Wenn ich mir dann noch das Chaos anschaue, dass in der italienischen Politik herrscht, dass wir in Frankreich und in vielen Ländern Südosteuropas erleben, dann möchte ich so wenig wie möglich von diesen Leuten mitregiert werden.
Na ja, es erscheint mir ehrlich gesagt unwahrscheinlich, dass das Chaos bei uns so viel kleiner wäre, würde die von dir präferierte Partei hier Wahlen gewinnen.
Deutschland ist gerade mal seit 30 Jahren wiedervereinigt und ich habe den Eindruck, dass manche dieses Glück der nationalen Selbstbestimmung gar nicht schnell genug ablegen können, aus einer diffusen Angst heraus, dass Deutschland alleine in dieser finsteren Welt nicht überlebensfähig ist. Vor was habt ihr denn eigentlich so eine Angst? Gegen wen können wir uns denn nicht behaupten, dass es notwendig ist die eigene Staatlichkeit dafür aufzugeben? Vor 100 Jahren hat die Welt vor uns gezittert und heute sind wir immerhin noch die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt. Die EU ist der größte Wirtschaftsraum der Welt und mit allen diesen Ländern sind wir eng befreundet. Wir brauchen vor niemandem Angst haben und mit bilateralen Verträgen und einer schlaueren Steuerpolitik werden wir wohl auch den bösen großen Konzernen beikommen können - kein Grund in Panik zu geraten und alle Macht nach Brüssel abzugeben.
"Schlaue Steuerpolitik" ist doch lediglich eine Floskel und "bilaterale Verträge" sind eine Chimäre, weil du einer Nation, die von Steuervermeidung profitiert, mindestens den Gegenwert dieses Profits bieten müsstest, damit sie einen bilateralen Vertrag in Erwägung ziehen würde.
Eine Haltung, die ich ja noch gut nachvollziehen kann, ist eine gewisse Demut bzgl. unserer Fähigkeiten, die gesellschaftlichen Probleme der Zukunft vorauszusagen: 1970 hat kaum jemand die wirtschaftlichen Veränderungen kommen sehen, die mit der Ölkrise 1973 begonnen haben und 2005 hat kaum jemand die Probleme gesehen, die später in die Weltwirtschaftskrise geführt haben. Vielleicht bewegt sich die globale Wirtschaft in eine andere Richtung als die, die wir heute glauben, und globale Konzerne werden nicht so mächtig, wie einfaches Extrapolieren der Vergangenheit in die Zukunft vermuten ließe. Oder vielleicht dreht sich auch die Stimmung im Rest der westlichen Welt und wir brauchen gar keine EU, weil sich die Nationen mehr oder weniger einig sind, dass Steuervermeidung dann schon ein ernsthaftes Problem ist oder in Zukunft werden wird. Würde ich alles nicht ausschließen.
Aber: Wenn das nicht eintrifft, ist es imho nicht unwahrscheinlich, dass das in Zukunft ein gewaltiges Problem für alle großen Wirtschaftsnationen wird. Man kann die EU sicher dafür kritisieren, dass in der Richtung lange Zeit überhaupt nichts passiert ist und dass sie bestimmten Mitgliedsstaaten (insbesondere Luxemburg, Irland und den Niederlanden) viel zu viel Freiräume lässt. Trotzdem erscheint mir die EU die mit Abstand beste Chance, irgendwas in der Richtung zu bewegen. Insofern sehe ich die Schattenseite, wenn die EU keine weitere Integration schafft. Was ich überhaupt nicht sehe sind die großen Nachteile davon, "Staatlichkeit" aufzugeben. Gekränkter Nationalstolz hin oder her, aber wo die echten Nachteile davon sein sollen, hat hier noch niemand überzeugend dargelegt. Mit bloßem Handgewedel bzgl. einer "Sozialunion", die völlig unrealistisch ist*, ist es jedenfalls nicht getan, was eine Erklärung angeht.
*das ist auch nicht schwer zu erkennen, wenn man kurz darüber nachdenkt, was für Anreize die jeweiligen Länder hätten, wenn sie Staaten in einem echten europäischen Föderalstaat wären: Die Anzahl und Größe der Staaten, für die eine Sozialunion mit Deutschland überhaupt kein nennenswerter Gewinn wäre, weil sie ähnlich wohlhabend sind wie wir (Luxemburg, Irland, Niederlande, Dänemark, Schweden, Österreich, Belgien, Finnland, Frankreich) ist groß genug, dass es dazu nicht kommen wird; selbst andere große Staaten wie Italien und Spanien dürften daran kein überwältigendes Interesse haben, weil sie relativ nahe am Durchschnitt der EU liegen (Italien wird aller voraussicht nach sogar ÜBER dem Durchschnitt liegen, sobald die Briten ausgetreten sind). So zu tun als würden die anderen europäischen Staaten Deutschland als den reichen Erbonkel sehen zieht natürlich politisch, ist ökonomisch aber eine Übertreibung.