In zwei von vier Bundestagen, die Merkel zur Kanzlerin gewählt haben, hatte Rot-Rot-Grün eine Mehrheit. Was ist gleich nochmal das Argument?
Merkel hat nach der Wahl 2005, in der die CDU ja durchaus sehr neoliberal aufgetreten ist, geschnallt dass die Wähler in Deutschland in der Mitte des Landes sind und deshalb die CDU in die Mitte gerückt. Seitdem kommen R/R/G nur noch auf 40-45% der Stimmen; das war auch 2013 so, die Mehrheit kam nur zustande weil FDP und AfD beide knapp den Einzug in den Bundestag verpasst haben. Insofern war das politisch clever, als dass gegen die CDU keine Regierung zu machen ist.
Was viele vergessen, die sich über die Merkel-CDU beschweren: So konservativ war die CDU eigentlich nie. Die CDU unter Kohl hat auch fast keine der sozialliberalen Reformen der 1970er zurückgenommen als sie an der Macht war; effektiv war die CDU immer konservativ, weil sie Veränderungen blockt, nicht weil sie die Zeit zurückdreht. Wenn sie nicht an der Macht ist ist die Rhetorik zwar deutlich konservativer, aber weil immer schon klar war dass man gesellschaftspolitisch auf verlorenem Posten steht, indem man versucht, die Zeit zurückzudrehen, hat die CDU immer recht pragmatisch regiert. Mittlerweile ist die "geistig-moralische Wende" älter als viele Redakteure, deshalb erinnert sich daran kaum noch jemand, aber das war letztendlich fast zu 100% konservative Rhetorik, aus der dann nichts wurde.
Was Merkel anders gemacht hat war bestimmte Veränderungen eben nicht mehr zu blocken, wenn sie das Gefühl hatte dass sie nicht zu verhindern waren. Früher wäre die CDU halt irgendwann abgewählt worden und die SPD hätte die Veränderungen dann durchgeführt, heute räumt Merkel den Kram selbst ab und blockt den Rest. Im Herzen ist das alles ein Trade-Off zugunsten von wirtschaftspolitischem Liberalismus (von dem Merkel nie abgerückt ist), dafür müssen die gesellschaftspolitisch konservativen Mitglieder Kröten schlucken.
Der Unterschied zwischen der Kohl-CDU und der AfD ist, dass die AfD den Kram, den die Kohl-CDU nur gesagt hat, um damit rechte Wähler zu ködern, wirklich möchte. Die CDU wusste aber schon immer, dass es in unserem politischen System einfach schwer machbar ist, Policy stark nach rechts oder links zu verschieben. Die AfD muss das nicht kümmern, weil sowieso niemand denkt dass sie an die Regierung kommt. Wenn man jetzt aber genau diesen Wählern verspricht, dass man sich für Politik einsetzt, wie Heator sie skizziert, ist meine Vermutung, dass das auf Dauer nur zu noch mehr Enttäuschungen führen muss, weil dafür einfach keine Mehrheiten existieren.
Im Übrigen kann die AfD auch problemlos Dinge fordern, die gut klingen, letztendlich aber unverantwortlich sind. Das ist imho DAS Merkmal des Rechtspopulismus schlechthin: Man tut so als würde das eigene Land ohne Not den anderen ein größeres Stück des Kuchens zugestehen und wenn man nur entschiedener auf die eigenen Interessen drängt könnte man für sich selbst mehr rausschlagen. Das Problem ist halt, dass das nur funktioniert, wenn es einige wenige machen; wenn es alle machen würden, würde die Kooperation insgesamt schwächer und der Kuchen schrumpft. In der Realität ist internationale Kooperation immer damit verbunden, dass man gewisse Kröten schlucken muss. Rechtspopulisten gauckeln ihren Wählern vor, dass das nicht stimmt, aber das ist halt verantwortungslos. Klar klingt es geil zu sagen, dass kein deutsches Steuergeld für griechische Hallodris ausgegeben wird. Wenn man Finne ist und von finnischem Steuergeld redet, kann man das machen, weil Finnland nicht sonderlich wichtig für eine Lösung ist. Wenn Deutschland das allerdings macht, hat man eine gute Chance, dass das System komplett zusammenbricht. Das muss man sich erst mal trauen, wenn man selbst in Regierungsverantwortung ist. Nicht mal die Republikaner, die ansonsten absolut krass auf jegliche Staatseingriffe schimpfen, waren bereit, ihre Banken einfach so bankrott gehen zu lassen, obwohl jedem klar war, dass in der Bevölkerung für einen Bailout keine Unterstützung bestand.