Ja, mein Job ist es, Menschen zu sagen, wie sie zu leben haben, wenn sie noch ein wenig länger leben wollen. U mad? Nenn sich Prävention.
Ich unterstelle dir keinen schlechten willen, sondern sage, du begehst einen fehler, weil es schlichte selbstüberschätzung ist zu glauben, du wüsstest so klar, was für einen einzelnen menschen in einer situation gesundheitsfördernd oder lebensverlängernd ist - mal ganz zu schweigen von der moralischen anmaßung der formulierung "wie sie zu leben haben"...
Man sieht das problem doch hier im thread: da wird über ein paar kg zu viel oder zu wenig gestritten und ob etwas "schon übergewicht" sei oder nicht.
Dabei ist übergewicht überhaupt nicht pauschal schädlich, sondern schlägt statistisch erst dann negativ auf gesundheit und lebenserwartung durch, wenn man gemeinhin schon von fettleibigkeit sprechen würde.
Und selbst dann ist der fall nicht eindeutig, denn nur weil
statistisch eine bestimmte kondition (zb adipositas) gesundheitliche risiken birgt, folgt daraus nicht, dass es für das
individuum automatisch die beste therapie ist, diese kondition zu beheben.
Bei massivem übergewicht ist so eine änderung selten ohne nebenwirkungen zu haben, die sich viel negativer auf gesundheit und wohlbefinden auswirken können, als man im gegenzug durch ein paar kg weniger gewinnt.
Darum ist bei dem thema sensibilität gefragt, nicht pauschale ratschläge wie "nen paar kilo runter wär auch gut für sie". Die gesellschaft stigmatisiert schon genug und man sollte nicht so naiv sein zu glauben, dass ein patient es nicht merkt, wenn ein arzt sich hinter vorgehaltener hand denkt: "boah, was ein faules stück, das sich die welt auch noch blumig redet, so menschen kotzen mich an" - gute grundlage für eine erfolgreiche therapie!
Die zusammenhänge zwischen lebenswandel, gesundheit und lebenserwartung sind komplex und nicht auf einzelne formeln zu bringen wie "geh halt sport machen". Wenn ich menschen sehe, die sich aufgrund gesellschaftlichen drucks woche für woche in ein fitnessstudio quälen, kann ich nur mit dem kopf schütteln.
Denn viele tun das umsonst: wenn ich beispielsweise jeden tag eine halbe stunde sport mache, auf die ich eigentlich gar keinen bock habe, kostet mich das auf 50 jahre gerechnet mehr als ein jahr meiner lebenszeit. Es steht dagegen völlig in zweifel, ob ich meine lebenserwartung durch mein sportliches engagement überhaupt um diese zeit steigern konnte.
Dazu kommt noch die zeit, die ich zum fitnessstudio hin brauche. Ich schütte jede menge stresshormone aus, wenn ich mich zu etwas zwinge, das ich nicht will. Ich sehe dort menschen, die viel schöner und durchtrainierter sind als ich, das macht mir ein schlechtes gewissen, was wieder zu stress führt, usw.
Vielleicht kommt ne runde sport gut weg im vergleich zu auf der couch sitzen und vor dem fernseher chips mampfen. Wenn aber ein freund anruft und sich auf nen kaffee treffen will oder die frau mit den kindern im park spazieren gehen will, tut man gut daran, diesen aktivitäten den vorzug zu geben.
Darum gilt viel eher die grundregel: was auch immer man sich gutes tut, es sollte einem auch guttun, das heißt in erster linie: es sollte freude bereiten und damit schon an sich gut genutzte zeit sein. Sich martern, damit es einem am schluss besser geht, ist oft ein schlechter plan.