Ochlokratie können wir schon deswegen nicht sein, da wir nach dem Verständnis von Aristoteles wohl weder Ochlokratie noch Demokratie (als normativ wünschenswertes Pendant zur Ochlokratie) wären. Schließlich regieren wir uns ja nicht selbst, wir werden von Repräsentanten regiert, die wir gewählt haben :>.
Aber das Wort Politik hat ja seit den Griechen doch einige Veränderungen durchlaufen und Deutschland gehört zu den liberalen, repräsentativen Demokratien. Liberal, da unser Grundgesetz universelle Rechte für Jeden gewährleistet, die auch nicht erst durch die Gemeinschaft (etwa durch einen Gesetzgebungsprozess) gegeben werden, sondern davon unabhängig bestehen.
Darüber hinaus ist unser System eben durch den Pluralismus von Interessen geprägt. In so einem System besteht der politische Prozess von Natur aus eben eher aus der Konkurrenz von Interessen und politische Konflikte werden im Modus der Verhandlung ausgetragen und beigelegt. Das Problem ist halt, dass wir nicht sagen können, wann eine Entscheidung dem Gemeinwohl dient. Habermas hat ja versucht das durch sein Konzept des Kommunikatives Handeln prozesstheoretisch aufzulösen. Entscheidungen, die unter den Voraussetzungen deliberativer Diskurse getroffen werden besitzen eine kommunikative Vernünftigkeit, was nichts anderes bedeutet als dass diese dem Gemeinwohl dienen. Alternativ gibt ein starker Staat vor, was das Gemeinwohl zu sein hat, wie das in China der Fall ist.
Unsere liberale, repräsentative Demokratie hat halt ein paar Vorteile: 1. Sie entlastet die Bürger von ihren staatsbürgerlichen Pflichten. Die Bürger fungieren größtenteils als Privatleute und können sich im staatlichen Rahmen auf ihr Eigeninteresse konzentrieren.
2. Im Gegensatz zu Autokratien besitzen wir durch die Demokratie einen Elitenwettbewerb. Hier müssen sich die Eliten einem Wettbewerb stellen, damit werden sie Rechenschaftspflichtig und können im Nachhinein abgewählt werden, wenn die Bürger mit ihrer Politik nicht einverstanden sind. Luhmann oder Schumpeter sehen hier die zentrale Komponente von Demokratie.
Was unsere "Demokratie" aber nicht leisten kann: 1. Die Identität von Regierten und Regierenden. Wir werden immer noch von anderen regiert, also beherrscht und müssen uns deren Willen fügen. 2. Unsere Repräsentanten richten sich nach dem Gemeinwohl, sondern nach den Interessen ihrer jeweiligen Klientel.
Wichtig finde ich weiterhin die Transparenz des Regierungshandeln, was unsere Demokratie in ihrer momentanen Ausformung allerdings kaum der Fall ist. Besonders die Verwaltung muss sich doch kaum vor den Bürgern für ihr Handeln rechtfertigen. Zuviele Entscheidungen werden in informellen Gremien getroffen oder gar vor den Bürgern verheimlicht. Das schafft natürlich Raum für Kompromisse, aber eben auch für Handlungen, die dem Gemeinwohl zuwiderlaufen. Aber Politiker als solche müssen nun wirklich keine Experten sein, die sind vor allem Rechenschaftspflichtig. Aber unter den Ansprüchen einer modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft würde doch jeder Mensch verkacken, wenn er gleichzeitig verantwortlich, kompromissbereit und fachlich kompetent sein soll. Du kannst halt nicht alles sein. Ohne Pfeifen an der Spitze gibt es keine Demokratie, ohne Demokratie keine Rechenschaftspflicht. Und damit haben wir halt ein von Natur aus intransparentes System, das extrem anfällig für Korruption ist. Eine Expertenherrschaft hat halt durchaus ihre Nachteile . Ganz zu schweigen von der fehlenden Legitimation, die das System jederzeit zerstören kann. Was glaubst du wird mit der Europäischen Union passieren, sobald die Scheisse lange genug dampft und sie sich nicht mehr durch ihren Output (Wirtschaftswachstum etc.) legitimieren kann?_? Wenn das so weitergeht, kann man glaube ich froh sein, wenn nur der Euro kaputt geht.
Zudem: Die wenigsten Fragen besitzen doch so etwas wie einen one-best-way, das heisst eine Lösung, die für ALLE Beteiligten am besten oder zumindest vorteilhaft ist. Meistens sind es halt knallharte Konflikte zwischen verschiedenen Interessengruppen und das Gemeinwohl spielt in solchen Kämpfen halt zumeist hauptsächlich als Ideal eine Rolle. Jeder redet vom Gemeinwohl, aber kein weiss, wo es eigentlich ist.