"Der Hochmuth ( superbia und, wie dieses Wort es ausdrückt, die Neigung immer oben zu schwimmen) ist eine Art von Ehrbegierde ( ambitio ), nach welcher wir anderen Menschen ansinnen, sich selbst in Vergleichung mit uns gering zu schätzen, und ist also ein der Achtung, worauf jeder Mensch gesetzmäßigen Anspruch machen kann, widerstreitendes Laster.
Er ist vom Stolz ( animus elatus ) als Ehrliebe, d. i. Sorgfalt seiner Menschenwürde in Vergleichung mit anderen nichts zu vergeben, (der daher auch mit dem Beiwort des edlen belegt zu werden pflegt) unterschieden; denn der Hochmuth verlangt vom andern eine Achtung, die er ihnen doch verweigert. - Aber dieser Stolz selbst wird doch zum Fehler und Beleidigung, wenn er auch blos ein Ansinnen an Andere ist, sich mit seiner Wichtigkeit zu beschäftigen.
Daß der Hochmuth, welcher gleichsam eine Bewerbung des Ehrsüchtigen um Nachtreter ist, und denen verächtlich zu begegnen er sich berechtigt glaubt, ungerecht und der schuldigen Achtung für Menschen überhaupt widerstreitend sei: daß er Thorheit, d. i. Eitelkeit im Gebrauch der Mittel zu etwas, was in einem gewissen Verhältnisse gar nicht den Werth hat, um Zweck zu sein, ja daß er sogar Narrheit, d. i. ein beleidigender Unverstand sei, sich solcher Mittel, die an anderen gerade das Widerspiel seines Zwecks hervorbringen müssen, zu bedienen (denn dem Hochmüthigen weigert ein jeder um desto mehr seine Achtung, je bestrebter er sich darnach bezeigt), - dies alles ist für sich klar.
Weniger möchte doch angemerkt worden sein: daß der Hochmüthige jederzeit im Grunde seiner Seele niederträchtig ist. Denn er würde Anderen nicht ansinnen, sich selbst in Vergleichung mit ihm gering zu halten, fände er nicht bei sich, daß, wenn ihm das Glück umschlüge, er es gar nicht hart finden würde, nun seinerseits auch zu kriechen und auf alle Achtung Anderer Verzicht zu thun."
Aus Kant: Metaphysik der Sitten