Der Bildungsthread 2

Celetuiw

StarCraft: Brood War
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Okay Punkt 4 hab ich mir ausgedacht um privilegierter zu wirken. Chillt euer Leben, eure (Erb)armut kotzt mich an.
:elefant:
 

Benrath

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Finds eigentlich lustig, dass wir hauptsächlich über Schule reden. Kita ist wahrscheinlich die viel größere Baustelle.
Überall Notkonzepte etc. Jeder € dort rentiert sich auf lange Sicht viel mehr als später in der 10. Klasse, wenn man die Dinge eh nicht mehr korrigieren kann.

Anekdotisch erzählt die Kita hier, dass sie kaum Personal findet, weil die Anforderungen im NRW Gesetz so hochgeschraubt wurden, jetzt sich aber niemand findet der die erfüllt. Bekannte hat z.B. Master in sozialer Arbeit und ist jetzt Kindergärtnerin. Hätte es da die normale Ausbildung nicht auch getan?
Das Gesetzt ist natürlich geduldig, in der Realität wachsen die Leute aber nicht auf Bäumen.
 
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Puh, wo fange ich an, wo höre ich auf. Es ist dämlich zu schreiben, weil ich ja eure Postings alle nicht gelesen habe. Wahrscheinlich wiederhole ich also hauptsächlich das, was andere geschrieben haben. Anderes wird Teilen von euch (Lehrkräften) nicht gefallen.
Fast alles, was ich sage, hat einen evidenzbasierten Hintergrund. Was nicht heißt, dass ich auch nur zur Hälfte der Punkte eine Quelle für harte Daten hätte, aber ich bin auch bei der anderen Hälfte nicht bereit, was rauszusuchen. Kackmove von mir und ist mir peinlich, aber ich habe keine Lust, diese Zeit zu investieren. Glaubt mir Dinge oder lasst es bleiben. [Edit:]Außerdem pauschalisiere ich viel, und so ist es natürlich nie richtig. An anderer Stelle lasse ich Sachen weg (weil ich sie nicht weiß / weil ich mich mit ihnen nicht auskenne / weil ich sie weniger wichtig finde) oder halte sie aus ähnlichen Gründen viel knapper als sie es wert wären. [/Edit]
Ich werde voraussichtlich auch überhaupt nicht sehr ausführlich weiter antworten (noch so ein Kackmove), denn ich hab in den letzten Tagen eh schon zu viele wichtige Dinge fürs Forum liegenlassen.
Ach ja, noch zu vinniesta: nein. Wirklich nein. Es gibt viele sehr gute und sehr laute Bildungsforschende, die Dinge schon lange sehr offen benennen. Lies mal wiardas blog, da wird auch einiges nochmal aufgegriffen und eingeordnet (oder, wer viel Geld hat: Bildung.table, die sind oft richtig gut).

Aber gut, ich fang mal an.

