Brexit - Chance oder Risiko

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spieltheoretisch ziemlich gering.

Magst Du das ausführen?
Ehrlich gesagt hätte ich ein erhebliches Risiko erwartet. Der Einsatz ist imho doch recht gross, weil auch die EU ein grösseres Interesse an einer Ordnung hat und so halt witzige "wir passen unsere Finanzpolitik nicht an, dafür winken wir Brexitabkommen durch" oder ähnliches möglich sein dürfte?
 
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Falls jemand einen guten Artikel hat, der den Inhalt des Vertrages abseits des üblichen oberflächlichen blabla zusammenfasst, link plz.
 
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To the surprise of absolutely nobody:
https://www.faz.net/aktuell/wirtsch...nung-ueber-47-5-milliarden-euro-17429846.html


Briten erkennen die Abschlussrechnung nicht an because … Murica … oh wait.
Ich möchte nochmal in Erinnerung rufen, dass es genau dieses Land und seine Politik war gegenüber denen nicht wenige hier ein Einlenken (=Einknicken, Appeasement, Bücken) gefordert haben.
Ich sehe mich immer wieder darin bestätigt, dass eine knallharte Strategie mit Konfrontation von Anfang an die beste Option gewesen wäre … und dass die Aussagen von Hanseln wie Gabriel Felbermayr, die ein Aufweichen der Grundpfeiler der EU im Austausch für weniger Handelsverluste gefordert haben, schon immer dumpfbackigster Dummfug von Leuten war bei denen man sich fragt wie behindert man eigentlich sein kann und trotzdem noch Professor werden kann.
Ernsthaft, hätte die Kommission das gemacht würden die Briten trotzdem rumheulen, dass sie über den Tisch gezogen würden während sich die kontinentaleuropäischen Länder und insbesondere die Deutschen wundern würden warum nett sein international diesmal nicht funktioniert hat.
 
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Normaler Verhandlungsmove, dürfte niemanden überraschen.

Meine Empörung über die Aufweichung der "Grundpfeiler der EU" hält sich auch in engen Grenzen, da dieselbe EU mit aller Macht ständig daran arbeitet die genannten Grundpfeiler in anderen Bereichen (Maastrichter Verträge etc) aufzuweichen, um nicht zu sagen einzureißen, wo es um ein vielfaches der 47 Milliarden Euro geht.
 
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Ergänzungslink: https://www.faz.net/-gqe-adln6

Nordirland …

@Mackia sicher ein "normaler Verhandlungsmove" … aber andererseits eben auch etwas was in der internationalen Diplomatie unter "nicht gerade ein Partner mit dem man Verträge schließen will" läuft. Du schulterzuckst etwas weg was Dir eigentlich zutiefst zuwider sein sollte, nämlich vollkommen unehrenhaftes Verhalten gegenüber Verbündeten. Wer soll denn bitte noch mit so einem Staat Verträge schließen wollen wenn man damit rechnen muss, dass pacta sunt servanda eben nicht mehr gilt? Soetwas erodiert einen Grundkonsens des Völkervertragsrechts (Art 26 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge)

Was die Bestimmungen des Vertrags von Maastricht angeht stimme ich Dir einerseits zu, weil ich glaube, dass eine schleichende Entwicklung in eine Schuldenunion ihre ganz eigenen Probleme und Spannungen mit sich bringen wird. Andererseits können "wir" es uns aber zu einem gewissen Teil auch selbst zuschreiben, weil alles darauf hindeutet, dass Sparen vor 10-12 Jahren nicht die richtige Strategie war. Wichtig: Das heißt nicht, dass nicht auch Strukturreformen in gewissen Pleitegeierländern angesagt gewesen wären, allerdings wäre es wohl insgesamt besser gelaufen wenn man nach der Durchsetzung dieser Strukturreformen auch großzügige Füllhornprogramme an den Start gebracht hätte. (Das Winken mit dieser Möhre hätte es vielleicht auch leichter gemacht genau diese Strukturreformen zu verkaufen.)
Wenn es einen Zeitpunkt gab an dem keynesianische expansive Wirtschaftspolitik nachweislich ganz gut gewirkt hat, dann war es genau in diesen Jahren. <insert random amount passender paper about here, u.a. von Olivier Blanchard>

Entsprechend kann ich Deine Äußerung nur als "EU ist Mist, eigentlich will ich was ganz anderes" deuten, denn so richtig konsistent ist Deine Linie nicht. Nur weil ein Fiskalpaket größer ist als 47 Mrd. EUR … und auch für etwas ganz anderes gedacht ist, entschuldigt das keine Vertragsbrüchigkeit in internationalen Verträgen.

inb4 "aber das wiener übereinkommen regelt nur verträge zwischen staaten und die eu ist kein staat" 🤌
wo ist der ugly3-emoji? :8[:
 
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nur ne emotion. so ein bisschen schadenfreude, ob des ausgebliebenen angekündigten weltuntergangs Englands durch den brexit.
 
