Tragischer Fall von Altersarmut bei der FAZ:
Eine Karriere bei einer Großbank, ein Haus in Frankreich, vier Renten – und doch gibt es Geldsorgen. Wie es dazu kommen konnte, zeigt das Beispiel eines ehemaligen Bankers aus Gelsenkirchen.
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"Eine Karriere bei einer Großbank, ein Haus in Frankreich, vier Renten – und doch gibt es Geldsorgen. Wie es dazu kommen konnte, zeigt das Beispiel eines ehemaligen Bankers aus Gelsenkirchen.
Meinolf Schwens führt mit seiner Frau in Gelsenkirchen ein bodenständiges Leben. Die Möbel im Wohnzimmer und dem kleinen Arbeitszimmer sind gebraucht, die Küche ist nicht auf Komfort, sondern Pragmatik getrimmt. Dabei war Schwens dreißig Jahre lang erfolgreicher Banker.
Nach dem Studium hat der heute 70-Jährige lange für die Dresdner Bank gearbeitet. In Essen und in Frankfurt, in Lyon, Paris und Luxemburg. Zur Jahrtausendwende ist er Abteilungsdirektor. Doch die Globalisierung setzt die damals drittgrößte Bank Deutschlands unter Druck. Sie baut Personal ab, es laufen Übernahmegespräche, Schwens bekommt das Angebot, in einem anderen Bereich eingesetzt zu werden. Doch er will sich nicht auf „die Resterampe“ schieben lassen, wie er es ausdrückt. Selbst Banker pflegen im Ruhrgebiet eine ehrliche Wortwahl. Stattdessen geht er wenige Straßen weiter zur Royal Bank of Scotland, Bereich „Leverage Finance“. „Das war der Renner. Da habe ich sehr gut verdient, alles vom Feinsten“, sagt Schwens.
2009 bekommt er die Chance, in der französischen Provinz, im westlichen Departement Charente, das Haus der Großeltern seiner Frau zu kaufen. Den Preis von 100.000 Euro will er mit einer zehnjährigen Hypothek zum Renteneinstieg abbezahlt haben. Die „Hütte“ mit 300 Quadratmeter Wohnfläche und einer parkähnlichen Anlage erklärt den einfachen Lebensstil, den er mit seiner Frau in Gelsenkirchen pflegt. Doch der Traum, mit seiner Frau auf dem französischen Land alt zu werden, steht schnell vor dem Aus: Infolge der Finanzkrise wäre die Royal Bank beinah dem Konkurrenten Lehman Brothers in die Insolvenz gefolgt. Alibikandidat für die Seniorenquote
Bevor ihn die endgültige Schließung seiner Abteilung einholt, verhandelt Schwens über eine Abfindung. Die Schotten bieten ihm nach fünf Jahren Anstellung 180.000 Euro. „Jeder Vernünftige wird dir sagen: ‚Bist du denn bescheuert? Du nimmst den Scheck, ohne was Vernünftiges in der Hinterhand zu haben?!‘“, sagt Schwens heute. Doch vor 14 Jahren, mit Mitte 50, sagte er sich: „Ich bin jung, dynamisch, jetzt nimmste den Scheck!“ Von dem landet die Hälfte beim Fiskus. Immerhin sind die beiden Söhne schon aus dem Haus.
Die Immobilie in Frankreich geht ins Geld – 200.000 Euro Sanierungsstau. Heizung, Wasser und Elektrik werden neu gemacht und fressen an Schwens Ersparnissen. Aber er ist zuversichtlich. Mit dem Credo „Ich hab noch zehn Jahre!“ geht er auf Stellensuche. Erfolglos. Ihm wird klar, dass er nur ein Alibikandidat für Unternehmen ist, die auch Senioren auf ihren Bewerberlisten brauchen. „Wenn du 50 bist, kriegst du keinen neuen Job mehr, kannst du vergessen“, beschreibt er seine damalige Situation.
