@Gustavo schon klar. Dazu übrigens auf den Punkt, fand ich wirklich treffend, Veit Medick bei Miosga. Er bringt imho gut auf den Punkt, wie die etablierten Parteien zur Zeit im Wahlkampf herumlavieren und klassisch ihre Klientel bedienen. Niemand mag den Elefant im Raum ansprechen, weil ein echter Lösungsansatz immer Einschnitte für Wählergruppen bedeuten würde.
Auch die Einschätzung, dass dies zu Vertrauensverlust führt und Populisten stärkt, teile ich erstmal grds.
Prinzipiell finde ich vernünftig was er sagt, aber ich befürchte auch hier trifft eine ziemlich unglückliche Konstellation aufeinander: Einerseits eine (Wahl-)Bevölkerung, die ohne wirklich triftigen Grund völlig veränderungsscheu und besitzstandswahrend ist und andererseits Parteien, von denen mittlerweile keine mehr einen Vertretungsanspruch für einen echten Querschnitt der Bevölkerung anmelden kann. Abstrakt finden alle "Verzicht" gut, aber wenn man dann fragt was genau die Leute damit meinen haben alle immer primär die anderen im Blick, die verzichten sollen. Das spielt kleineren Parteien natürlich in die Hände, die dann Programme schreiben können, bei denen ihre Klientel weitestgehend ungeschoren bleibt und nur die anderen bluten müssen. Und in der Politik ist mittlerweile auch geradezu endemisch geworden, insbesondere am Ende der Merkel-Zeit, dass man abstrakte Ziele postuliert ohne einen konkreten Plan zu beschließen, wie man dort hinkommen will. Bei Umweltzielen, bei Digitalisierung, bei Bildung, bei Wohnraum, überall sagt man "wir wollen bis Jahr X Ziele Y und Z" erreicht haben, macht dann aber viel zu wenig dafür. Konsequenterweise sind die Ziele immer zwei oder drei Legislaturperioden entfernt.
Insofern denke ich, dass sich die Bevölkerung da durchaus auch an die eigene Nase fassen muss: Mir fällt kein Thema ein, zu dem es einen konstanten sachpolitischen Druck aus der Bevölkerung gab. Und dementsprechend reagieren die Parteien: Im Wahlkampf werden dieselben ideologischen Pferde geritten wie immer, statt dass man wirklich über Sachpolitik redet. Wenn es einen ECHTEN Wunsch aus der Bevölkerung gegeben hätte, die Zeitenwende umzusetzen würde im Wahlkampf über die Vergangenheit geredet und warum alles wieder so schleppend ging. Stattdessen redet man über die Zukunft und die Parteien werfen wieder Zahlen in den Raum unter denen sich niemand konkret etwas vorstellen kann.
Was veranlasst Menschen eigentlich dazu innerhalb der gleichen Partei solche Aktionen, auch noch kurz vor einer BTW, zu starten?
Gelbhaar war stabil vorne auf der Liste und man munkelt der Nutznießer ist Audretsch* (Wahlkampfmanager von Habeck).
Der Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar ist Belästigungsvorwürfen ausgesetzt. Ein wesentlicher Teil ist davon ist offenbar frei erfunden.
www.zdf.de
*
Stefan Gelbhaar verlor seine Direktkandidatur und musste auf seinen Platz auf der Landesliste verzichten. Doch die wichtigste Betroffene existiert nicht. Der Fall könnte auch Robert Habeck schaden.
www.nzz.ch
Die Art, wie der Name Habeck da mit der Brechstange reingeschrieben wird ist schon ein bisschen peinlich. Gerade die Leute, die sonst gegen "Kontaktschuld" wettern, sind hier die ersten, die im Konditional von Habecks angeblichem Schaden schreiben. Nicht etwa, weil Habeck etwas zur Last gelegt wird. Nicht mal, weil Habecks Vertrautem etwas zur Last gelegt wird. Weil Habecks Vertrauter von dem Vorgang "profitiert"* haben soll, ohne dass es irgendeinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass er etwas mit den Vorwürfen zu tun hat. Das ist kein seriöser Journalismus.
Ansonsten kann ich nur sagen, dass ich zwar prinzipiell in gewisser Weise schon das Problem sehe, vor dem die Grünen stehen, denn es ist glaube ich unzweifelhaft so, dass die Grünen tatsächlich niemanden aufstellen wollen, gegen den berechtigte Vorwürfe gemacht wurden, insofern kann man den Fall nicht einfach mit "in dubio pro reo" abräumen, es geht ja nicht um eine strafrechtliche Verurteilung sondern um politische Repräsentation (die auch nicht mehr entzogen werden kann, falls jemand ein Mandat gewinnt und sich die Vorwürfe als berechtigt herausstellen). Aber wenn man schon jemandem den Listenplatz wegnimmt würde ich doch darauf hoffen, dass man zumindest vorher ordentlich geprüft hat, so weit das in der verbliebenen Zeit geht. Aber hier geht es ja nicht mal um koordinierte Anschuldigungen von plausiblen Opfern (welche man als Partei schwer vollständig widerlegen könnte), sondern um mindestens eine frei erfundene Person. Das hätte man wohl schon auch in der kurzen Zeit merken können, insbesondere wenn es diese Person im Parteiverzeichnis nicht mal gibt.
*im Übrigen ist überhaupt nicht klar, wie groß dieser "Profit" denn nun wirklich gewesen wäre, weil Leute regelmäßig zwei Sachen vermischen: Gelbhaars Platz auf der Landesliste und Gelbhaars Direktkandidatur; die Direktkandidatur hatte er bereits gewonnen, aber für den Listenplatz stand die Abstimmung erst noch an und es wäre zu einer Kampfabstimmung mit Audretsch gekommen. Nur wenn er die verloren hätte wäre da ein nennenswerter Profit entstanden; dass jemand eine Kampfkandidatur gegen einen Mandatsträger gewinnt, der dazu noch einen relativ aussichtsreichen Wahlkreis direkt vertritt ist jetzt politisch nichts Außergewöhnliches und hätte für Audretsch auch keinerlei negative Konsequenzen gehabt