Ich bin kein Jurist, finde das Urteil aber nicht wirklich verständlich. Zwar liege keine klar verbotene monetäre Staatsfinanzierung vor, der Vorgang ist aber trotzdem illegal, weil Verhältnismäßigkeit nicht erklärt? Woraus leiten die denn das ab? Außerdem sind Bundesregierung und Bundestag nun verpflichtet, diese Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen und ggf. bei der Notenbank auf eine Enstellung von Kaufprogrammen hinzuwirken? häh? Die EZB ist komplett unabhängig. Keine Regierung und kein Parlament sind ihr gegenüber in irgendeiner Weise weisungsbefugt. Welche konkrete Wirkung soll denn aus einer solchen Prüfung durch den Bundestag (oder wen auch immer) erwachsen?
Ziemlich bizarres Urteil:
- Es ist jedem halbwegs vernünftigen Menschen außerhalb des ordoliberalen Spektrums ein Dorn im Auge, dass die EZB kein dual mandate hat, sondern nur auf Inflation abstellen soll. Jetzt kommt aber das BVerfG und sagt, dass die EZB auch die realpolitischen Nebeneffekte beachten soll, aber halt nur auf den deutschen Sparer? Die realwirtschaftlichen Effekte für den deutschen, geschweige denn den spanischen Arbeitslosen spielen also keine Rolle? Zumal Stand heute die ökonomische Forschung ziemlich klar zeigt, dass die Zentralbank mit QE-Programmen die Realwirtschaft ankurbeln kann, während absolut unklar ist, ob jede Anhebung des Zinsniveaus nicht völlig künstlich wäre, während das reale Zinsniveau ziemlich genau dort liegt, wo es makroökonomische Faktoren hingetrieben haben.
- Es ist ja nicht so, dass die Rechtsprechung des EuGH weniger bindend für die nationale Notenbank wäre als die des BVerfG. Wenn die Bundesbank also aus dem PSPP aussteigen würde, könnte die Kommission ein Vertragsverletzungverfahren gegen Deutschland anstrengen, das Deutschland mit ziemlicher Sicherheit verlieren würde.
- Es ist schon etwas frappierend, auf wen sich das BVerfG da so im Einzelnen verlässt. Teilweise wird da Literatur zitiert, da stehen einem die Haare zu Berge. Selbst Volker Wieland, der als Sachverständiger immerhin ein angesehener Ökonom ist, kommt zu 100% aus der Stanford-Schule um John Taylor, die sich in den letzten 10 Jahren mit ihren Voraussagen zum Inflationsverlauf permanent in die Nesseln gesetzt hat. Sieht man ja letztendlich extrem klar im Jahr 2020: Wenn es hart auf hart kommt ist keine Zentralbank der Welt und kein Finanzministerium, das finanziellen Spielraum hat, dazu gewillt, die Art Wirtschafts- und Währungspolitik durchzusetzen, die diese Leute sonst immer einfordern. Und das sind noch die vernünftigeren Quellen, teilweise wird da auf absolut randständige Forschung oder schlicht direkt auf die Interessenvertretung der Sparkassen verwiesen. Da muss man sich schon sehr an den Kopf fassen.
- Ich kann auch absolut nicht nachvollziehen, wie das BVerfG darauf kommt, dass sich die EZB keine Gedanken über die Verhältnismäßigkeit macht. Es gibt eine ganze Armee von Econ-PhDs bei der EZB, die in den letzten fünf Jahren nichts anderes gemacht haben. Ob man das jetzt wirklich nochmal explizit ausführen muss, damit auch der ökonomisch unversierteste Verfassungsrichter noch folgen kann, halte ich für doch etwas anmaßend.
- Das Verständnis des BVerfG bzgl. makroökonomischen Zusammenhängen ist haarsträubend. Wenn man sich nur darauf konzentriert, wofür es Verträge gibt, sieht man nur das halbe Bild. Klar geht Deutschland implizit bei so einem Zentralbankprogramm Verpflichtungen ein, aber das Eurosystem am Laufen zu halten ist genauso eine Verpflichtung. Wenn Italien und/oder Spanien tatsächlich zahlungsunfähig werden, wird der Euro wohl nicht überleben. Das hätte deutlich drastischere Folgen als wenn Deutschland in Haftung genommen werden müsste, aber das ist halt rechtlich nicht geregelt, deshalb scheint es nicht zu interessieren.
- Generell scheint mir dieses ganze Urteil darauf abzuzielen, dass das BVerfG einen Platz am Tisch haben will, wenn die EZB die Regeln festlegt. Das kann man ihm aber einfach nicht zugestehen, schließlich hindert niemand das italienische Verfassungsgericht daran, dann genau dasselbe zu machen und gegenteilige Folgerungen zu stellen. Die Materie ist zu komplex, als dass Juristen die Leitsetzungen beurteilen könnten. Im Endeffekt wird das Urteil wohl keine Auswirkungen haben, weil das BVerfG dann doch weiß, dass es die Verhältnismäßigkeitsprüfung der EZB zum heutigen Zeitpunkt nicht wird beanstanden können, weil sonst PEPP in akuter Gefahr wäre. Aber wenn das BVerfG sich tatsächlich darauf versteifen will, zu sagen, dass weitergehende Maßnahmen nur mit Vertragsveränderungen machbar sind, die aber jedes einzelne Mitgliedsland blockieren könnte, dann wird auf Dauer nichts anderes übrig bleiben als das BVerfG in dieser Frage einfach zu ignorieren.