Mal was anderes:
https://www.nytimes.com/2025/10/15/upshot/supreme-court-voting-rights-gerrymander.html
Diese Entwicklung finde ich tatsächlich beunruhigender als fast alles andere in diesem Thread, weil es hier um die demokratische Substanz geht. Kurzfassung: In den USA gibt es seit 1965 den Voting Right Act (VRA). Weil Schwarze bei Wahlen bis dahin insbesondere im Süden systematisch benachteiligt wurden hat der Kongress ein Gesetz beschlossen, das den Bundesstaaten bestimmte Fesseln anlegt, was sie dürfen und was sie nicht dürfen. Neben dem offensichtlichsten Fall (Schwarze einfach nicht zur Wahl zuzulassen) wurde damals auch noch an eine andere Ebene gedacht: In vielen südlichen Bundesstaaten waren Schwarze damals (und sind es noch heute) eine große Minderheit, aber eben doch eine Minderheit. Wenn man die Wahlbezirke nur "kreativ" genug zuschneidet konnte man in vielen Südstaaten eine Situation schaffen, in der Schwarze in jedem Wahlbezirk eine Minderheit bleiben und es weiterhin nur weiße Abgeordnete aus diesen Staaten gibt.
Der VRA hat es zur Regel gemacht dass zusammenhängende Communities von Minderheiten nicht einfach so "aufgebrochen" werden konnten, stattdessen musste es jetzt bei einer bestimmten Zahl von Schwarzen im Bundesstaat auch Wahlbezirke geben, die diese Communities repräsentieren (sogenannte "majority-minority districts"). Zu dem Zeitpunkt änderte sich die politische Ausrichtung der Südstaaten (von ehemals zu Demokratisch zu heute Republikanisch), aber wer auch immer die dominierende Partei war hatte damit größtenteils keine Probleme: Wenn ein Staat 1/3 schwarze Einwohner hat dann gibt es halt 1/3 schwarze (demokratische) Kongressabgeordnete von dort; weil die restlichen 2/3 sowieso immer an die Republikaner gehen, weil im Süden weiße Demokraten nur eine Randerscheinung sind, haben sich beide Parteien gut damit eingerichtet.
Jetzt ist es allerdings so dass die Mehrheitsverhältnisse im "modernen" Repräsentantenhaus sehr volatil geworden sind. Ehemals waren die Mehrheitsverhältnisse relativ klar geregelt (die Demokraten waren in der Nachkriegszeit so gut wie immer die Mehrheit), aber seit der weiße Süden fast ausschließlich Republikaner wählt hat sich das Verhältnis gedreht: Mittlerweile ist es fast 50/50. In einem guten Jahr für die Demokraten gewinnen die Demokraten fast immer die Mehrheit im Unterhaus und in einem schlechten Jahr für sie gewinnen die Mehrheit fast immer die Republikaner. Dem liegt der paradoxe Trend zugrunde, dass es immer mehr Wahlbezirke gibt, die immer von derselben Partei gewonnen wird, diese halten sich ungefähr die Waage. Dementsprechend entscheiden immer weniger "swing districts" im Land darüber, wer die Mehrheit im Unterhaus hat (de facto ist eine Minderheit im Unterhaus nahezu ohne jede formale Rechte), was alles ist was bei diesen Wahlen zählt. Tendenziell ziehen diese Wahlbezirke alle in die gleiche Richtung, weshalb die knappe Mehrheit oft wechselt. Seit Clinton hat bis auf Bush II jeder Präsident bei den ersten midterms nach der Wahl seine Mehrheit im Unterhaus verloren: Clinton 1996, Obama 2010, Trump 2018, Biden 2022; nur Bush II hat 2002, noch unter dem Eindruck des 11. September und des kommenden Irak-Kriegs, gewonnen, sie dann aber bei seinen zweiten Zwischenwahlen 2006 verloren; die Präsidenten die zwei Amtszeiten hatten haben es alle nicht geschafft bei den zweiten Zwischenwahlen ihre Mehrheit zurückzugewinnen.