Weil es irgendwie weitergehen muss, versucht er sich an einer eigenen Unternehmensberatung. „Das war so ’ne Sache. Es ist nicht leicht, an das Geld anderer Leute ranzukommen“, sagt Schwens, der zunächst die Kontakte aus seiner Bankerzeit abklappert, „aber wenn du nicht mehr den großen Namen der Bank hinter dir hast, wollen deine ehemaligen Kunden nichts mehr von dir wissen.“ Ein paar Aufträge bekommt er über einen alten Kontakt aus Dresdner-Bank-Zeiten, dann gründet er mit einem Schwager ein deutsch-französisches Beratungsunternehmen, Spezialität Compliance. Doch die Franzosen interessierte die deutsche Regeltreue nicht. „Schon das Wort ‚Compliance‘ wollten die nicht in den Mund nehmen. Ist ja englisch“, sagt Schwens. Die Selbstständigkeit als Rettung?
Er versucht sich an einem anderen Beratungsunternehmen, schließlich an einer Finanzvermittlungsgesellschaft, die er als „Klitsche“ und „Pommesbude“ bezeichnet. Vier Jahre dauert seine Selbständigkeit, vier Jahre lebt er von der Hand in den Mund. Nicht nur einmal muss er sich Geld von Freunden leihen, um weder das Haus in Frankreich noch die Wohnung in Deutschland aufgeben zu müssen, berichtet er.
Im Alter von 62 Jahren bekommt Schwens 2015 doch noch einen Job. Ein Freund vermittelt ihm die Verwaltungsleitung eines gemeinnützigen Vereins. Kurz danach geht Schwens in Rente. Die Arbeit im Verein macht er noch heute. Sie ermöglicht es ihm, in Deutschland wohnen zu bleiben und sich in mehreren Vereinen vor Ort zu engagieren.
Schwens bezieht neben der gesetzlichen noch drei weitere Renten: die Rente des Versicherungsvereins des Bankgewerbes (BVV), die interne Rente der Dresdner Bank und eine Rente von der Luxemburger Rentenversicherung, weil er dort gearbeitet hat. „Wenn ich nur meine gesetzliche Rente mit den 1600 bis 1700 Euro hätte, könnte ich mir einen Strick drehen. Aber mit diesen vier Renten zusammen sieht das natürlich ganz anders aus“, sagt Schwens, der seine Frau mitversorgt. In Frankreich als freiberufliche Beraterin tätig, hat sie in Deutschland nie beruflich Fuß gefasst, sondern auf die Kinder aufgepasst und sich ehrenamtlich engagiert. Weil sie Französin ist, kriegt sie auch keine Mütterrente.
Die Renten und der Lohn des gemeinnützigen Vereins summieren sich jährlich auf 60.000 Euro netto. Laut Schwens gehen davon etwa 12.000 Euro für Lebenshaltungskosten und 5000 Euro für Versicherungen drauf. Für die Wohnung in Gelsenkirchen zahlt er 9000 Euro Miete und Nebenkosten, das abbezahlte Haus in Frankreich schlägt mit 5500 Euro zu Buche. „Es ist wunderbar, wenn man ein Ferienhaus im Ausland hat. Aber davon, was das bedeutet, macht man sich keinen Begriff.“ Die Grundsteuer, die Schwens als Ausländer weiterhin zahlen muss, und die Kosten für einen weiteren Haushalt inklusive Gas- und Telefonrechnung sind fixe Ausgaben.
Zwar teilt sich Schwens in Deutschland ein Auto mit seiner Frau, wenn diese aber längere Zeit auf dem Land in Frankreich verbringt, braucht sie ein eigenes. „Bald muss das zum TÜV. Natürlich in Deutschland“, sagt Schwens, „das kostet dann auch wieder Geld.“ Den Kredit für den Zweitwagen tilgt er mit 4600 Euro im Jahr, die weiteren Mobilitätsausgaben beziffert er auf 3000 Euro. „Dann habe ich noch einen Bausparvertrag für die Jungs, weil die Zinsen damals so günstig waren. Dafür zahle ich 200 Euro im Monat. Falls die mal Geld oder eine neue Heizung brauchen.“
Wenn er nicht mehr in der Vereinsverwaltung arbeiten kann, müsse er die Wohnung in Gelsenkirchen aufgeben und endgültig nach Frankreich ziehen. Aber vielleicht, hofft Schwens, ist dann wenigstens noch genug Geld für eine Einliegerwohnung in Deutschland übrig: „Man möchte ja schon in der Nähe von Freunden und Familie sein.“