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Frankreich hatte doch letztens auch erst Rekordwachstum verzeichnet....
 

Benrath

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nur ne emotion. so ein bisschen schadenfreude, ob des ausgebliebenen angekündigten weltuntergangs Englands durch den brexit.
Aha, es hat niemand den Weltuntergang angekündigt. Wir werden nie erfahren was das Wachstumsdelta brexit vs. no-brexit ist.
So ist das leider.
 
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Der Brexit wird ja bald 2 Jahre und mehrere Regierungen alt.
Hat jemand eine Aufstellung der positiven Wirkung auf die UK-Wirtschaft?
 
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Wirtschaft ist gebummst, ganz klar. Aber ist denn wenigstens die Zahl der Immigrants zurück gegangen? War ja für viele auch ein wichtiger Punkt.
 
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Grad heute doch in der FAZ "NHS fehlen 4k zusätzliche Fachkräfte in den Heilberufen"
Und die Tage "Hupsi, Immigration ist tatsächlich nicht zurückgegangen sondern hat sich verschoben."
Ebenso "Sunak möchte das Schweizer Modell, aka ein-Haufen-schlecht-überschaubarer-Einzelverträge"
 
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die schweizer haben ja auch gut gezeigt wie sehr sie in control sind 🤷‍♂️

Ich denke das ist der UK-Versuch durch die Hintertür doch noch etwas Cherrypicking zu realisieren.
 
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Hach CherryPicking. Muss man nur weil ein Teil der EU sehr viel Sinn macht und Mehrwert bietet, dann nur aus Prinzip auch jeden Scheiss mitmachen?
 
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Hach CherryPicking. Muss man nur weil ein Teil der EU sehr viel Sinn macht und Mehrwert bietet, dann nur aus Prinzip auch jeden Scheiss mitmachen?
Es ist noch viel besser. Selbst als nicht-EU-Staat muss man sehr viel Scheiss mitmachen, wenn man wirtschaftliche Beziehungen wünscht. Die Frage ist nur, ob man bei all den Regelungen Mitspracherecht und Erleichterung möchte.
 
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Auf der Suche, was genau das von UK angeblich gewollte Schweizer Modell sein soll, stehe ich gerade voll auf dem Schlauch. Hat da jemand eine kurze Punkte-Liste, was da die Hoffnungen/Forderungen/Ziele sind, jetzt von UK-Seite?
 
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Das Schweizer Model war seit der Brexit Abstimmung immer im Gespräch.

Problem ist:
1: Schweizer Model beinhaltet eigentlich alles was die UK nicht will, nur halt ohne Stimmrecht.
2: Die EU will das Schweizer Model asap beenden.
 
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Auf der Suche, was genau das von UK angeblich gewollte Schweizer Modell sein soll, stehe ich gerade voll auf dem Schlauch. Hat da jemand eine kurze Punkte-Liste, was da die Hoffnungen/Forderungen/Ziele sind, jetzt von UK-Seite?
ne. wurde in einem FAZ-Artikel so geschrieben. hab's einfach mal so geglaubt
 
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ja das war auch mein eindruck
ich habe das gefühl, da wird mit einfach irgendeinem begriff heiße luft abgelassen
business as usual also
 
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Leere Regale bei frischem Gemüse in UK. Der Guardian-Artikel sagt nicht einmal Brexit sondern schiebt es auf schlechte Ernte in Spanien/Marokko. Da gibt es aber selbst keine Knappheit und im restlichen Europa auch nicht.
 
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Naja der Guardian pisst gerne aus großer Höhe auf alle Brexiteers also glaub schon die würden das schreiben wenn es sehr wahrscheinlich am Brexit liegt.
 
