Wie wird Deutschland schneller? Das ist die Frage, um die sich in den kommenden Monaten vieles drehen wird. Falls die geplanten Schuldenprogramme von Union und
SPD wirklich kommen, kann man ausbleibende Fortschritte nicht mehr aufs fehlende Geld schieben. Jetzt kommt es darauf an, wie agil das Land ist – und vor allem seine Ämter.
Dazu müssen einerseits viele Gesetze einfacher werden. Andererseits aber muss sich in der Kultur von Deutschlands Ämtern einiges ändern, so fordert es ein Gremium von Fachleuten. Der unabhängige wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums findet: Deutschlands Verwaltung soll sich stärker für Fachkräfte aus privaten Unternehmen und anderen Organisationen öffnen. „Solche Fachkräfte bringen neue Perspektiven, Effizienzorientierung, Ausrichtung auf Kundennutzen und Offenheit für Innovationen ein“, heißt es in einem Gutachten der Wissenschaftler zum Bürokratieabbau, das am Montag veröffentlicht wird und der
F.A.S. vorliegt.
Zudem sollten sich Ämter in Zukunft nicht nur daran messen lassen, ob sie die Gesetze richtig befolgt haben – sondern auch daran, ob sie damit etwas erreichen. Die Forscher schlagen vor, zu messen, wie lange eine Unternehmensgründung oder eine Genehmigung braucht, vielleicht sogar eine Art Kundenzufriedenheit der Bürger zu erheben. Dazu sollten sich die Behörden modernen Managementmethoden öffnen.
Auch die EU-Kommission hat Pläne zum Bürokratieabbau vorgestellt
Die Besetzung des wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsministeriums ist unabhängig davon, wer gerade Minister ist. Seine Mitglieder wählen selbst neue Wissenschaftler für den Beirat aus, sie wählen auch ihre Themen eigenständig. Jetzt sehen sie die Bürokratie als eines der drängendsten Themen. In einer repräsentativen Umfrage unter Unternehmen hatte mehr als die Hälfte angegeben, dass in den vergangenen zwei Jahren geplante Investitionen angesichts bürokratischer Belastungen nicht verwirklicht wurden. Fast jedes zweite Unternehmen hatte deshalb benötigte Mitarbeiter nicht eingestellt, und fast jedes fünfte hat Produktentwicklungen ausgesetzt.
Selbst die
Europäische Kommission hat inzwischen umgesteuert und vergangene Woche Pläne zum Bürokratieabbau vorgestellt. Die umstrittene Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung soll nur noch für Großkonzerne Pflicht sein, die unbeliebte Lieferkettenkontrolle soll nur noch für die direkten Zulieferer gelten und nicht mehr bis zum letzten Kleinbauern in fernen Ländern.
Zu viele Alibi-Gesetze
Ob solche Pflichten tatsächlich helfen, daran zweifeln die Experten ohnehin. Viele Gesetze hätten wenig Wirkung und seien vor allem beschlossen worden, damit die Politiker tatkräftig aussehen. „Alibi-Gesetze“ nennen die Wissenschaftler das. „Wir müssen bei der Gesetzgebung immer überlegen: Ist das nur ein Alibi-Gesetz? Werden zu viele Einzelfälle berücksichtigt?“, sagt Klaus Schmidt von der Universität München, der federführende Autor des Gutachtens.
In der Verwaltung wiederum dominieren Juristen wie nirgendwo sonst in Europa. Behördenmitarbeiter sammeln kaum Erfahrung außerhalb des öffentlichen Dienstes. Neue, effiziente Arbeitsweisen etablieren sich so nur schleppend. „In Zukunft sollten Managementkenntnisse und Kenntnisse in der Digitalisierung eine wichtigere Rolle spielen.“
Auch die Gerichte spielen eine Rolle
Gleichzeitig hätten auch Rechnungshöfe und Gerichte ihren Anteil an den schwierigen Prozessen in der deutschen Verwaltung. Gerichte beschränkten sich nicht wie in der
EU nur auf formelle Prüfungen von Entscheidungen der Behörden, sie stellten gerne noch inhaltliche Kriterien auf, die die Behörden hätten prüfen müssen.
Als Beispiel nennen sie eine Entscheidung des Landgerichts Koblenz. Dort hatte die zuständige Kommission einen Wolf zum Abschuss freigegeben, der mehrfach Schafe gerissen hatte. Das Gericht bemängelte später, die Behörden hätten zu wenig beachtet, dass der Wolf ein Rudel führe und ob höhere Elektrozäune die Schafe geschützt hätten.
https://www.faz.net/aktuell/wirtsch...edrige-verschuldung-aufs-spiel-110345389.html
Die Experten warnen davor, sich beim Bürokratieabbau nur auf
Künstliche Intelligenz zu verlassen. Ein erheblicher Teil der Kosten der Bürokratie entstehe nicht beim Ausfüllen von Formularen, sondern dadurch, dass es in vielen Fragen keine Rechtssicherheit gebe. „Das wird die Digitalisierung den Betroffenen nicht abnehmen.“
Die Wissenschaftler plädieren außerdem dafür, bei neuen Gesetzen Kosten und Nutzen besser abzuwägen. Außerdem soll es mehr Praxischecks für die tatsächlichen Folgen von Gesetzen geben, und der Staat sollte mehr Freiraum zu Experimenten mit Vorschriften schaffen.