Ganz am Anfang meines Studiums, als „Bettpfannenwechslerin“ im Krankenpflegedienst, da hatte ich ähnliche Gefühle wie sie bei Haschischtasche hochkommen, wenn er an Patienten mit Leberzirrhose denkt.
Da musste ich häufig, umnebelt vom Alkoholdunst seiner Atemluft, unter einem ungepflegten Patienten das zerwühlte Bett nachziehen, oder ihn gar waschen. Mit Schaudern hab ich dann auf diesen aufgetriebenen Bauch mit der dicken Venenzeichnung gestarrt, der punktiert werden sollte, um das Bauchwasser abzulassen. 6 Liter.
Mein Gott, wie kann man sich selber nur so zurichten, hab ich dann gedacht und endlose, immer frustrierendere Gepräche mit ihm geführt, dass er doch das Trinken lassen solle, weil die Leber sonst immer mehr kaputt gehen würde und die ganze Behandlung umsonst wär..
Da hatte ich (noch) keine Ahnung, dass es eh schon zu spät für ihn war. Ich hätte ihm seinen billigen, im Nachtschränkchen versteckten Fusel ruhig lassen können, denn die Leber war sowieso schon irreversibel hin.
Kindlicher Idealismus… Später kam dann immer die Wut in mir hoch, wenn ich das Gefühl hatte, meine Arbeit wäre voll umsonst, das ganze Geld der Krankenkasse vergebens verschleudert für einen Patienten, der behandlungsresistent und uneinsichtig ja schließlich doch nach Aufplatzen seiner unter Druck stehenden Speiseröhrenvenen verbluten würde…
Ich kann schon verstehen, dass da manch einer denkt : Soll er doch krepieren, ist ja selber Schuld. Von mir kriegt der keine Leber. Nicht mal nach meinem Tod.
Vor ein paar Wochen saß ich im Seminar im Stuhlkreis unter angehenden Therapeuten. Eingeladen war ein „trockener“ Alkoholiker, 26 Jahre, Student.
Rechts und links von mir verhaltenes Gähnen, ungeduldiges Stöhnen…nach dem Motto „schon wieder“. „Das verfolgt uns schon seit dem Gymnasium. Damals haben die Religionslehrer Alk zum Thema gemacht und einen aus der Slbsthilfegruppe eingeladen“.
An diesem Nachmittag habe ich mehrfach einen Kloß im Hals gehabt und schlucken müssen. Ich habe verstanden, dass Alkoholismus eine Krankheit ist mit vielfältigen Auslösern. Habe über die Ursachen nachdenken müssen und gelernt, dass Alkoholiker schon zu Lebzeiten für ihre Exzesse bestraft werden. Sie verlieren all ihre Würde, ihre Persönlichkeit und ihren gesunden Körper. Sie machen alles kaputt und nur die wenigsten können diesen zerstörerischen Vorgang stoppen. Sie leiden entsetzlich. Sie krepieren. Das ist Strafe genug.
Der Seminarleiter hat in der anschließenden Supervision die Fäden gut zusammengehalten.
Was ich mitgenommen habe, das ist der letzte Satz.
Über „wertes“ und "unwertes“ Leben haben nicht wir zu entscheiden…..
@ Yussuf
Niemanden hier hat unberührt gelassen, was mit deiner Schwester passiert ist. Du hast mein tiefes Mitgefühl. Aber es ist ja noch etwas da von ihr. Viel mehr, als nach einer Organspende in einem fremden Körper weiterleben kann. Kümmere dich um ihr Kind.