  • Die meisten Schulcurricula in D sind für den Hintern. Auswendiglernen sollte abgesehen von Basiskompetenzen tot sein. Jahreszahlen, Namen von Königen, Funktionen von Zellen, Hauptstädte der Erde, Flächen im Raum berechnen, warum muss das ein Großteil der Heranwachsenden lernen? Warum??
    Wichtig wären Dinge in Richtung 4C/6C/human flourishing & Co.:
    • Kita: Wie nutze ich die Sprachsteuerung an Mamas Tablet, um rauszufinden, wie schnell Geparden rennen können (und wie lange) + was der Unterschied zwischen einem Leopard und einem Panther ist; wie kann ich mir selber Ausmalbilder von Midjourney & Co. generieren lassen und sie zum Drucker schicken?
    • Grundschule 1: Wie nutze ich einen Raspberry Pi (nuc / whatever), eine Kamera und einen Sensor, um bei jedem Vogel am Vogelfutterspender automatisch ein Foto zu machen. (Mit ChatGPT kein Thema, das gibt dir eine Schritt-für-Schritt-Anleitung)
    • Grundschule 2: Wie nutze ich automatisiertes Assessment, um meine Lese-/Schreib-/Rechenkompetenzen zu erfassen, mir gutes (lernwirksames) Feedback abzuholen und mir sinnvolles, passgenaues Übungsmaterial abzuholen?
    • Grundschule 3: Warum sind wir Menschen so unterschiedlich, sprechen verschiedene Sprachen, haben verschiedene Interessen, brauchen in der Schule und in der Freizeit andere Dinge, und wie können wir trotzdem nicht nur gut zusammenleben sondern noch voneinander lernen?
    • Grundschule 4: Warum fackelt uns der Planet ab?
    • Weiterführende Schule 1: Wie nutze ich Tiktok/Sprachmodelle, um mir den in der Schule bekackt (oder zu schnell für mich) erklärten Stoff verständlich aufzubereiten und sinnvoll zu üben? Woran erkenne ich, ob die Edu-Influencerin / das Sprachmodell gerade Scheiße labert?
    • Weiterführende Schule 2: Wie erkenne ich Biases in Daten/Outputs, wie entstehen Vorurteile, wie funktionieren die Sprachmodelle [ | insert aktuelle technology here], und was heißt das für mich? Wie machen "soziale Medien" uns kaputt und was für Potenziale haben sie (insert aktuelles kurzgesagt-Video hier)?
    • Alle Klassenstufen: Algorithmisches Denken/Computational Thinking, Problemlösefertigkeiten, Problemlösefertigkeiten, nochmal Problemlösefertigkeiten, Kooperation, Selbstreguliertes Lernen
    • Alle Klassenstufen: Wie kriegen wir es hin, uns nicht gegenseitig zu zerfleischen?
      .
  • Ohne Basis macht alles andere keinen Sinn.
    • Wir wissen seit Jahrzehnten, dass die meisten Kinder, die zur Einschulung nicht bestimmte Vorläuferfähigkeiten mitbringen (insbesondere: phonologische Bewusstheit bzw. überhaupt gutes Verständnis der Unterrichtssprache; Mengenverständnis, basales Zahlenverständnis) im Laufe der Jahre immer und immer weiter zurückfallen.
    • Das ist intuitiv nachvollziehbar: Wenn ich in Klasse 2 oder 3 noch meine komplette Aufmerksamkeit dafür brauche, einzelne Buchstaben/Wörter zu entziffern, ist es unmöglich, mich aufs Textverständnis zu konzentrieren. In Mathe ist es noch komplexer: Zalenverständnis, Mengenverständnis, Kardinalzahlverständnis, Zahl- und Mengenworte im Kopf mit geschriebenen Ziffern und vorgestellten Mengen verknüpfen - das ist alles gar nicht so einfach wie wir es als Erwachsene finden. Und ohne basale Lese- und Mathekompetenzen (aktuell in der 9. Klasse 25 bzw. 30%!! [Edit:] Das heißt: 30% in der 9. Klasse sind nicht in der Lage, "einfache vollständig beschriebene mathematische Aufgaben zu lösen", 25.5% sind "kaum in der Lage, sinnentnehmendTexte zu lesen" - PISA-Zusammenfassung der TUM S. 9 und S. 21 [/Edit]) ist alles andere einfach mal für die Katz.
