Nur mal zur Klarstellung:
1. Richterämter auf der Bundesebene sind in den USA Ämter auf Lebenszeit. Es gibt drei unterschiedliche Stufen:
(a) Man ist Vollzeitrichter. Das kann man solange bleiben wie man möchte, es gibt keine Altersgrenze. Die meisten Richter scheiden irgendwann im Rentenalter freiwillig aus diesem Status aus und wechseln zu (b), einige wenige auch direkt zu (c)
(b) Man ist senior status. Man ist dann kein Vollzeitrichter mehr sondern Pensionär, bekommt aber immer noch eine reduzierte Fallzahl zugeteilt und entscheidet weiter gleichberechtigt. Das machen viele Richter auch bis weit ins Rentenalter hinein. Die eigene Planstelle wird dann neu besetzt, aber man kann so lange man möchte weiter senior status sein. Manche machen das auch bis sie tot umfallen. In Kansas gab es mal einen Richter, der noch im Alter von 104 Fälle gehört hat.
(c) Man ist vollständig retired. Dann kriegt man gar keine Fälle mehr. Manche Leute behalten den "senior status" Titel formell, andere nicht.
Das ist nicht unerheblich, weil man damit effektiv noch eine deutlichere Überrepräsentation von weißen Männern hat. Es gibt immer noch ein paar aktive senior status judges, die in den 70ern ernannt wurden und jede Menge aus den 80ern, als die Ernennungsquoten zwischen 83% (Bush I), und 91% (Reagan) lagen. Selbst Clinton hat noch 72% Männer ernannt, Bush II dann wieder 78%. Obama war vor Biden der erste Präsident, der unter 70% Männern lag mit 58%, Trump hatte dann wieder einen Wert um die 75%. Mit anderen Worten: Hier von Diskriminierung zu reden ist fragwürdig, wenn man die ganze Diskriminierung als natürlich ansieht, die erst dazu geführt hat, dass Frauen so lange so stark unterrepräsentiert waren.
2. Dass hier ein Pipeline-Problem vorliegt erschließt sich nicht. Die Repräsentation von Frauen in law schools ist schon seit über 30 Jahren jedes Jahr entweder knapp unter oder knapp über 50%. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die meisten Richter bei ihrer Nominierung ältere Semester sind, reden wir bei Trump und Biden keineswegs noch von Jahrgängen, in denen Frauen stark unterrepräsentiert waren. Es gibt auch keinen Grund zu glauben, dass Frauen prinzipiell weniger gerne solche Stellen machen würden als Männer. Im Übrigen gibt es auch keine geografische Benachteiligung, wie der Rattenjunge auszumachen glaubt: Weil fast alle diese Stellen an geografische Standpunkte gebunden sind (die district courts nach Staat respektive Teilstaat [sowas wie "Osten von Pennslyvania"] und die circuit courts nach regionalen Staatenverbünden) und die Richter dort ansässig sind, wo sie Richter werden, ist das schwer möglich.
3. Es wird bei diesen Nominierungen auch in keiner Weise irgendeine "Bestenauslese" betrieben. Die Lage ist relativ klar: Durch gesellschaftliche und politische Veränderungen hat sich das Gewicht der Judikative verschoben. Während das lange Zeit relativ unpolitische* Ämter waren, wurden durch die Ausweitung der Verfassung und ihrer Amendments auf die staatliche Ebene (statt lediglich die bundesstaatliche) viele neue Konflikte geschaffen (bspw. Integration/Gleichstellung von Minderheiten, aber eben auch Fragen wie Religionsfreiheit, Abtreibung, Rechte im Strafprozess usw.). Gleichzeitig kann sich die Legislative auf immer weniger Dinge einigen, weshalb das Gewicht der Judikative immer größer geworden ist, denn im Gegensatz zu Gesetzen muss man dafür keine politische Mehrheit finden, sondern lediglich eine Mehrheit unter den jeweiligen Richtern (wobei die wichtigsten Fälle letztendlich alle durch den Supreme Court final entschieden werden). Deshalb hat jeder Präsident den Anreiz, möglichst ideologisch für ihn und seine Partei kongruente Richter zu benennen.
