Gustavo
Doppelspitze 2019
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Gustavo, wir/du diskutierst wieder ein bisschen am Punkt vorbei. Worüber wollen wir sprechen? Über Benraths Behauptung dass man im jetzt geltenden deutschen Rechtssystem das Strafmaß zuverlässig vorhersagen könne ( darauf beziehen sich meine Posts vornehmlich )?
Oder darüber ob es möglich wäre ein Strafsystem zu haben, bei dem man das Strafmaß sicher vorhersagen kann? Natürlich kann man das, schaff einfach die Strafzumessung ab und fertig. Aber warum du meinst, dass ein Strafrechtssystem, dass all die Aspekte des §46 StGB bei der Strafzumessung nicht mehr berücksichtigt nun gerechter sei, ist mir absolut unverständlich.
Ich glaube du verstehst mich falsch. In keiner Weise halte ich es für eine gute Idee, die Umstände der Tat jenseits der Klärung des Tatbestands außer Acht zu lassen. Aber das musst du auch nicht, weil viele der Umstände sich eben quantifizieren lassen: Der ganze Kram, von Vorstrafenregister über Sozialprognose bis "schwere Kindheit" lässt sich quantifizieren. saistaed hat völlig Recht: Das ist letztendlich ein Optimisierungsproblem. Die Frage ist wie gut Richter darin sind, es zu lösen und wie gut der Algorithmus ist. Einerseits haben Richter immer private Informationen, die sich einfach nicht quantifizieren lassen (bspw. wie man zwischen "echter Reue" und "Anwalt hat Entschuldigung aufgesetzt, die der Angeklagte vorliest" unterscheiden kann), andererseits unterliegt ein Algorithmus nicht den menschlichen Unwägbarkeiten, die man unweigerlich bei menschlichen Entscheidungen hat. Jeder der mal versucht hat ein relativ niedrigschwelliges Problem zu lösen wie etwa 100 Klausuren nach komplett gleichem Maßstab zu korrigieren wird wissen, was ich meine. Das gilt für Richter genauso: Auch Richter haben Vorurteile, mal einen guten (oder schlechten) Tag, persönliche Überzeugungen etc., die nicht dem kodifiziertem Recht entsprechen und trotzdem einfließen. Ich habe vor einer Weile im Rahmen eines Forschungsprojekts mit deutschen Staatsanwälten gesprochen und die müssen im Schnitt jeden Tag sechs Fälle zur Beendigung bringen, dementsprechend arbeiten die mit relativ einfachen Heuristiken bzgl. des geforderten Strafmaßes und die meisten waren der Meinung, dass das auch einen ganz ordentlichen Anchoring-Effekt bei den Richtern erzeugt. Weil ich nicht mit (deutschen) Richtern gesprochen habe kann ich es zumindest nicht sicher sagen, aber ich würde jede Wette mit dir eingehen, dass die meisten davon auch relativ einfache Heuristiken benutzen um auf ein konsistentes Strafmaß zu kommen. DIE kann mit ziemlicher Sicherheit relativ gut mit einem Modell nachbauen. Dass da jeder einzelne Sonderfall, vom besonders "harten" Richter bis hin zum klassischen Haustyrannenmord, gleich gut vorausgesagt werden kann denkt hier sicher niemand, aber man muss schon unterscheiden ob das, was unser Modell als noise auffasst, systematisch ist und nur nicht quantifiziert werden kann oder eben echtes Hintergrundrauschen ist: Haustyrannenmord ist systematisch, der Richter der mit dem falschen Bein aufgestanden ist ist es nicht. Zweiteres sollte ein Modell nicht aufnehmen, insofern muss man sich über die Zielquantität klar sein. Die sollte sowas sein wie die "Durchschnittsstrafe, die in exakt dieser Fallkonstellation vor deutschen Gerichten ausgesprochen wird". Das dürfte dann allerdings in der Tat sehr gut modellierbar sein, nicht zuletzt weil aus meinen Gesprächen relativ klar ersichtlich war, dass Staatsanwälte Tabellen haben, an denen sie sich orientieren.
Köstlich, Heator lass Dich nicht ins Bockshorn jagen. Ein Master mit Bestnote in VWL ist deutlich einfacher zu erlangen als ein vollbefriedigendes Staatsexamen.
Es freut mich ungemein, dass Gustavo es ertragen muss, dass ich vom selben Fach komme. Btw habe ich meinen Bachelor in weniger als zwei Jahren gemacht, während ich den halben Tag lang Wakeboard gefahren bin. Not so much magic in it
Das juckt mit jetzt eher weniger, da auf unseren Abschlüssen nicht derselbe Uniname steht.
Hat eigentlich einer der Kombattanten hier mal vergleichbare Datenmodelle für predictive analytics entwickelt oder worauf beruht die Basis?
Ja. Master in Statistik, ich war TA für einen Grad-Statistik Kurs an einem der besten Stats-Departments der USA und unterrichte mittlerweile zum zweiten Mal einen Kurs, in dem wir Kaggle-Modelle für sozialwissenschaftliche Fragen nachbauen. Ich habe mehrere Working Paper zu prediction tasks, inklusive einem für den Supreme Court (Neural Net) und einem für Strafzumessung für DAs, außerdem arbeite ich in einem Forschungscluster das sich mit dem Justizsystem in den USA beschäftigt. Ich weiß *ganz* genau wovon ich rede. Da ist nichts mit "nehmen wir einen Algorithmus an".
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