      .
    • Was u.a. gemacht werden müsste:
      • Verpflichtende richtige Diagnostik der wichtigsten Basiskompetenzen spätestens mit 4 Jahren. Dafür gibt es ebenfalls seit ca. 2 Jahrzehnten richtig gute Koffer, die auch Erzieherinnen richtig gut einsetzen könnten. Könnten, wenn sie sich an die Manuale halten würden und ein Grundverständnis dafür hätten, dass Diagnostik nicht Förderung ist. Und dass das den Kindern tatsächlich Spaß macht, gut funktioniert und nicht "noch mehr Arbeit obendrauf" ist. Zur Dokumentation sind sie eh verpflichtet [Edit] (Realität: Von unseren bisher 10 Erzieherinnen unserer Kinder haben 2 einmalig einen standardisierten Sprachtest gemacht und den dokumentiert, befreundete Eltern aus anderen Städten erzählen mir Ähnliches, aber ich kenne keine belastbaren Zahlen.) Die Erzieherinnen sind auch so weit über ihrem Limit, dass ich fast Verständnis für diese Abwehrhaltung habe. Wenn es nur nicht eine ihrer wichtigsten Aufgaben wäre.[/Edit] Siehe auch unten zu Kompetenzen von Fachkräften.
      • Angepasste Förderung für jedes Kind, basierend auf der Diagnostik. Dafür braucht man keine 1:1-Betreuung, es gibt längst belegt funktionierende Konzepte, wie man das z.B. in Gruppen aufteilt. Aber ja, man bräuchte anders ausgebildetes und möglichst auch zusätzliches spezialisiertes Personal.
      • Kind kommt erst in den Regelschulunterricht, wenn es die Vorläuferkompetenzen beherrscht. Inklusive Sprache. Kinder lernen so unfassbar schnell eine neue Sprache, wenn man es etwas begleitet. [Edit, Vermutung von mir ohne mir bekannte Evidenz:] Ausnahme: Es gibt eine sehr enge Betreuung durch eine eigene Fachkraft, vielleicht mit einem Betreuungsschlüssel von 1:2 oder maximal 1:3[/Edit]
      • In der Grundschulzeit durchgängig Lernverlaufsdiagnostik zu den Basiskompetenzen: alle paar Wochen 20 Minuten Test am PC, das gibt ein viel valideres Urteil als das die allermeisten Lehrkräfte fällen können (s.u.), personalisiertes Feedback, personalisierte Aufgaben. Z.B. keine Leseverständnisaufgaben, wenn noch nicht flüssig gelesen wird, s.o. Das gibt's auch so schon seit Jahren ohne Generative KI. In den USA extrem erfolgreich, wo es eingesetzt wird. Muss halt nur mal in D technisch vernünftig (weiter)entwickelt und eingesetzt werden.
      • Zentrale Qualitätssicherung und Bereitstellung von Unterrichtsmaterial: Unterrichtsmaterial ist bei ganz vielen Lehrkräften ein gehüteter Schatz, der nicht mal im geschätzten Kollegium weitergegeben wird. Andere schmeißen mit "OER" (Open educational resources) um sich, die sie sich schön ausgedacht und mit sehr viel Mühe umgesetzt haben und die vielleicht auch Spaß machen, aber 0,0 Lernzuwachs bewirken oder nur an irrelevanten Stellen. Wer auch immer nach Unterrichtsmaterial sucht, wird überschwemmt von einem undurchdringlichen Angebot. Und auch die Schulbuchverlage sind wahrlich keine Vorbilder für Qualität.

