Naja, die DIW-Rechnung steht afaik unter der Prämisse der Ertragsneutralität. Da ist der politische Wunsch, möglichst nicht viel zu ändern, bereits eingepreist.
Ich bin grundsätzlich für pauschale Stundungsmöglichkeiten, ja: gern 30 Jahre, allerdings verzinst.
Nehmen wir dein Beispiel: Familienunternehmen im Wert von 10 Mio. mit 2 Mio. in Rücklagen. Es ist davon auszugehen, dass sich das Portfolio des durchschnittlichen Familienunternehmers aus Eigeninteresse diversifiziert, wenn sein Betriebsvermögen keinerlei steuerlichen Begünstigung mehr unterliegt. Bei jemandem, der einen 10-Mio.-Betrieb besitzt, würde ich davon ausgehen, dass der wenigstens noch 1 oder 2 Millionen in anderen Assets vererbt, zuzüglich Immobilien und Grundbesitz. Der Erbe ist im Durchschnitt vermutlich älter als 50 Jahre und es ist nicht unrealistisch, dass der selbst noch einiges auf der hohen Kante hat, wenigstens ein paar hunderttausend Euro, vielleicht 1 Million.
Du hast also insgesamt bereits 2-5 Millionen auf Seiten des Erben, aus denen die Erbschaftssteuer von 6 Mio. zum Teil beglichen werden kann. Für die Differenz kann er von Stundungsmöglichkeiten gebrauch machen oder Beteiligungen ausgeben - wenn es dazu rechtlich Hürden gibt (kenne mich nicht aus), sollten diese natürlich abgebaut werden.
Das wichtigste ist allerdings, und hier unterscheiden wir uns vermutlich wieder fundamental: Ich finde es nicht besonders schlimm, wenn ein Familienunternehmen in eine Beteiligungsgesellschaft umgewandelt werden muss und damit nicht als Familienunternehmen weiterbesteht, weil ich den Nutzen von Unternehmen, die über Generationen in Hand derselben Familie bleiben, grundsätzlich in Frage stelle. Die Idee ist auch relativ simpel: In Generation 1 bedarf es einer sehr hohen Kompetenz des Gründers, um ein erfolgreiches Unternehmen auf die Beine zu stellen. Aufgrund der regression to the mean wird sein Erbe im Durchschnitt deutlich weniger Kompetenz haben das Unternehmen weiterzuführen. Über mehrere Generationen hinweg tendiert die Kompetenz der Erben gegen den Mittelwert - wir haben dann lauter Familienunternehmen, die von nur durchschnittlich kompetenten Personen geleitet werden. Ich sehe nicht, warum das für die Volkswirtschaft langfristig hilfreich sein soll. (Dieses intuitive Argument untersucht das letzte von mir zitierte Paper und kommt zu einem ähnlichen Schluss.)
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Woher kommt eigentlich die Idee, dass ein solides, profitables Familienunternehmen direkt ausgeschlachtet und abgewickelt wird, nur weil es nicht von den Erben weitergeführt werden kann?
Auch das lässt sich doch empirisch feststellen: Es gab sicher in der Vergangenheit viele Familienunternehmen, die eben nicht in der Familie vererbt werden konnten, z.B. weil es keinen Erben gab oder der kein Interesse daran hatte. Ich habe in meiner Recherche keinen einzgien Hinweis darauf gefunden, dass das regelmäßig zu Zerschlagung geführt hätte.
Und wie gesagt: Es gehört zur Dynamik des freien Marktes, dass Arbeitsplätze verloren gehen und an anderer Stelle neu entstehen. Etwas mehr Vertrauen in den Marktmechanismus würde ich mir insbesondere von Vertretern liberaler und marktfreundlicher Grundüberzeugung oft wünschen.
Das ist eine Verschwörungstheorie und nichts anderes. Wenn es so einfach wäre Staaten mit genug Geld dazu zu bewegen für Unternehmen oder Interessensgruppe a/bc/ günstige Gesetze zu verabschieden, wäre mein Job viel leichter. Leider tun die nicht immer, was man denen sagt, egal wie viel Geld man in die Hand nimmt.
