mit dem Ministerium“ vornehme – gestützt auf den Gesetzentwurf und auf Parameter, die in diesem Fall das Familienministerium vorgelegt habe. Den „Erfüllungsaufwand“ von Gesetzen so zu ermitteln sei „das normale Prozedere für uns als umsetzende Behörde für jedes neue Gesetz“, erläuterte ein Sprecher der Bundesagentur.
Daraus folgt, dass sich durch eine bloße politische Erklärung der erwartete Personalbedarf nicht senken lässt. „Wenn sich das Gesetz verändert – und es wird sich im parlamentarischen Verfahren verändern –, dann werden wir den Personalbedarf erneut berechnen“, kündigte die Bundesagentur an. „Ob das dann mehr oder weniger Stellen sein werden, können wir erst sagen, wenn uns der Entwurf vorliegt.“
Neben der oppositionellen Union hatte auch die
FDP scharfe Kritik am geplanten Aufbau von 5000 Stellen formuliert. Sie machte am Montag deutlich, dass sie ihre Einwände durch die Ankündigungen der Grünen vom Wochenende nicht ausgeräumt sieht. „Jetzt brauchen wir aber noch einen Gesetzentwurf, der diesen Zielen auch entspricht“, sagte FDP-Vize und Fraktionsgeschäftsführer Johannes Vogel.