        Das bringt mich zum nächsten großen schlimmen Themenkomplex:
  • Lehrkräfte. Sie können nicht das, was sie brauchen. Sie tun nicht das, was sie sollten.
    • An meiner (ehemaligen) Uni haben wir es nach zähem Ringen mit dem Rektorat und nach hartem Kampf gegen die "grundständige Lehrerbildung" geschafft, dass es sowohl im Bachelor als auch im Master in den meisten Lehramtsrichtungen ein Pflichtmodul Psychologie gab. Die Studis haben einen groben Überblick z.B. zur Erfassung von Kompetenzen in der Vorlesung bekommen und konnten sich dann ein einziges Seminar aussuchen mit Themen wie "Wie mache ich gute Klassenführung", "Was ist eigentlich Mathekompetenz und wie entwickelt sie sich", "Woran erkenne ich wirksame Unterrichtsmethoden", "Was ist kooperatives Lernen, und warum hat es nichts mit 'Gruppenarbeit' zu tun", "Was ist der Unterschied zwischen kriterialer, sozialer und individueller Bewertungsnorm", "Wie funktioniert Feedback so, dass es massive Lerneffekte hat", "Wie messe ich Kompetenzen eigentlich zuverlässig" oder "Was ist selbstreguliertes Lernen und warum ist das so essenziell". Sie konnten sich EINS von solchen Themen aussuchen. Und wir haben immer und immer wieder das Feedback (Voll-Evaluation aller Seminare mit validierten, anonymen Fragebögen, im Schnitt ~80% Rücklauf) gekriegt: Unsere Module sind mehr Arbeit als alle anderen, aber es sind die einzigen, in denen wirklich was Brauchbares gelernt wird. All diese Themen kommen (zumindest: kamen damals, wie es heute ist weiß ich nicht) nie wieder im Studium vor. [Edit:] Das sieht angeblich an anderen Unis / in anderen Bundesländern teilweise etwas besser aus, aber wenn ich auf den Tagungen der DGfE Sektion Lehrer:innenbildung unterwegs bin, kriege ich die ganz feste Überzeugung, dass wir damals wie heute eine absolute Positiv-Ausnahme sind. [/Edit]
      Weil es viel wichtiger ist es in den meisten Lehramtscurricula, dass die Grundschullehrerinnen komplexe mathematische Beweise durchführen und die Aufsätze aller wichtigen teuschen Autoren der letzten 500 Jahre stilsicher interpretieren können. Grundschullehrerinnen. In dein Gesicht.
      Und die Lehramts-Curricula sind nur ein Aspekt von vielen, was in der Lehramtsausbildung alles schief geht.
    • Zweite Phase Lehramtsausbildung. Hat nichts mit den anderen Phasen zu tun. Man spricht einfach nicht miteinander. Wozu auch. Die zweite Phase wird auch in der Bildungsforschung nicht berücksichtigt. Man hat halt keinen Kontakt zueinander. [Edit:] (Das versuchen wir übrigens gerade zu ändern, es liegt nicht an mangelndem Willen des Bundesverbands Lehrerbildung, und auch mit einigen sehr aufgeschlossenen Landesverbänden hatten wir schon Kontakt. Aber es ist aufgrund der Strukturen - mal wieder kocht jedes Land und teils jeder Regierungsbezirk sein eigenes Süppchen - ein verdammt dickes Brett.)[/Edit]
    • [Edit/überarbeitet:] Apropos Referendariat. Das System ist so kaputt. Anekdotischer Eindruck: Wenn man Glück hat, kann es sinnvoll sein. Von 6 mir näher bekannten Lehrkräften war das in einem(!) Fall so, der Rest war verlorene, schlimme Lebenszeit, die keinen Deut dazu beigetragen hat, dass die Leute bessere Lehrkräfte geworden sind. Aber ich kenne dazu keine belastbare Empirie (wird ja auch nicht beforscht). [/Edit]
    • Lehrkräftefortbildung: Jedes Bundesland kocht sein eigenes Süppchen. Qualitätsgesichert ist (fast) nichts. Schaut euch mal die Themen an, zu denen fortgebildet wird (ist tw. öffentlich einsehbar) und wer die Fortbildungen macht.
      Bitte komplett damit aufhören und ganz neu aufziehen.
      Nebenbei: Wir wissen aus der Forschung ziemlich gut, dass es ungefähr ein halbes Jahr regelmäßiges training on the job braucht, um im Lehrkraftberuf eine wesentliche und nachhaltige Änderung am Unterrichtsverhalten herbeizuführen. Ich habe noch von keiner einzigen "offiziellen" Fortbildung gehört, die irgendwie in die Richtung gehen würde.
    • Wer wird Lehrkraft? Zu guten Teilen nicht die, die es werden sollten. Lehramtsstudierende haben im Schnitt so ziemlich die niedrigste Selbstwirksamkeitserwartung von allen Studierenden und auch mit die schlechtesten NCs unter größeren Studiengängen (alte Daten, hat sich bestimmt nicht geändert und nein, ich suche die Quellen jetzt nicht raus).