Du würdest also bestreiten, dass die Mittelstandslobby in Deutschland einen massiven politischen Einfluss ausübt?
Ich glaube nicht, dass du damit Recht hast. Es geht im Übrigen auch nicht darum, irgend jemandem hier Böswilligkeit zu unterstellen. Ich glaube Leuten wie Söder und Lindner durchaus, dass sie davon überzeugt sind, Deutschland einen Gefallen zu tun, indem sie unkritisch die Propaganda der Mittelstandslobby nachplappern. Ich glaube aber, dass sie damit einfach Unrecht haben.
Das betrifft ja übrigens nicht nur den Mittelstand. Guck dir z.B. an, wie viele Milliarden wir in den völlig unwirtschaftlichen Erhalt der Kohleindustrie gesteckt haben - "wegen der Arbeitsplätze" -, nur um das Ganze jetzt für nochmal 40 Milliarden abzuwickeln. Das ergibt in der Logik der Politiker durchaus Sinn: Haben sie Arbeit, sind die Leute zufrieden. Es ist oft aber besser einen Arbeitsplatz, der nicht wirtschaftlich ist, verloren zu geben und sich darauf zu konzentrieren, wo neue Arbeitsplätze entstehen können.
Das ist simple incumbent bias: Die Politik möchte für einen Interessenausgleich sorgen, aber die Unternehmen, die schon länger am Markt sind, haben viel bessere Möglichkeiten ihre Interessen zu vertreten als solche, die erst neu oder noch gar nicht gegründet wurden. Darum tendieren die politischen Spielregeln dazu, den etablierten Playern einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, der langfristig den Fortschritt verlangsamt.
Und was hat es bewirkt? Im Steuermix hat die estate tax trotzdem kein % ausgemacht. Und ich meine, dass wir bereits etabliert haben, dass es wenig sinnvoll ist nur eine einzelne Steuer ohne das gesamte Steuersystem zu betrachten.
Es ist doch letztlich völlig egal, wie viel Prozent des Steueraufkommens es ausmacht. Ne Milliarde ist ne Milliarde.
Das stimmt, aber gerade bei soften Wissenschaften wie VWL, Jura und co. gibt es selten eine auch nur annährend objektiv richtige Wahrheit.
Sagen wir mal so: Wissenschaften, die sich mit extrem komplexen Systemen befassen, haben es selbstverständlich schwerer zu definitiven Erkenntnissen zu kommen als solche, deren Untersuchungsgegenstand überschaubarer ist. Das ändert aber nichts daran, dass wir den besten Erkenntnissen vertrauen sollten.
Es geht auch nicht darum jeder neuen Studie hinterherzulaufen, aber in den Bereichen, wo sich innerhalb der relevanten Wissenschaft eine breite Übereinstimmung ergibt, sollte man sich imo schon daran halten - auf jeden Fall sollte man nicht das Gegenteil behaupten und die Partikularinteressen einer Gruppe zur Prämisse seiner Politik machen, wie das beim Thema Mittelstands vs. Erbschafts- und Vermögensteuer regelmäßig passiert.
Ich bin übrigens Technokrat und kein Ideologe - ich habe meine Vorstellungen von Gerechtigkeit, aber ich bin bereit sie vorbehaltlos dem unterzuordnen, was praktisch möglich ist. Wenn das DIW oder der wissenschaftliche Beirat des BMF klar sagen würden: Macht die Erbschaftssteuer lieber nicht höher als x%, weil wir sonst stark negative Effekte für wahrscheinlich halten, dann hab ich kein Problem damit, das zu akzeptieren.
Das ist genau wie mit der Vermögensteuer: Auch hier bin ich prinzipiell dafür, dass der Staat sich holt, was zu holen ist, weil ich glaube, dass es wirklich Vermögenden nicht wehtut, man mit dem Geld aber viel Gutes machen kann. Aber wenn das nicht geht, z.B. weil der Erhebungsaufwand in keinem sinnvollen Verhältnis zum Ertrag steht, dann muss man es eben bleiben lassen und sich andere Hebel suchen.
Ich weigere mich aber zu akzeptieren, dass alles, was wir gerade tun oder nicht tun, schon seinen Sinn haben wird, nur weil es der Status quo ist.