Wenn man die Vermutung verwirft, dass
Berlin am Ende doch auf einen Kuhhandel mit
Moskau zielt, bleiben zwei Erklärungen. Die erste ist ökonomischer Natur: Scholz will Putin nicht zu sehr auf die Pelle rücken aus Sorge, er könnte uns im Gegenzug den Gashahn komplett abdrehen. Die andere Erklärung liefert der Kanzler selbst, wenn er immer wieder die Sorge vor einer Eskalation des Krieges betont und seinen festen Willen bekräftigt, Deutschland dürfe nicht Kriegspartei werden. Dahinter steckt die Sorge, Putin werde Amok laufen, wenn er vor einer militärischen Niederlage in der Ukraine steht.
Bezeichnenderweise ist diese Furcht in Deutschland besonders ausgeprägt. Sie spielt keine handlungsleitende Rolle in Polen, den baltischen und skandinavischen Staaten, die sich an der Frontlinie zu Russland befinden. In Deutschland lautet die Lehre aus dem verlorenen Zweiten Weltkrieg: Nie wieder Krieg, schon gar nicht mit Russland. Unsere Nachbarn haben aus dieser Katastrophe eine andere Lehre gezogen: Nie wieder Appeasement. Sie wissen besser einzuschätzen, mit welchem Russland wir es zu tun haben und was in der Ukraine auf dem Spiel steht. Und sie sind die besseren Realpolitiker, wenn sie darauf beharren, dass Russland in der Ukraine gestoppt werden muss, um noch größeres Unheil zu verhindern.
Der Westen verfügt über vielfach größere ökonomische Reserven und militärisches Potenzial als das Putin-Regime. Woran es mangelt, ist der politische Wille, dem russischen Neoimperialismus Einhalt zu gebieten. Der
Bundestag hat sich mit überwältigender Mehrheit für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ausgesprochen, und zwar ohne Einschränkungen. Die Bundesregierung sollte diesem Beschluss folgen. Wir werden sonst erneut die Frage beantworten müssen, weshalb wir nicht mehr getan haben, um einen Vernichtungskrieg zu stoppen.