    • Was auch dazu gehört: Das Mindset. Siehe auch Technologie.
    • Kleines Beispiel gefällig? Der Durchschnitt(sic!) der Grundschullehrkräfte kann Kompetenzen der Kinder im Mittel ungefähr so gut einschätzen wie ein Würfel. Die Kompetenzen von überdurchschnittlichen Kindern werden etwas besser (im Sinne von treffender) eingeschätzt, aber dafür wird im Mittel ein deutlicher Anteil von schwachen und sehr schwachen Kindern als durchschnittlich oder sogar überdurchschnittlich eingeschätzt. Es gibt Lehrkräfte, die das alles besser oder sogar gut können (das sind dann die, die sich mal damit beschäftigt haben, wie die zu vermittelnde Kompetenz aufgebaut ist und wie man Kompetenzen erfasst), aber der Durchschnitt ist ein Würfel [Edit:] - was auch bedeutet, dass es einen substanziellen Teil Lehrkräfte gibt, die die Schülerkompetenzen dank der obigen Verzerrungen eben systematisch schlechter als ein Würfel einschätzt. Und ich sollte noch dazu sagen, dass die mir bekannten Studien dazu nicht systematisch den Anteil an nicht-Deutsch-Muttersprachlern ausgewertet haben. Ich kenne aber separate (auch schon ältere, auch in der allgemeinen Öffentlichkeit eher bekannte) Studien, die sich z.B. den Einfluss von Namen auf die Bewertung angesehen haben und da natürlich einen sehr heftigen Bias festgestellt haben.[/Edit]
    • Es ist scheißegal, ob du zwei Korrekturfächer hast und dich jeden Abend bis in die Nacht reinhängst um auch das letzte Kind in der Klasse doch noch irgendwie mitzunehmen und die Eltern zufriedenzustellen oder ob du 30 Jahre lang sagst "Buch aufschlagen auf Seite drölfhundert, Aufgaben 5 bis 23" -- du kriegst das gleiche Geld und keinerlei Konsequenzen, wenn du festangestellt bist.
    • Keine Büro-Arbeitsplätze an den Schulen. Da fuq? Gebt allen ein eigenes Büro (mit vielen Glasscheiben) und macht Anwesenheitspflicht bis 16:45 Uhr. Zeiterfassung. Funktioniert mit Sicherheit nicht bei allen, würde aber einige Trittbrettfahrende abschrecken. Beamtentum muss natürlich genauso abgeschafft werden: Wer so richtig scheiße baut oder gar die Arbeit ganz verweigert, muss fliegen wie in der Wirtschaft auch -- und nicht weggelobt werden, wie aktuell.
    • Kooperation. Siehe oben. Innerhalb der Fachschaft, aber auch dazwischen. Gemeinschaftsprojekte, einfach mal was Geiles machen (eigenes Animationsvideo / eigene App programmieren, eigenen Chatbot, oder zur Roboter-Weltmeisterschaft fahren, einen Ninja Warrior Parcours bauen, ein großes Fest zusammen planen und machen, was auch immer. Schiebt das nicht in irgendwelche Nachmittags-AGs, sondern macht es halt im Unterricht.
      Ach ja: Curricula, s.o.
    • Sorry, nochmal zurück zum Mindset, hat aber auch mit Kooperation zu tun:
      Schüler:innen, die von Quer- und Seiteneinsteiger:innen unterrichtet werden, schneiden in den großen Schulleistungsstudien in Deutschland im Mittel nicht einen Punkt schlechter ab als die Kids von grundständig ausgebildeten Lehrkräften. Quer-/Seiteneinsteiger:innen werden in den Schulen aber so sehr alleine gelassen und so stark gemobbt, dass es extrem hohe Ausstiegsquoten gibt.
    • Arbeitsteilung: Warum gibt es in Deutschland keine "guidance counceler" wie in den USA mit festen 3-6 Terminen mit einer festen Ansprechperson für jede Schülerin und jeden Schüler? Warum ist die Schulpsychologie und Schulsozialarbeit so verdammt mies aufgestellt? Warum gibt es nicht an jeder Schule mindestens 3 fest angestellte IT'ler, die keine Lehrkräfte sind?
      (Ich kenne [Edit:] ganz grob [/Edit] die Antworten, aber sie sind zu frustrierend.)
  • Technologie:
    • Vorweg: Technologie ist kein Selbstzweck. Wenn ich das Buch auf dem Tablet darstelle, ist nichts gewonnen. Weiß inzwischen jedes Kind. Sondern es muss darum gehen, wie ich Technologie nutze, besseren Unterricht zu machen und die Kids beim Lernen zu unterstützen. Dinge machen, die analog nicht oder nur schlecht gehen. Also:
      .
    • Sprache: Das Kind spricht nur ukrainisch? Hol halt Google Translate raus, dann kannst du trotztdem mit ihm sprechen. Gib ihm das Unterrichtsmaterial digital und zeig ihm, wie es das mit ChatGPT (oder bei komplizierteren Dingen DeepL) übersetzt, [Edit:] dann ist schon viel gewonnen (sicher nicht alles geht)[/Edit]. Denn wenn du Mathe unterrichten willst, unterrichte Mathe und verlange nicht vom Kind, dass es Deutsch kann.
