Warum der Multiplikatoreffekt über 1 ist und unter welchen Umständen das (erwarteterweise) der Fall ist.
Die kurze Antwort ist dass das typische Problem bei fiskalischen Instrumenten ist, dass du bei einer Wirtschaft, die ihr Wachstumspotenzial voll ausschöpft, ein crowding out hast: Was der Staat ausgibt verdrängt lediglich private wirtschaftliche Tätigkeit und führt schlimmstenfalls zu Inflation ohne echten Mehrwert. Dazu kommt, dass du in offenen Ökonomien einen Mittelabfluss hast, weil du nicht kontrollieren kannst dass das Geld nicht hauptsächlich in die Binnenwirtschaft fließt sondern für Importgüter ausgegeben wird. In "normalen" Zeiten ist es fast immer sinnvoller, die Wirtschaft dadurch zu stimulieren, dass man den Leitzins senkt. In solchen Zeiten ist der Multiplikator quasi immer kleiner als 1.
Wenn allerdings die Wirtschaft unter ihrem Produktionspotenzial bleibt, weil privatwirtschaftliche Tätigkeit die Outputlücke nicht füllen kann, kann es sein dass die höheren staatlichen Ausgaben die Nachfrage nach Arbeit erhöht, was höhere Beschäftigung und höhere Löhne nach sich zieht, welche wiederum höheren Konsum nach sich ziehen kann. Das ist insbesondere dann relevant, wenn die Zinspolitik bereits nahe Null angekommen ist, d.h. sparen sowieso relativ wenig Sinn ergibt. Weil der zusätzliche Konsum wiederum das Einkommen der Binnenwirtschaft ist kannst du durch Zweit- (und mehr) Rundeneffekte mit einem zusätzlichen Euro an Ausgaben durch den Staat mehr als einen Euro wirtschaftlicher Tätigkeit generieren. Ob das zutrifft hängt maßgeblich davon ab, wie viel crowding out du hast: Es ist bspw. nicht klar wofür das zusätzliche Geld ausgegeben wird und wie viel davon in Sektoren fließt, in denen eben doch crowding out stattfindet. Ironischerweise ist das (wie so viele Fragen in den Wirtschaftswissenschaften) eine Frage, in der Teile der Theorie (insbesondere die Vertreter der Real Business Cycle Theorie) lange der Meinung waren, dass die beste Schätzung des Produktionspotenzial die tatsächliche Produktion ist und Fiskalpolitik einen konstanten und konstant niedrigen multiplier hat, weil sie als zukünftige staatliche Einnahmen bereits antizipiert wird. Die Ökonometrie hat allerdings (insbesondere seit der Weltwirtschaftskrise 2008, als der Leitzins häufig an seine Untergrenze kam) gezeigt, dass die multiplier sich eben doch stark nach wirtschaftlicher Lage unterscheiden und man in einer Rezession häufig von nicht genutztem Produktionspotenzial ausgehen kann, welches durch Fiskalpolitik eben doch stimuliert werden kann. Die meisten Arbeiten zeigen zusätzlich, dass der Staat gezielter stimuliert, wenn er selbst Geld ausgibt, als wenn er auf Steuersenkungen setzt, weil viele Menschen insbesondere in wirtschaftlichen Abschwüngen dazu tendieren Geld zu sparen weil sie unsicher bzgl. ihrer zukünftigen wirtschaftlichen Lage sind. Genau dieses Problem hast du allerdings bei denjenigen nicht, deren Konsumquote sowieso schon extrem hoch ist: Die meisten von ihnen haben gar keine Möglichkeiten zu sparen und würden auch mit etwas mehr Geld nicht sparen.
Jetzt sind wir wieder bei der Vermischung von Einkommens- vs Vermögensverteilung.
Ich sehe in der Einkommensverteilung kein Problem, wenn wir steuerliche Dämpfer für steigende Konzentration der Vermögensverteilung hätten.
Hast du etwa nur Beliefs, die wissenschaftlich wassericht begründet sind?
Hier vermischst du allerdings etwas. Jeder politische Standpunkt setzt sich aus empirischen und moralischen Argumenten zusammensammen: Empirische Argumente sagen etwas darüber aus, wie Policy wirkt und moralische Argumente sagen etwas darüber aus, wie man sich die Welt wünscht. Man kann zu beidem unterschiedlicher Meinung sein, weil wir die wahren empirischen Zusammenhänge selten kennen, aber hier kann und sollte man dann eben auch empirische Argumente bringen. Moralische Argumente dagegen sind völlig subjektiv und bestenfalls fürr eine größere Menge an Menschen subjektiv nachvollziehbar oder eben nicht nachvollziehbar.
Wenn du jetzt sowas sagst wie "ich sehe in der Einkommensverteilung kein Problem, wenn wir steuerliche Dämpfer für steigende Konzentration der Vermögensverteilung hätten" klingt das für mich wie ein moralisches Argument, was erst mal dir überlassen bleibt. Geantwortet hast du aber auf ein empirisches: Ob eine hohe Konzentration von Einkommen das Wirtschaftswachstum hemmt ist eine empirische Behauptung, die entweder richtig oder falsch ist. Dafür muss man dann allerdings auch irgendeine Art von empirischem Argument machen, da ist "ich habe das Gefühl, dass es so ist" nahezu wertlos, weil die meisten Themen, deren Antwort so offensichtlich sind, dass man das alleine nach Gefühl sagen kann, politisch längst abgeräumt sind: Ich kenne beispielsweise keine "Studie" im engeren Sinne, ob sich unsere Gesellschaft auch ohne Polizei regeln ließe, aber das ist politisch kein Thema weil der überwiegenden Mehrheit der Menschen relativ klar ist, dass das keine gute Idee wäre.
Was mich bei dem ganzen Themenkomplex "Verteilungsfragen im engeren Sinne" häufig stört ist die Offensichtlichkeit, mit der manche Leute ihre moralischen Argumente in behauptete empirische Notwendigkeiten verpacken, um die moralische Verteidigung des eigenen Standpunktes zu umgehen. Ob die jeweiligen Steuern auf hohe Einkommen oder hohe Erbschaften nun moralisch wünschenswert sind oder nicht braucht dann gar keine Rolle mehr zu spielen weil man sie ja leider, leider nicht umgehen kann: Der Spitzensteuersatz sei ja nun mal der Steuersatz des Mittelstandes und die Erbschaftssteuer würde die familiengeführten Unternehmen in ihrer Substanz treffen, beides also aus wettbewerbspolitischer Sicht nicht machbar. Bei genauerer Betrachtung sind allerdings die meisten dieser Argumente empirisch bestenfalls umstritten, was aber keine Rolle spielt, weil ihr wahrer Nutzen darin liegt nie in die moralische Debatte einsteigen zu müssen. Wenn man sich darüber streitet, ob es jetzt "gut" oder "schlecht" für die "Wettbewerbsfähigkeit" sei, dass Betriebsvermögen fast steuerfrei vererbt werden können, braucht man sich nicht mit der fundamentalen Problematik auseinander zu setzen, dass die Privilegierung von Betriebsvermögen moralisch schwer zu rechtfertigen ist, wenn man bedenkt um welche Summen es da geht.
Ich sehe die Beweislast bei der Position, dass Bürgergelderhöhung ein gutes Investment sei eher als umgekehrt bei mir.
Die Beweislast ist komplett symmetrisch, alles andere ist status quo bias.