1. Einen abschreckenden Namen wählen
Na klar, Wege zum Erfolg gibt es immer, das wäre ja die leichtere Übung. Die frühere Familienministerin Franziska Giffey hätte vermutlich von einem „Glückliche-Kinder-Gesetz“ gesprochen, wenn sie Milliardensummen für den Nachwuchs verteilt. Dem Kanzler wäre vielleicht ein „Familien-Wumms“ in den Sinn gekommen, und der Grüne
Robert Habeck hätte ein hübsches Erklärvideo mit ein paar philosophischen Weisheiten gedreht. Ein Name, der das Projekt von vornherein verunglimpft, war schon deutlich schwerer zu ersinnen, schließlich findet es eine klare Mehrheit der Deutschen laut Umfragen im Prinzip ganz gut, dass die Politik etwas gegen Kinderarmut tut. Aber es gibt trotzdem noch Möglichkeiten, das Ganze erfolgreich ins Negative zu drehen.
Mit dem Wort „Kindergrundsicherung“ zum Beispiel. „Grundsicherung“: War das nicht der hässliche alte Name für das Geld, das Langzeitarbeitslose nach Schröders umstrittenen Agenda-Reformen erhielten – und den die Regierung gerade erst durch das viel hübscher klingende „Bürgergeld“ ersetzt hatte? Großartig, wenn man das Projekt von vornherein desavouieren will: Man denkt dabei sofort an „Hartz“, also entweder an jenen zähen Saft der Nadelbäume, den man mit noch so viel Seife nicht von den Fingern bekommt, oder an den gleichnamigen VW-Personalvorstand mit seinen kaum weniger klebrigen Affären. Noch besser wäre allerdings eine Abkürzung: „KGS“ klänge schön technokratisch, vor der „KiGruSi“ könnten sich die Leute sogar gruseln.
2. Mit hohen Kosten drohen
Normalerweise pflegen Politiker die Kosten herunterzurechnen, wenn sie ein Projekt durchsetzen wollen. Das aberwitzige Stuttgarter Bahnhofsprojekt? Spottbillig zu haben. Eine schicke neue Philharmonie an der Elbe? Kostet nur ein Trinkgeld. Das Koppeln der Renten an die Löhne? Locker zu bezahlen, denn „Kinder bekommen die Leute immer“, wie der erste Bundeskanzler die Kritik seines eigenen Wirtschaftsministers abbügelte. Wenn sich das dicke Ende vor aller Augen abzeichnet, sind die Vorhaben sowieso nicht mehr rückgängig zu machen. Aber das gilt natürlich nur, wenn man den Erfolg auch will.
Wer es aufs Scheitern anlegt, sollte lieber mit hohen Summen einsteigen – selbst wenn er oder sie gar nicht erklären kann, wozu das viele Geld im Detail eigentlich nötig ist. Auch hier taugt die Familienministerin als leuchtendes Vorbild. Zwölf Milliarden Euro forderte sie forsch, mitten ins entstehende Haushaltsloch hinein. Nur so konnte sie sicher sein, dass der Finanzminister ihren Wunsch auch wirklich ablehnen würde. Und nur so schaffte die Ministerin es, dass die 2,5 Milliarden Euro, die sie am Ende heraushandelte, auch ganz sicher wie eine krachende Niederlage für sie selbst aussehen würden.
3. Die ganze Regierung in die Krise stürzen
Stimmt schon, theoretisch lässt sich in der Politik einiges auch geräuschlos durchsetzen, der Arbeitsminister zum Beispiel kommt damit oft erstaunlich weit. Während manche schon auf den nächsten Koalitionsstreit hofften, hatte
Hubertus Heil zum Beispiel seine Rentengarantie schon mit dem liberalen Finanzminister eingetütet. Auch der Wirtschaftsminister rang dem obersten Haushaltswächter zuletzt recht diskret das nötige Kleingeld für seine Kraftwerkspläne ab. Manchmal hilft auch ein kalkulierter Konflikt, es ist immer eine Frage des Timings. Die hohe Kunst des Scheiterns besteht darin, für einen solchen möglichst instinktsicher genau den Moment abzupassen, in dem alle anderen ganz dringend Ruhe brauchen.