    • Diagnostik und Fördermaterial: Siehe oben. fobizz & Co. könnten sowohl den Unterricht stark verbessern als auch extrem viel Arbeit abnehmen. Ich hab in meinem Uni-Projekt immer wieder gehört "Wann soll ich das denn noch machen, dafür habe ich keine Zeit, ich muss mich um den eigentlichen Unterricht kümmern, das funktioniert eh nicht." Und zwar auch noch, als wir längst eine vierstellige Zahl von Lehrkräften hatten, die es einfach mal gemacht haben und uns immer wieder gefeedbackt haben: Geil, das spart Zeit, ich kann die Kids besser einschätzen, und wenn ich die Fördermethoden einmal eingeführt habe, können es die Kinder das ganze Schuljahr einfach selbständig machen." Und mehrere zehntausend Schüler:innendaten über 10 Jahre im Längsschnitt haben auch gesagt, dass es funktioniert.
    • uvm.
      .
    • Gibt es irgendeine Bevölkerungsgruppe in Deutschland, die im Mittel technologieängstlicher ist als pädagogische Fachkräfte? Ich glaube nicht.
      Letztens auf einer Informatikdidaktik-Tagung eine schöne Studie gesehen: Informatik-Lehrkräfte am Gymnasium haben ihre technologie-im-Unterricht-bezogenen Kompetenzen zwar deutlich höher eingeschätzt als die nicht-Informatik-Kolleg:innen, haben im Wissenstest aber ebenfalls miserabel abgeschnitten.
    • "Datenschutz". Alle Lehrkräfte haben eine Heidenangst irgendwas mit Technik einzusetzen, speichern aber gleichzeitig alle Kontaktdaten aller Kids und Eltern in ihren Telefonen und verschicken wichtige Nachrichten ausschließlich in WhatsApp-Gruppen. Und das schon in der Kita. Ich kann gar nicht so viel essen wie ich brechen will.
    • Nochmal Datenschutz: In einer OECD-Erhebung haben 24(?) von 29 Ländern angegeben, dass alle Kinder eine eineindeutige digitale ID haben, in denen die wichtigsten Daten gespeichert werden. Die allermeisten Länder haben Schulmanagementsysteme, in denen relevante Dinge zum Unterricht gespeichert werden, mit Eltern und Schüler:innen kommuniziert werden kann, Testergebnisse genauso wie die Hausaufgaben eingesehen werden können uswusf. Die Systeme haben Nachteile, sie sind aber verfickt nochmal besser als dem Kind irgendwas ins Heft zu schreiben, das das Kind seinen Eltern aber eh nicht zeigt - z.B., weil die Eltern kein Deutsch können oder weil sie Angst vor der Elternreaktion haben. Hätten die Eltern die Nachricht digital als Pushnachricht bekommen, könnten es wenigstens diejenigen leicht übersetzen, die es interessiert.
    • Wer bestimmt, was für Software eingesetzt werden kann? Meistens irgendeine Schulaufsicht mit 0,0 Plan von Qualität in der IT, geschweigedenn von sinnvollem didaktischem Einsatz. Die Leute dort wiederum werden technisch beraten von einer kommunalen IT-Klitsche, die genauso wenig Ahnung von IT(-Administration) hat.
      .
  • Föderalismus (das beste zum Schluss):
    • KMK. Hat jemand das Gutachten zu den KMK-Gremien & Co. gelesen? Nein? Macht es mal, es ist sehr aufschlussreich, wenn man die KMK noch nicht von innen kennt.
    • Wer sitzt in den Kultusministerien? Irgendwelche alten Lehrer:innen oder allgemein Pädagog:innen / Erziehungswissenschaftler:innen vom alten Schlag, die selber keine Ahnung haben und nichts ändern wollen. Selbst wenn sie es wollten, wüssten sie nicht, was sinnvoll ist. Haben sie nie gelernt oder wenn, ist es 30 Jahre her. Beratung von außen kriegen sie größtenteils - wenn überhaupt - von genauso alten, lautstarken (teils emiritierten und noch lauteren) Pädagogen "der alten Schule". Mir bekannte Ausnahmen: Hamburg, mit Einschränkungen Bremen. Auch in Hamburg sind einige Aussagen vom Rabe cringe, aber er hat ja ein Team hinter sich.
      Wer steht den Kultusministerien vor? Politiker:innen. Politiker:innen, die in den seltensten Fällen ein Grundverständnis von Bildung in der heutigen Welt haben. Mehr muss man dazu glaub ich nicht sagen.
    • Extremer Konkurrenzkampf bzw. Gesichtwahrungskampf zwischen den Ländern. Selbst die allermeisten Forschenden kommen nicht an die Länder-Vergleichsdaten der großen Leistungsstudien wie PISA und IQB-Bildungstrend. Und wenn doch, dürfen sie nichts veröffentlichen, das einzelne Länder mit Leistungsdaten o.ä. in Verbindung bringt. Unfassbar.