Viele dieser Entscheidungen kann man nach keinem sinnvollen Maß mehr als "richtig" oder "falsch" (oder "gut"/"schlecht") beschreiben, weil Richter anhand von extrem vagen Klauseln in der Verfassung extrem kleinteilige Entscheidungen treffen müssen. Es ist überhaupt nicht klar, wie ein Maßstab nach "Qualität" für sowas überhaupt aussehen könnte, geschweige denn wie Präsidenten das implementieren sollten. Was es gibt ist eine Qualitätskontrolle in dem Sinn, dass jemand überhaupt für das Richteramt geeignet ist: Hat er genug Erfahrung in irgendeinem Teil der Profession? Wie ist die Wahrnehmung der Kollegen? Dafür gibt die American Bar Association Ratings raus und dort werden fast alle Kandidaten entweder als "qualified" oder "well qualified" eingestuft, auch bei Trump. Allerdings gab es hier vor Biden einen extremen Überhang bestimmter Teile der Profession: So wurden bspw. haufenweise ehemalige Staatsanwälte zu Richtern ernannt, aber fast keine Pflichtverteidiger. Die meisten Absolventen von law schools sind sicher NICHT geeignet, um Richter zu werden, aber es ist jetzt auch nicht so, als gäbe es nicht genug qualifizierte Frauen, um jede einzelne Stelle mit einer Frau zu füllen, wenn man das wollte.
Konsequenterweise spart ihr in dieser Diskussion die offensichtlichste "Diskriminierung" komplett aus: Unter Trump gibt es keine liberalen Richter, unter Biden keine konservativen. Dass Konservative weniger ethnische Minderheiten ernennen sollte letztendlich nicht überraschen: Es gibt dann schlicht doch nicht genug Afroamerikaner, die die Ideologie der Republikaner vertreten UND qualifiziert wären, Richter zu werden (bei Hispanics schon viel eher btw). Es ist ein offenes Geheimnis in den USA, dass es auf jeder Ebene einfacher ist, als Konservativer eine Position in der Judikative zu ergattern, weil es schlicht unter den Absolventen der angesehensten law schools deutlich weniger Konservative gibt als Liberale, genau wie in den Fakultäten und auch unter den big law Partnern.
4. Ob man das jetzt "Diskriminierung" nennen will, dass hauptsächlich weiße liberale Männer schlechtere Chancen auf eine politische Position haben ist imho schlicht Ansichtssache. Man sollte auf keinen Fall so tun, als sei das, was man bei Bidens Richtern als Muster sieht in irgendeiner Form "Zufall": Ist es natürlich nicht. Es war das erklärte Ziel, die Repräsentation von Minderheiten innerhalb der Judikative zu erhöhen. Die Republikaner haben relativ klar gemacht, dass ihnen das letztendlich egal ist.
Jetzt können die Demokraten entweder selbst versuchen, diesen Überhang auszugleichen oder sie können es lassen. Das sind halt unterschiedliche Konzeptionen von Gerechtigkeit und prinzipiell bin ich bei dem Setup auch skeptisch: Man hat zwei Spieler, von denen der eine auf Repräsentation wert legt und der andere nicht. Letzterer produziert dann (ob bewusst diskriminierend oder nicht kann dahingestellt bleiben) relativ ungleiche Ergebnisse. Dann ist es immer am ersten Spieler sich zu fragen, ob er das aus seiner Hälfte des Kuchens komplett ausgleichen will (und dann dementsprechend selbst bestimmte Gruppen unterrepräsentiert, die der andere überrepräsentiert hat) oder nicht. Warum ich hier allerdings eher wenig skeptisch bin ist die Tatsache, dass das ganze System überhaupt nicht auf Qualität ausgerichtet ist, sondern eben auf Ideologie. Dass es ein weißer liberaler Mann in irgendeiner Weise mehr oder weniger verdient, so eine Stelle zu bekommen, halte ich für weit hergeholt und es gibt empirische Hinweise darauf, dass die Zusammensetzung der Richterschaft durchaus Einflüsse auf die Urteile hat, insofern halte ich Repräsentation hier für einen nachvollziehbaren Grund, so zu besetzen wie Biden besetzt. Allerdings sollte man schon auch erwähnen, dass das Muster, was wir momentan sehen, sicher nicht der steady state ist: Wenn die Demokraten ALLE Positionen der Judikative besetzen könnten, würden wir sicher mehr als <5% weiße Männer sehen.
Quelle: Ich war TA für "Politics of the Judiciary" an einer US-Universität. Citations gerne auf Nachfrage.
*vielleicht sollte man genauer sagen "im politischen Mainstream, deshalb als unpolitisch wahrgenommen"; natürlich ist es prinzipiell nicht unpolitisch zu entscheiden, dass "separate but equal" verfassungsgemäß ist, nur war das 1896 nun mal gesellschaftlicher Konsens