Die Wahlbezirke in den USA sind sowieso schon absurd zugeschnitten, je nachdem welche Partei auf Bundesstaatenebene regiert und sich dadurch einen Vorteil sichern kann. Die besten Schätzungen gehen ungefähr davon aus, dass das den Republikanern einen Sitzvorteil von 6-8 Sitzen pro Wahl in den 2020ern gibt, d.h. die Demokraten müssen leicht besser abschneiden als landesweit 50/50 um eine Mehrheit zu gewinnen. Das ist insbesondere in einer Zwischenwahl mit einem unpopulären Präsidenten nicht wahnsinnig schwierig. Weil es aber eben nur so wenige Wahlbezirke gibt die überhaupt kompetitiv sind würde schon eine leichte Verschiebung dazu führen dass eine Partei einen enormen Vorteil dadurch erhält. Die neue Idee der Republikaner: Der VRA könnte ja verfassungswidrig sein, weil er quasi ein Ablaufdatum hat. Selbst wenn man zugesteht dass der Kongress einstmals das Recht hatte, Bundesstaaten dazu zu zwingen Minderheiten zu berücksichtigen, könnte dieses Recht mittlerweile erloschen sein, weil es ja "eigentlich" gar keine Diskriminierung gegen Minderheiten ist sondern Diskriminierung gegen eine Partei (die zufällig weit überproportional von Minderheiten gewählt wird).
Dagegen wurde also geklagt und der Supreme Court (6 zu 3 mit Republikanern besetzt) scheint gewillt zu sein den VRA zu kippen, was den Republikanern (je nachdem wie schnell es geht) schon bei den Zwischenwahlen im nächsten Jahr eine zweistellige Zahl an zusätzlichen Sitzen garantieren könnte: Wo jetzt noch jeder Staat im Süden mindestens einen Wahlbezirk hat in dem Schwarze die Mehrheit stellen könnte es in einem hypothetischen Szenario, in dem man schwarze Communities auseinander dividieren kann wie man will nur noch in Georgia, Texas, North Carolina und Florida Wahlbezirke geben, die von Demokraten gewonnen werden können. Damit wäre es auf einmal so dass den Demokraten landesweit nicht mehr 51% der Stimmen reichen würden, um eine Mehrheit zu bekommen, sondern es auf einmal vielleicht 53% sein müssten. Das klingt zwar nicht nach einem großen Unterschied, es ist aber in einem Land wie den USA in dem sich so gut wie jede Wahl knapp um 50/50 bewegt enorm (Trump redet die ganze Zeit so als hätte er einen Erdrutschsieg erreicht, de facto hat er aber 50,76% der Stimmen erhalten, die an eine der beiden großen Parteien gingen). Es wäre durchaus nicht ausgeschlossen, dass die Demokraten nochmal anziehen bis November 2026 oder die Trump-Regierung weiter vollkommen überzieht, dann wäre auch ein solcher Sieg möglich, aber ohne ihn ist es mehr als unwahrscheinlich dass die Demokraten 2026 Unter- oder Oberhaus gewinnen werden. Dann könnte Trump zwei weitere Jahre ohne jede Kontrolle auf föderaler Ebene durchregieren, weil die Republikanische Partei ihn garantiert nicht stoppen wird. Ich glaube zwar weiterhin nicht dass die Wahlen im Jahr 2028 unfair werden in dem Sinn, dass sie gefälscht werden oder Leute großflächig am Wählen gehindert werden, aber zwei weitere Jahre Mehrheit für Trump können dem Land noch jede Menge Schaden zufügen und es steht auch völlig in den Sternen was es langfristig für die Demokraten bedeuten würde, wenn sie bei fast jeder Wahl im Unterhaus in der Minderheit wären, weil dann ihre Gestaltungsmacht sehr gering wäre, selbst wenn sie wieder den Präsidenten stellen.