    • Kooperationsverbot Bund/Länder. Ich bin zu müde, um es auszuführen.
    • Kooperation mit Unternehmen: Auch gerade erst heute wieder auf der OECD-Tagung von mehreren Ländern gehört, bei denen es funktioniert (Niederlande, Estland, Norwegen, Australien, Kanada,...): Willst du moderne Schulen mit modernem Unterricht, brauchst du Partnerschaften mit Unternehmen. Dafür musst du Geld in die Hand nehmen. Und knowledge broker haben (die kosten auch Geld) - Leute, die sowohl Schule verstehen als auch IT/Projektmanagement als auch Forschung.
      .
    • BMBF kann nichts entscheiden. Wenn BMBF irgendetwas ganz vorsichtig vorschlägt, kann es sich ganz sicher sein, dass die Länder es rigoros ablehnen. [Edit:]Halbe Ausnahme Bund-Länder-Programme wie BiSS, LemaS, SchumaS,.... Aber Bund-Länder-Projekte haben wieder so unendlich heftige andere Prozessverluste, dass sie weit, weit, weit hinter ihrem Potenzial zurückbleiben.[/Edit]
    • Was BMBF machen kann, ist Projektförderung. Meistens Forschungsprojekte. Und weil ich mich damit ganz gut auskenne, dazu mal ein paar Details.
      • Früher max. 3 Jahre, inzwischen immerhin oft 5 Jahre. Genug Zeit, um Doktorandinnen in ein Projekt einzuarbeiten, ein paar Daten zu erheben und aus den Fehlern zu lernen. NICHT genug Zeit, um Dinge zu skalieren. NICHT genug Zeit, um überhaupt "schickes" (und trotzdem funktionierendes) Unterrichtsmaterial zu erstellen. NICHT genug Zeit, um sich als Doktorandin ein Standing in den Schulen zu erarbeiten. NICHT genug Zeit, um Veränderungen an den Schulen nachhaltig zu verankern. NICHT genug Zeit (und erst recht nicht genug Geld, s.u.), um Kooperationen mit IT einzugehen, Dinge zu prototypen, zu evaluieren, zu überarbeiten, nochmal zu evaluieren, nochmal zu überarbeiten, auf Sicherheit und Datenschutz zu prüfen, zu skalieren und eine nachhaltige Weiterentwicklung zu sichern.
      • Wissenschaftskommunikation und OER sind in den meisten BMBF-Forschungsprojekten inzwischen vorgeschrieben.
        • Davon können sich Wissenschaftler:innen aber immer noch nichts kaufen, denn es sind keine wissenschaftlichen Publikationen. Leute, die WissKomm und Materialerstellung gut können, sind darum extrem rar in den Bildungswissenschaften, und diejenigen, die es können und wollen, sind extrem dumm, wenn sie es tun, weil sie damit ihre Karriere behindern.
        • Siehe oben: Lehrkräfte sind eh schon völlig überfordert damit, Unterrichtsmaterial aus der Schwemme auszusuchen. Sie werden NICHT auf seo-unsichtbaren Uni-Websites so lange herumsurfen, bis sie Worddokumente mit Paintart finden, die die Doktorandinnen erstellt haben.
      • Es gibt einzelne Forschungsanträge, die eine vernünftige und wenigstens auf 5 Jahre nachhaltig ausgelegte App-Entwicklung mit in die Förderanträge schreiben. Meistens extrem gute Forschungsprojekte mit sehr guten und großen bestehenden Kooperationen in die Landesinstitute und viele Schulen hinein. Ich habe noch von keinem einzigen gehört, das bewilligt worden wäre. Denn sie sind so teuer wie 5 andere Projekte zusammen. (Mit was? Mit Recht.)
      • Einzelne Leute im BMBF haben Ahnung und gute Ideen und Referatsleitende, die das unterstützen. (Abteilungs-)Leitung/Staatssekretär/in fordert "einen großen Wurf" an, die Referate liefern. Die Konzepte gehen aber nicht direkt zu AL/Staatssekretär:in/M, sondern erstmal zu drei Nachbarreferaten, die auf die Barrikaden gehen (Konkurrenzgehabe, es gibt so gut wie keine gemeinsamen Geldtöpfe), darum stutzt man es selbst schon zusammen. Dann zur Unterabteilungsleitung. Die kürzt drei Viertel raus (zu lang, kein Geld). Dann geht's weiter an zwei verschiedene Leitungsreferate, die auch jeweils wieder drei Viertel rauskürzen. Was kommt dann oben an? Nichts. Weil aber nichts mit vielen Mitteln unten umgesetzt werden kann, das nicht von ganz oben nach ganz unten gegeben wurde, ändert sich nichts.
Ach, ich könnte noch wirklich lange so weiter machen. Das ist seit 15 Jahren ein großer Teil meines Brots in unterschiedlichsten Rollen.
Es hat seine Gründe, warum ich immer mindestens einen Nebenjob hatte. Sonst wäre ich längst nicht mehr arbeitsfähig.
 
