Ich gehöre selbst zu dieser Kohorte, und meine Erfahrung in sicherheitspolitischen Diskussionen sagt mir, dass meine Generation sich schwertut mit jener Art von Politik, die außerhalb Deutschlands immer offensiver betrieben wird: Machtpolitik. Millennials denken nicht in Kategorien von Interessen. Machtpolitik steht in Widerspruch zu unserem Verständnis internationaler Beziehungen. Wir sehen nicht, dass militärische Macht ein Element geopolitischer Macht ist. Mit großen Augen verfolgen wir die Lage an Europas östlichen Grenzen. Putins Politik erscheint uns aus der Zeit gefallen: Militärmanöver, Drohkulisse, territoriale Ansprüche. All das sollte es aus Sicht meiner Generation nicht mehr geben, es sollte nicht funktionieren. Entgegenzusetzen haben wir diesen Taktiken wenig.
Es hat eine Weile gedauert, bis mir auffiel, dass deutsche Millennials teils ungewöhnliche außenpolitische Vorstellungen haben. Je länger ich außerhalb Deutschlands lebte, in Frankreich und Großbritannien – Länder, in denen strategisches Denken üblicher ist –, umso mehr haben mich einige Diskussionen verblüfft, die meine deutschen Altersgenossen führten. Ein Millennial brachte es mir gegenüber einmal auf den Punkt: "Geopolitik, das klingt einfach zu sehr nach Truppenbewegung!" In diesem Satz offenbaren sich eine Reihe expliziter und implizierter Ideen und Überzeugungen, die mir bei Gleichaltrigen hier oft begegnen. Eine Skepsis gegenüber der Geopolitik, der Unwille, in Begriffen von Macht und Interessen zu denken, und die Ablehnung des Militärs als Element, das geopolitischen Einfluss bestimmt. Deutsche Millennials neigen dazu, internationale Politik aus einer wertebasierten, emotionsgeprägten Perspektive zu betrachten.
Selbstverständlich schließen Werte und Interessen einander nicht aus, und sie sind oft in einer Weise miteinander verwoben, die es schwer macht, sie auseinanderzuhalten. Aber meine Generation hat eine geradezu romantische Idee internationaler Beziehungen entwickelt. Wir sehen Allianzen als Freundschaften und Meinungsverschiedenheiten als Ausdruck von Wertedifferenzen. Wir glauben, dass unsere Vorstellung der Welt die einzig richtige ist und das allen anderen auch klar wird, wenn man es nur gut genug erklärt. Wir sind schlecht vorbereitet, unsere Interessen und Werte gegenüber aggressiveren geopolitischen Widersachern wie Russland, aber auch China zu behaupten.
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Ob dieser Entwicklung wurden wir ziemlich selbstzufrieden. Denn das Glück, das die Deutschen nach 1989 hatten, löste einen Fehlschluss aus: Machtpolitik abzulehnen sei nicht nur klug, es zeige moralische Überlegenheit. Wir brüsten uns damit, aufgeklärter zu sein als die anderen: Ja, in der Vergangenheit sind wir den Lügen von Nationalismus und Ideologie aufgesessen, aber heute hat niemand die Lektion besser gelernt als wir. Mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung sehen wir auf diejenigen herab, die sich weigern, Kompromisse am Verhandlungstisch zu suchen, die Nationalismen befeuern oder gar denken, politische Differenzen könnten durch militärischen Konflikt gelöst werden. Dies verärgert nicht nur Verbündete, die ungern wie unaufgeklärte Verwandte behandelt werden wollen. Es ist auch gefährlich, weil es unkritisch ist. Ungläubig sehen wir, wie Russland Kriege auf Basis von Großmachtstreben und nationalistischen Parolen führt. Wie in China kein Demokratisierungsprozess stattfindet, sondern ein immer autoritärerer Staat erwächst. Insgeheim hoffen wir, dass diese Machtpolitik bald Geschichte ist, wir uns gemeinsam den echten Herausforderungen stellen.