Heator:
Wenn ich dich richtig verstehe, dann bist du gegen die "deutsche Meinungsfreiheit" bzw. gegen die deutsche Strafbarkeit von Beleidigungen vor allem aus zwei Gründen: Zum einen weil du meinst, dass reine Meinungsäußerungen (im Gegensatz zu Tatsachenbehauptungen) in einem freien Land erlaubt sein sollten und zum anderen weil du meinst, dass das Rechtsgut der "Ehre" viel zu schwammig sei, um es konkret zu schützen.
Erklär mir doch bitte mal drei Dinge:
1) Inwiefern ist bitte die Abgrenzung mit der Strafbarkeit von falschen Tatsachenbehauptungen "besser" als unser Ehrschutz?
In den USA darf ich sagen "du bist ein Idiot", aber nicht "du hast einen IQ von 85". Ich darf sagen "bist du vielleicht geistig behindert oder was?" aber nicht "du bist geistig behindert". Unsere Sprache ist dazu da, Gedanken und Ideen in dem Kopf des Gesprächspartners entstehen zu lassen, die ich mit meinen Worten transportiere. Und in deiner tollen Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen zu Meinungsäußerungen kann ich denselben Inhalt transportieren, mache mich aber nur teilweise strafbar. Ist das vorzugswürdig?
2) Im Übrigen hast du noch nicht ein einiziges Mal dargelegt, warum eigentlich das deutsche Recht schlechter sein soll als beispielsweise das anglo-amerikanische. Du trägst den Spruch von der (nahezu) unbegrenzten Meinungsfreiheit vor dir her, aber du hast keinerlei Argumente, warum das überlegen sein sollte. Unsere (Straf-)Gesetze dienen einem einzigen Zweck: Ein friedliches, geordnetes, zivilisiertes Zusammenleben zu ermöglichen. Mir will einfach beim besten Willen nicht einleuchten, warum es das menschliche Zusammenleben fördern sollte, wenn man andere beleidigen darf - bzw. umgekehrt, inwieweit es unser Zusammenleben negativ beeinträchtigt, wenn man andere nicht beleidigen darf. Es gibt einen Grund, warum in jeder mir bekannten menschlichen Zivilisation der Geschichte die Beleidigung entweder strafbar war oder in irgendeiner anderen Form mit negativen Konsequenzen (und sei es auch nur gesellschaftliche Ächtung) belegt ist. Auch in den von dir hoch gelobten USA sind Beleidigungen immer wieder ein Ausgangspunkt für Gewalt, körperlicher wie seelischer. Und sei es auch nur, dass der kleine John dem kleinen Alex als Reaktion auf dem Schulhof eine reinhaut. Du kannst jetzt noch so viel davon reden, dass dann die Gewalttäter eben lernen muss, mit den verletzenden Worten zu leben: Es liegt in der menschlichen Natur, das eben nicht einfach hinzunehmen. Es ist ein Fakt, den du nicht wegreden kannst, dass Menschen friedfertiger zusammenleben, wenn wir uns nicht beleidigen. Also nochmal: Wieso sollte ein Rechtssystem besser sein, in dem die Beleidigung straffrei ist?
3) Mir ist - auch nach zahllosen Diskussionen zu dem Thema - immer noch nicht klar, inwiefern die Strafbarkeit der Beleidigung so schwammig sein sollte. Der Vorwurf zielt ja offenbar darauf ab, dass du dich in der Öffentlichkeit kaum mehr traust ein Wort zu sagen, weil du immerzu fürchtest, dich strafbar zu machen. Mir ist seltsamerweise
kein einziger Fall bekannt, weder aus meinen eigenen Fällen, noch aus denen von Kollegen, noch aus Erzählungen vom Hörensagen von Freunden, Bekannten, Forenteilnehmern whatever, in dem jemand sich zu Unrecht wegen Beleidigung verfolgt fühlte. Bis auf eine Fallgruppe ist immer jedem Täter klar, dass seine Äußerung so nicht ok war und offensichtlich unter den Tatbestand der Ehrverletzung subsummiert werden konnte. Einzige mit bekannte Ausnahme sind die sog. "Beamtenbeleidigungen", bei denen irgendwelche Hooligans, Links-und-rechts-Extreme oder Verkehrssünder insbesondere gegenüber Polizeibeamten irgendwelche komischen Dinge äußern; und selbst da geht es bei dem Protest nur vordergründig um die Frage, ob das eine Beleidigung war. Denn in allen mir bekannten Fällen meinte der Äußernde das sehr wohl ehrverletzend und wollte den jeweiligen Beamten provozieren, allerdings immer mit dem Hintergedanken, sich der Verfolgung unter Hinweis auf die vermeintliche Straflosigkeit entziehen zu können.
Kurzfassung: Bei den Fällen, die tatsächlich zu einer Strafverfolgung führen, kenne ich niemanden, der nicht zweifelsfrei von vornherein erkannt hat, dass seine Äußerung Ehrverletzend ist.
Ach ja: Im Übrigen lehne ich mich mal weit aus dem Fenster und behaupte Folgendes (korrigiere mich ggf.): Du würdest auch keine Abschaffung von drei willkürlich von mir ausgesuchten Straftatbeständen, nämlich...sagen wir....Mord, Betrug, und Körperverletzung fordern. Drei Straftatbestände, die für den Laien im Einzelfall deutlich schwerer nachzuvollziehen sind, als die Beleidigung. Frag mal in einer Schulklasse die Grenzfälle der Beleidigung ab und dann die Grenzfälle von Mord, Betrug (!!) und Körperverletzung. Ich habs mal gemacht: Bei Beleidigung waren sich die Jugendlichen recht schnell einig, bei den anderen Taten sah man nur Fragezeichen in den Gesichtern. Soviel mal zur "Schwammigkeit". Imho ein vorgeschobenes Argument.
PS:
Heator" schrieb:
hass und hetze sind vielleicht nicht schön, aber sie sind das recht eines freien menschen.
Da zu meinem Beruf deutliche Worte gehören: Das ist einer der dümmsten Sprüche, die ich bislang gelesen habe. Nur einen Schritt weg von IS-Kämpfern, die sagen Mord, Vergewaltigung und Brandstiftung seien das Recht und die Pflicht jedes Gläubigen Mannes. Als jemand, der sicherlich im Studium auch Rechtsphilosophie gehört hat, erklär mir mal kurz, worauf du dein vermeintliche Recht gründest.