Zum Beispiel dann, wenn eine Regierung gerade glaubt, dass sie es mit dem Streiten übertrieben hat – und sich ein hübsches Gesetzchen ausdenkt, mit dem sie vor allem Einigkeit demonstrieren und daneben auch ein kleines bisschen die Konjunktur ankurbeln kann. Dann könnte eine Ministerin gegen ein solches Wachstumschancengesetz zum Beispiel im Kabinett ihr Veto einlegen und damit noch die letzten Sympathien der Ministerkolleginnen und -kollegen verspielen: Wenn
Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner gemeinsam die Augen verdrehen, ist das Aus für die eigenen Pläne schon wieder ein ganzes Stück näher gerückt.
4. Nach neuer Bürokratie rufen
Jetzt kommt der schwierigste Teil der Operation. Schließlich droht immer noch viel Zustimmung für einen Hauptbestandteil des Vorhabens. Will der Staat allen Leuten, die Anspruch darauf haben, den Kinderzuschlag künftig auszahlen, dann bräuchte es dafür wohl einen moderneren, effizienteren, digitaleren Staat. Die Behörden müssten vorhandene Daten untereinander austauschen, es bräuchte Schnittstellen zwischen den einzelnen Systemen, vor allem aber keine Anträge mehr auf Papier: ein Traum eigentlich für den freidemokratischen Koalitionspartner. Das käme vor allem Geringverdienenden im Job zugute, würde also den vielfach geforderten Abstand zum Bürgergeld vergrößern – auch das könnte sich ein Finanzminister von der FDP wünschen oder zumindest nicht verhindern, weil es den gesetzlichen Anspruch ja schon gibt.
Aber es gibt einen Ausweg aus der Konsensfalle: öffentlich zu sagen, wie schrecklich bürokratisch das Projekt doch eigentlich sein soll. Am besten klappt das über Ostern, wenn andere Nachrichten rar sind, sodass es wirklich auch alle mitbekommen. Und kurz vor dem FDP-Parteitag, wenn der Koalitionspartner solche Vorstöße noch vehementer ablehnen muss als sonst. Während die Regierung gerade den Bürokratieabbau zum wichtigen Ziel erkoren hatte, ließe sich zum Beispiel lauthals behaupten, dass für das Projekt 5000 neue Beamtenstellen nötig sind. Nur so kann es gelingen, dass sich die schon murrenden grünen Parteifreunde auch öffentlich distanzieren müssen.
5. In fremden Themen wildern
Themen, mit denen sich die Grünen profilieren können, gibt es zuhauf. Klima und Umwelt sind Herzensthemen, daneben Demokratie und Menschenrechte, zuletzt zum Beispiel die Abneigung gegen einen queerfeindlichen Autokraten aus Moskau, auch da könnte sich eine Familienministerin profilieren. Aber es gibt natürlich auch die Möglichkeit, zum Frontalangriff gegen einen Koalitionspartner zu blasen, den man gerade für das eigene Vorhaben ganz dringend braucht. Man könnte dann sagen, dass man der SPD den Status als Volkspartei abjagen will, indem man selbst Sozialpolitik macht – auch wenn man weder sehr viel davon versteht noch im eigenen Ministerium die Experten dafür hat. Dann wird nämlich der sozialdemokratische Arbeitsminister mit seinen fachkundigen Beamten ganz sicher alles dafür tun, das Projekt zu behindern, und er wird auch bestimmt Arbeitsagentur und Jobcenter nicht bremsen, die Pläne der grünen Familienministern hartnäckig zu kritisieren.
6. Sogar am Scheitern scheitern
So richtig perfekt wäre das Scheitern am Ende allerdings erst, wenn die Ministerin zurücktreten müsste. Aber wie soll sie das machen? Schließlich wäre sie dann schon die zweite Familienministerin in dieser Wahlperiode, die ihr Amt aufgeben müsste, die Vorgängerin Anne Spiegel trat vor zwei Jahren unter blamablen Umständen zurück. Da kann man sich noch so viel ausdenken, was die eigenen Parteifreunde nervt: Fallen lassen können sie einen wohl kaum. „Einen zweiten Missgriff können Sie sich nicht leisten“, sagte der frühere CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer mal öffentlich zu seiner Parteichefin Angela Merkel.
Er fürchtete offenbar, nach dem Rücktritt des Vorgängers könne die Vorsitzende nicht noch mal einen Generalsekretär entlassen, und damit hatte er leider recht: Meyer tat noch viel, um sich in Misskredit zu bringen, er ließ zum Beispiel den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder als Verbrecher plakatieren. Es half alles nichts. Er musste erst gleichzeitig drei Gehälter aus mehr oder weniger öffentlichen Kassen beziehen, bis es mit dem Scheitern endlich klappte.