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Ok, welches andere EU-Land hat leere Gemüseregale im Supermarkt? Vor dem Brexit ist das auch nicht geschehen. Irgendwie schon doch naheliegend, dass das beides zusammen hängt
 

Gustavo

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Ich weiß nicht wo es richtig gut reinpasst, deshalb poste ich es mal hier rein: https://archive.ph/QAuq2

Interview mit einem der beiden Autoren, die ein Buch geschrieben haben, das ich am Wochenende gelesen habe. tl;dr: Wenn jemand ein wirklich gutes Argument dafür haben möchte, warum die EU wichtig ist (und es eine Schande ist, dass sie so schlecht funktioniert), dieses Buch ist es. Die Amerikaner nutzen absolut skrupellos ihre Stellung im internationalen System (Banken-, Telekommunikation-, Technologie-), um Staaten an die Wand zu drücken: Die Chinesen, einfach weil sie ihre Vormachtsstellung behalten wollen, Staaten wie den Iran weil es halt der Iran ist. Wenn sie wollten könnten sie dasselbe mit den Europäern machen und wir hatten bisher lediglich mehr oder weniger das Glück, dass kein Präsident außer Trump ernsthaft an sowas interessiert war. Aber das muss ja nicht so bleiben. Ist alles nicht unbedingt neu, aber besser zusammengefasst und erklärt bekommt man es afaik nirgends.
 
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Ist alles nicht unbedingt neu, aber besser zusammengefasst und erklärt bekommt man es afaik nirgends.
Tatsache. Für mich war da jetzt im Prinzip null Neuigkeit drin. Die Neuigkeit für mich ist, dass das in manchen Kreisen offenbar eine Neuigkeit ist?
Ich würde doch sehr hoffen, dass man das auf EU und Regierungsebene auf dem Zettel hat. Ich wäre mir sogar ziemlich sicher, dass das auf fast jeder Ebene präsent ist … außerhalb von Deutschland. In Deutschland, glaube ich, sind wir gerade erst dabei die Außenpolitik als Interessenpolitik wiederzuentdecken. Wirkliche eigene strategische Interessen hat dieses Land sehr lange nicht gehabt. Aber die müssen wir auch nicht zwingend haben, denn, wie Du sagst, kann die EU ein hervorragender Proxy dafür sein. Dafür müsste man sich allerdings möglichst sofort vom Sockel des belehrenden Deutschland herunter begeben.
 

Gustavo

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Tatsache. Für mich war da jetzt im Prinzip null Neuigkeit drin. Die Neuigkeit für mich ist, dass das in manchen Kreisen offenbar eine Neuigkeit ist?


Eh, als jemand der beruflich viel political economy macht würde ich dir Brief und Siegel darauf geben, dass viele Leute darüber noch exakt Null nachgedacht haben.


Ich würde doch sehr hoffen, dass man das auf EU und Regierungsebene auf dem Zettel hat. Ich wäre mir sogar ziemlich sicher, dass das auf fast jeder Ebene präsent ist … außerhalb von Deutschland. In Deutschland, glaube ich, sind wir gerade erst dabei die Außenpolitik als Interessenpolitik wiederzuentdecken. Wirkliche eigene strategische Interessen hat dieses Land sehr lange nicht gehabt. Aber die müssen wir auch nicht zwingend haben, denn, wie Du sagst, kann die EU ein hervorragender Proxy dafür sein. Dafür müsste man sich allerdings möglichst sofort vom Sockel des belehrenden Deutschland herunter begeben.

Du wirst überrascht sein: Tatsächlich wird darüber in dem Buch kurz geschrieben. Offensichtlich hat das Außenministerium unter Heiko Maaß (!) die ersten Runden (primär zusammen mit den Franzosen) angeleiert, wie man selbst auf EU-Ebene Gegendruck auf die Großmächte ausüben kann. Dass das am belehrenden Sockel der Deutschen scheitern würde, glaube ich allerdings eigentlich nicht. Mein Eindruck ist eher, wenn es scheitert dann hauptsächlich daran, dass die Europäer sich mal wieder auf nichts einigen können, weil niemand bereit ist zugunsten anderer Nationen zurückzustecken, nicht mal in Tauschgeschäften. Das ist der große Vorteil der Amerikaner in jeder Verhandlung: Dort gibt es einen gewissen Grundkonsens, dass Maßnahmen in der Handelspolitik, die Kalifornien eine Menge bringen, aber sagen wir (wahllos ausgesuchtes Beispiel) Kentucky vielleicht ein bisschen schaden würden, natürlich durchgezogen werden und Kentucky die nicht einfach blockieren kann.
Dasselbe kann man halt über die EU kaum sagen, aber daran sind alle Schuld, nicht Deutschland alleine. Schon die beiden großen Player können es ja nicht: Frankreich würde immer gerne den europäischen Markt einzäunen, weil sie genau wissen dass der Rest der Welt nicht mal eben ein eigenes LVMH aus dem Boden stampfen kann, weil das halt nicht LVMH wäre. Deutschland lebt dagegen konstant in der Angst, dass China die Nachfrage nach deutschen Autos auf dem heimischen Markt zugunsten ihrer eigenen Produzenten abwürgt und ist deshalb nicht bereit, die Chinesen in Europa so zu behandeln wie die Europäer auf dem chinesischen Markt behandelt werden.

