Das gebetsmühlenhafte Insistieren auf den "Bürokratieabbau" ist auch wieder so eine Sache, wo (in dem Fall beide Regierungs-)Parteien wieder unsinnig Erwartungen wecken, die sie nie im Leben erfüllen können. Wenn man abzieht, dass
(1) vieles davon von der EU kommt (und das auch bei weitem nicht nur alles die vielbeschworenen Goldrandlösungen sind)
(2) ein guter Teil der Klagen der Unternehmen sich auf eine relativ geringe Zahl von bestimmten Maßnahmen richten, die aber "zufällig" fast alle höchst vorteilhaft für Arbeitnehmer sind
(3) im Verwaltungsrecht vieles aufeinander aufbaut und es nicht so einfach ist, irgendwas zu streichen nur weil es besonders absurd ist
bleibt dann schon gar nicht so viel übrig. Bin mal gespannt ob bei dieser Staatsmodernisierungs-Kommission mehr rauskommt.
(1) und (2): Absolut. Bei (1) empfinde ich allerdings, dass man in den entsprechenden Richtlinien für Entlastung auf dieser Ebene sorgen sollte, bzw. dort auch Druck aufbauen müsste. Alleine die Definition was ein "KMU" ist, ist absurd überkomplex. Wahrscheinlich allerdings in den Steuerrichtlinien begründet, aber das übersteigt meinen Horizont.
(3):
Ja, aber auch nein. Den Abstimmungswald der Verwaltungsakte aufzulösen ist ein zu dickes Brett für einen Schritt. Daher auch super ironisch, dass es ein neues Amt für den Abbau der Bürokratie braucht. Also, ein neues Ministerium für weniger Aufgaben, aber als erstes Generieren wir Aufgaben und führen mehr Ebenen für Entscheidungen ein. Warum fällt der Gedanke alleine niemandem auf? Wtf.
In den oben aufgelisteten Maßnahmen empfinde ich exakt eine als "in Ordnung", wenn es um den Datenaustausch zwischen Behörden / Ämtern und sonstigen Akteuren geht. Da steckt definitiv viel Musik, alleine das Bewusstsein schärfen, was alles real schon geht, würde Türen öffnen. Ich traf so viele Würdenträger über der Sachbearbeiterebene, die steif und fest behaupten, dass ein Verwaltungsakt gar nicht digital gehen könne - beispiel Unternehmnsgründung: Es gäbe ja keinen Stempel und keine Unterschrift mit Zertifikaten, das höchste der Gefühle sei ein Fax.
Tatsächlich gibt es das, wobei es in aller Regel dann am Unwissen der Möglichkeit scheitert. Da jede Behörde sich allerdings einzeln damit auseinandersetzen muss, dauert das ewig und hängt an Individuen und passiert nur auf Druck der Antragssteller. Wäre mein Kontakt nicht an eiDAS beteiligt gewesen, wäre er wohl gescheitert. Das ist einfach ein Unding und hier verstehe ich nicht, warum es nicht einfacher gehen kann.
Mal als Beispiel:
Das Unverständnis gegenüber Technik im Allgemeinen. Für ein Landesministerium durfte ich:
1. Prüfen eines Formblatts (ausgefüllt durch Antragssteller)
2. Prüfen des Angestelltenverhältnisses (nicht-standardisiertes Schreibend es Arbeitgebers ODER Nachweis des Gehaltszettels des Vorjahres)
3. Prüfen eines Lichtbildausweises
4. Ausfüllen Antragsdokuments
5. Eingabe der gleichen Daten wie aus 4. in ein Portal
6. Beglaubigen des Antrags durch Stempel und Unterschrift
7. Ausdruck des Antrags und Unterschrift des Antragsstellers
8. Hochladen aller Dokumente der Schritte 1 bis 6 als Scan
9. Fax des Originalantrags aus 6. an die Kontrollbehörde als Einwurfeinschreiben oder wahlweise als Fax an die Kontrollbehörde
Arbeitsaufwand Antragssteller: Wenn es glatt läuft vier Stunden, wenn es Rückfragen gibt bis zu 20 Stunden
Arbeitsaufwand für mich: in etwa vier Stunden
Arbeitsaufwand Kontrollbehörde: etwa vier Stunden
Höhe der Förderung: 500€
Auf Rückfrage, weil Corona und durch Hilfe von Mitarbeitern im Projekt eiDAS und ählichen Projekten:
1. digitales Formblatt als bearbeitbare PDF wurde abgelehnt, keine Begründung
3. digitaler Perso oder Postident oder ähnliches wurde erst nach 2 Jahren Corona zeitlich befristet erlaubt (lol)
4. digitales Antragsblatt gab es, allerdings mit Zeichenbegrenzung, was dazu führte, dass man zwingend ausdrucken musste. Der Vorschlag, das Dokument aus 4. aus dem Schritt 5. automatisch zu generieren wurde ohne Begründung abgelehnt
6. digitaler Stempel und Unterschrift wurde abgelehnt, keine Begründung. Erst nach 2 Jahren Corona wurde zumindest die Unterschrift zugelassen.
7. digitale Unterschrift wurde abgelehnt, obwohl ein entsprechendes Pad bei uns in der Kammer rumlag, das alle Anforderungen erfüllte
9. Auf diesen Schritt war nicht zu verzichten, warum. auch. immer.
Wären alle Rückfragen durchgewunken worden, hätte man für alle Beteiligten die Arbeiszeit locker um 50% - 75% senken können. Dieses lächerliche Spiel hatte ich bis jetzt mit allen Fördermitteln und allen Förderportalen. Es ist fast nie durchgehend digital, früher oder später kommt ein unerwarteter und völlig unnötiger Prozessbruch. Und das ganze ist alles innerhalb der gleichen Behörde.
Eine reale Forderung wäre schon, dass man da mehr Stringenz macht. Ich sehe ja sogar den Sinn des Papierkriegs und der vielen Richtlinien, aber bitte ohne hin- und her.