Gustavo
Doppelspitze 2019
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Ich bin immer hin und hergerissen bei dir, zwischen "hat gute Argumente, kann man mit diskutieren und kritisert auch zurecht", wie der zweite Absatz (natürlich war meine Darstellung da unterkomplex, aber mE wesentlich näher an der Realität als völkerrechtlicher Rechtspositivismus) und "wtf" wie bei diesem "Argument".
Sicher ist sie wesentlich näher als völkerrechtlicher Rechtspositivismus, das vertritt ja in den Internationalen Beziehungen auch niemand. Die Alternativen sind Liberalismus und Konstruktivismus. Ich bin weit davon entfernt irgendeine Expertise für IB zu haben, aber zumindest ist mir klar, dass der Realismus keinen Raum für Politik lässt (die sagenumwogene "black box"). Das mag vielleicht mal Sinn gemacht haben, als jedes Land von derselben Machart von Autokrat beherrscht wurde, aber für Demokratien ist es eben nicht so einfach. Genau darauf zielte mein Einwand aber ab, siehe:
"Die USA haben einen Haufen Atomwaffen, willst du mir echt erzählen, die hatten Angst vor ein paar Atomraketen auf Kuba"? Es liegt im Sicherheitsinteresse absolut jeden Staates potentielle Feinde möglichst weit weg von den eigenen Grenzen fernzuhalten. Russland hat das, nicht ganz ohne Deutsche Schuld, darüber hinaus ein gewisses Trauma, was plötzlich eintretende Panzerausflüge bis Moskau angeht und wie schnell sowas dann doch passieren kann.
Das ist doch lächerlich. Die Kuba-Krise war der Höhepunkt des Kalten Krieges. Damals war es keineswegs abwegig, dass es zu einem Atomkrieg kommen könnte, heute ist es völlig abwegig. Das Beispiel Kuba ist aber aus einem ganz anderen Grund instruktiv: Kuba war unter Batista eine Diktatur und, auch wenn das damals einige Linke nicht wahrhaben wollten, war es unter Castro weiterhin. Das hat nichts damit zu tun, dass sich ein freies Land für eine Einflusssphäre entscheidet.
Wir drehen uns im Kreis. Legitim ist für mich ein Begriff wie "gerecht" völlig irrelevant. Du umschiffst aber vor allem den Kernpunkt: was unterscheidet denn Russland in dieser Hinsicht von den USA, die ebenfalls ohne jegliche Skrupel alles und jeden wegbomben, wegputschen oder weginvasieren, der ihre Einflussphäre bedroht. Völlig egal, dass es ebenfalls immer auf Kosten der Selbstbestimmung der Völker geht? Und plz nicht mit "Whataboutism" antworten und wieder dem Argument entgehen, weil es hier genau darum geht: um die Frage wo ist bitte der Unterschied zwischen A und B und wenn wir aufgrund dessen mit A nichts zu tun haben sollen, warum sollen wir es mit B dürfen?
Was die beiden voneinenader unterscheidet habe ich hier doch jetzt mehrfach erwähnt: Es gibt quasi keine Länder (und keine Demokratien), die freiwillig der russischen Einflusssphäre angehören wollen, weil die Russen einfach wenig zu bieten haben. Ob die USA sich jetzt im Kalten Krieg von ihrer völlig unsinnigen Domino-Theorie haben leiten lassen oder nicht spielt dafür überhaupt keine Rolle. Der Unterschied ist nicht, dass die USA so viel besser sind als die Russen, obwohl sie es im Schnitt wohl schon waren, schließlich gibt es keine vergleichbaren Erfolgsgeschichten mit Westdeutschland, Japan oder Südkorea im russischen Einflussbereich. Der Unterschied ist, dass die Russen Länder gegen ihren Willen in ihre Einflusssphäre zwingen müssen, weil sie sonst keine Einflusssphäre hätten. Natürlich hat jedes Land, wenn es denn einer Sphäre angehört, möglichst großes Interesse daran, für wenig Gegenleistung gegenüber dem Hegemon möglichst wenig zu tun. Das ist aber eben etwas grundsätzlich Anderes als auf eine Einflusssphäre zu beharren, die weder die wirtschaftliche Stärke Russlands noch die militärische Gefahr durch den Westen noch hergeben. Bei allem Negativen, was man über den Irak-Krieg: Im Nachhinein ist es nun wirklich nicht so, als wäre er für Amerika als Land nicht ein riesiges Verlustgeschäft gewesen. War nix mit "oh, klauen wir halt einfach deren Öl", wie viele in Europa vorher prohezeit hatten
Nur so als Beispiel, weil du es selbst gebracht hast:
Gilt das auch für Perser und die Währung in der sie ihre Ölgeschäfte abwickeln wollen, oder gilt dieses Recht nur für die Länder, die zufällig in der russischen Einflusssphäre sind?
Nicht wirklich. Aber da siehst du halt auch, dass der Realismus dafür keine gute Erklärung hat: Eine Partei im Land hält das für ein erstrebenswertes Ziel (gegen gewisse Konzessionen), die andere nicht. Das ist bedauerlich, aber dass die Republikaner gerade sehr mit ihrer politischen Situation zu kämpfen haben, ist ja nun kein Geheimnis.
Ja und wir alle wissen, dass es ein Label ist und mehr nicht. Niemand glaubt das. Das ist einfach das Ergebnis der aufgezwungenen Heuchelei nach o.g. "westlicher" Manier, nach der man eben nicht mehr sagen kann "ihr bedroht unsere Interessen, wir hauen euch weg" sondern sich jetzt einen fadenscheinigen Menschenrechtsblödsinn ausdenken muss.
Auch hier, wen willst du dafür verurteilen? Die Technik hat nicht Russland erfunden, sondern ebenfalls die USA. Die haben schon arme kuweitische Babies vor irakischen Krankenhausmördern befreit, Massenvernichtungswaffen im Irak gesucht, Menschenrechte gegen den Kommunismus mittels Islamistischer Terroristen verteidigt und die Liste ließe sich WIRKLICH lange fortsetzen.
Wiederum: Das ist doch der pure Whataboutism, dazu noch zu etwas, was überhaupt nicht dem entspricht worüber ich rede. Niemand bestreitet, dass die Amerikaner auch viel Unheil über die Welt gebracht haben. Das ändert nichts daran, dass es nicht legitim ist, Länder gegen ihren Willen statt in ihre in die russische Einflusssphäre zu zwingen, in denen das Volk solche Entscheidungen treffen kann. Wenn das in die andere Richtung geschieht, wie bspw. in Chile, dann ist das genauso verwerflich.