Wobei ich das mit der "Deutschland verfolgt keine Interessenpolitik" so definitiv nicht stehen lassen würde. Deutschland verfolgt sehr wohl Interessenpolitik, nur hat Deutschland es ganz gut geschafft, diese Interessenpolitik, hauptsächlich innerhalb Europa, als natürlichen Urzustand darzustellen: So niedrige Handelsschranken wie möglich. Es ist gerade einer der Punkte des Buchs, dass dieser Zustand aber eben außerhalb der EU nicht so natürlich ist, wie man sich das in Deutschland vorstellt. Aber gerade innerhalb der EU ist man bzgl. der institutionellen Struktur Deutschland doch sehr weit entgegen gekommen.
 
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Eh, als jemand der beruflich viel political economy macht würde ich dir Brief und Siegel darauf geben, dass viele Leute darüber noch exakt Null nachgedacht haben.
Eh :8[:
Du wirst überrascht sein: Tatsächlich wird darüber in dem Buch kurz geschrieben. Offensichtlich hat das Außenministerium unter Heiko Maaß (!) die ersten Runden (primär zusammen mit den Franzosen) angeleiert, wie man selbst auf EU-Ebene Gegendruck auf die Großmächte ausüben kann. Dass das am belehrenden Sockel der Deutschen scheitern würde, glaube ich allerdings eigentlich nicht. Mein Eindruck ist eher, wenn es scheitert dann hauptsächlich daran, dass die Europäer sich mal wieder auf nichts einigen können, weil niemand bereit ist zugunsten anderer Nationen zurückzustecken, nicht mal in Tauschgeschäften. Das ist der große Vorteil der Amerikaner in jeder Verhandlung: Dort gibt es einen gewissen Grundkonsens, dass Maßnahmen in der Handelspolitik, die Kalifornien eine Menge bringen, aber sagen wir (wahllos ausgesuchtes Beispiel) Kentucky vielleicht ein bisschen schaden würden, natürlich durchgezogen werden und Kentucky die nicht einfach blockieren kann.
Dasselbe kann man halt über die EU kaum sagen, aber daran sind alle Schuld, nicht Deutschland alleine. Schon die beiden großen Player können es ja nicht: Frankreich würde immer gerne den europäischen Markt einzäunen, weil sie genau wissen dass der Rest der Welt nicht mal eben ein eigenes LVMH aus dem Boden stampfen kann, weil das halt nicht LVMH wäre. Deutschland lebt dagegen konstant in der Angst, dass China die Nachfrage nach deutschen Autos auf dem heimischen Markt zugunsten ihrer eigenen Produzenten abwürgt abwürgt und ist deshalb nicht bereit, die Chinesen in Europa so zu behandeln wie die Europäer auf dem chinesischen Markt behandelt werden.

Wobei ich das mit der "Deutschland verfolgt keine Interessenpolitik" so definitiv nicht stehen lassen würde. Deutschland verfolgt sehr wohl Interessenpolitik, nur hat Deutschland es ganz gut geschafft, diese Interessenpolitik, hauptsächlich innerhalb Europa, als natürlichen Urzustand darzustellen: So niedrige Handelsschranken wie möglich. Es ist gerade einer der Punkte des Buchs, dass dieser Zustand aber eben außerhalb der EU nicht so natürlich ist, wie man sich das in Deutschland vorstellt. Aber gerade innerhalb der EU ist man bzgl. der institutionellen Struktur Deutschland doch sehr weit entgegen gekommen.
Das überrascht mich tatsächlich nicht so sehr, da es ja recht naheliegend ist. Was mich tatsächlich überrascht ist, dass Du sagst, dass es nicht am moralischen Schwanzballon scheitern sollte. Das hätte ich an vielen Punkten als ähnlich hinderlich wie das grundsätzliche Koordinationsproblem eingeschätzt. Gerade in Bezug auf "gute Ratschläge aus Deutschland", die die letzten 15 Jahre in vielen anderen EU-Ländern nur so mittelgut aufgenommen wurden.

Fairer Punkt bzgl. der Interessenpolitik. Das würde ich nach kurzem Überlegen folgendermaßen umformulieren wollen: ich denke in Deutschland werden im öffentlichen Diskurs geopolitische Interessen sehr anders geframed und unterliegen einem sehr anderen Entscheidungsfindungsprozess als zum Beispiel in Frankreich. Man denkt, wie Du schon schriebst, sehr von "der Wirtschaft" her. Und wie Du ebenfalls schreibst ist genau der mismatch zu strategisch-geopolitischen Interessen das was ich meinte. Man denkt eben v.a. in Richtung einer friedlich-kooperativen Welt, insb. im öffentlichen Diskurs.
Damit möchte ich jetzt nicht sagen, dass wir einen öffentlichen Diskurs wie in Russland bräuchten, aber––gerade weil es Länder wie Russland gibt––wäre auch ein angepasster öffentlicher Umgang nicht verkehrt in dem man sich ehrlich bezüglich des ggf. robusten Vertretens eigener Wertüberzeugungen macht.
Das passiert ja seit ~Feb 22 zum Glück so langsam, aber es ist noch ein weiter Weg. Und gerade bei den grundsätzlichen Wertüberzeugungen ist es mE unser Glück, dass wir da innerhalb der "westlichen" Länder recht ähnliche Überzeugungen haben und somit vergleichsweise (aber nicht absolut) sicher vor Bullying aus den USA sind.
 

Gustavo

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Fairer Punkt bzgl. der Interessenpolitik. Das würde ich nach kurzem Überlegen folgendermaßen umformulieren wollen: ich denke in Deutschland werden im öffentlichen Diskurs geopolitische Interessen sehr anders geframed und unterliegen einem sehr anderen Entscheidungsfindungsprozess als zum Beispiel in Frankreich. Man denkt, wie Du schon schriebst, sehr von "der Wirtschaft" her. Und wie Du ebenfalls schreibst ist genau der mismatch zu strategisch-geopolitischen Interessen das was ich meinte. Man denkt eben v.a. in Richtung einer friedlich-kooperativen Welt, insb. im öffentlichen Diskurs.
Damit möchte ich jetzt nicht sagen, dass wir einen öffentlichen Diskurs wie in Russland bräuchten, aber––gerade weil es Länder wie Russland gibt––wäre auch ein angepasster öffentlicher Umgang nicht verkehrt in dem man sich ehrlich bezüglich des ggf. robusten Vertretens eigener Wertüberzeugungen macht.
Das passiert ja seit ~Feb 22 zum Glück so langsam, aber es ist noch ein weiter Weg. Und gerade bei den grundsätzlichen Wertüberzeugungen ist es mE unser Glück, dass wir da innerhalb der "westlichen" Länder recht ähnliche Überzeugungen haben und somit vergleichsweise (aber nicht absolut) sicher vor Bullying aus den USA sind.

Interessanter Punkt. Ich bin häufig überrascht, wie populär die EU (zumindest als Idee) letztendlich in Deutschland dann doch ist*, genau aus dem Grund: Die echten Vorteile der EU für Deutschland sind schwierig in ein oder zwei Sätze zu fassen (auch wenn sie absolut real sind), während es super einfach ist, die EU als Ausbeutungsmaschine für Deutschland darzustellen. Manchmal sehe ich die Behauptung "niemand profitiert so sehr von der EU wie Deutschland", aber eigentlich macht sich nie jemand die Mühe, zu erklären, wie das tatsächlich aussehen soll. Dagegen können sich die meisten anderen Länder einen schlanken Fuß machen und auf den Semi-Hegemon zeigen, wenn es darum geht das System am Laufen zu halten, einerseits weil Deutschland mit Abstand die meisten finanziellen Möglichkeiten hat und andererseits weil die konkreten finanziellen Beiträge der meisten Nationen eh vernachlässigbar sind. Nicht mal in der Flüchtlingspolitik sind die Leute wirklich sauer auf die EU, obwohl hier eindeutig das System an seine Grenzen stößt.

Aber wie gesagt: Das sind imho alles valide Punkte, aber sie verdecken das große Ganze, nämlich dass keine Nation in Europa, nicht mal Deutschland, alleine auf Dauer mehr als einen Platz am Katzentisch bekommen wird, wenn jeder seine Einzelinteressen vertritt.








*gerade vorgestern ein Interview mit dem AfD-Vorsitzenden in Hessen gelesen, der nicht mal wirklich zugeben will, was in seinem eigenen Parteiprogramm steht, mutmaßlich weil er weiß dass es sogar für die AfD strategisch nicht erfolgversprechend ist, offen den EU-Austritt als Wunsch zu propagieren
 
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