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Qualitätspost, vielen Dank dafür! Darf man fragen, was du so beruflich machst?


@
Extremer Konkurrenzkampf zwischen den Ländern. Selbst die allermeisten Forschenden kommen nicht an die Vergleichsdaten der großen Leistungsstudien wie PISA und IQB-Bildungstrend. Und wenn doch, dürfen sie nichts veröffentlichen, das einzelne Länder mit Leistungsdaten o.ä. in Verbindung bringt. Unfassbar.
Beantwortet das nicht Gustavos Frage von neulich? :rofl2:
 
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Mich juckt es in den Fingern, aber nein. Es ist nichts Besonderes/Hochrangiges o.ä., aber so speziell, dass mindestens mein Arbeitgeber sofort deanonymisiert wäre, und das wäre nicht gut für meinen Arbeitgeber.
Ich war halt lange Forscher mit und in Schulen - so ein Idiot, der sich Transfer und Wissenschaftskommunikation und so auf die Fahnen geschrieben hat - und aktuell verdiene ich mein Geld damit, das deutsche Bildungssystem (auch: internationale Systeme) und die Bildungsforschungslandschaft möglichst breit mitzukriegen und zu analysieren.
 
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Klingt nach nem coolen Job. :)

Als Meta-Bemerkung: Ich finds schade, dass solche Perspektiven nicht öfter Eingang in (semi-)öffentliche Debatten finden, weil Leute, die sich professionell und wissenschaftlich mit Themen beschäftigen, oft starke Anreize haben, sich aus sowas rauszuhalten (kostet Zeit und Nerven, man wird schnell missverstanden, wenn man mehr als Gemeinplätze von sich gibt, Creds innerhalb der Peer Group gibts auch nicht usw.).
 
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Danke für die Blumen! Und ja, ist ein cooler Job!
 
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Anderes wird Teilen von euch (Lehrkräften) nicht gefallen.
Im Gegenteil, ich kann als Lehrkraft vieles von dem was du beschreibst, absolut nachvollziehen und würde bei vielem zustimmen. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, bin ich MINT-Absolvent, habe kein Referendariat durchlaufen, bin quasi als Quer-/Seiteneinsteiger zu bezeichnen und sehe mich trotz mittlerweile über zehnjähriger Tätigkeit immer mal wieder als Nicht-Lehrkraft, weil man eben einen anderen Weg zur Sache gefunden hat.
Ach ja, noch zu vinniesta: nein. Wirklich nein. Es gibt viele sehr gute und sehr laute Bildungsforschende, die Dinge schon lange sehr offen benennen. Lies mal wiardas blog, da wird auch einiges nochmal aufgegriffen und eingeordnet (oder, wer viel Geld hat: Bildung.table, die sind oft richtig gut).
Das war auch nicht zu 100% ernstgemeint. Aber: Mich überrascht deine gesamte Aufstellung hier, weil es viele Punkte gibt, die komplett anders an den Unis gehandhabt wird und immer wieder aus Uni- bzw. Forschungsseite eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, die ausprobiert werden soll, weils der neueste heiße Scheiß ist. Wir haben uns diesbezüglich sicherlich schon mehrfach im Kreis gedreht.
  • Curricula sind für den Hintern. Auswendiglernen sollte abgesehen von den Basiskompetenzen tot sein. Jahreszahlen, Namen von Königen, Funktionen von Zellen, Hauptstädte der Erde, Flächen im Raum berechnen, warum muss das ein Großteil der Heranwachsenden lernen? Warum??
Sehe ich ähnlich. Ich kann quasi alles "googlen" heutzutage und vieles, dass auswendig gelernt werden soll, hat 0 Relevanz für später. Das sagen Lehrkräfte aber auch schon seit zig Jahren
  • Kita: Wie nutze ich die Sprachsteuerung an Mamas Tablet, um rauszufinden, wie schnell Geparden rennen können (und wie lange) + was der Unterschied zwischen einem Leopard und einem Panther ist; wie kann ich mir selber Ausmalbilder von Midjourney & Co. generieren lassen und sie zum Drucker schicken?
  • Grundschule 1: Wie nutze ich einen Raspberry Pi (nuc / whatever), eine Kamera und einen Sensor, um bei jedem Vogel am Vogelfutterspender automatisch ein Foto zu machen. (Mit ChatGPT kein Thema, das gibt dir eine Schritt-für-Schritt-Anleitung)
  • Grundschule 2: Wie nutze ich automatisiertes Assessment, um meine Lese-/Schreib-/Rechenkompetenzen zu erfassen, mir gutes (lernwirksames) Feedback abzuholen und mir sinnvolles, passgenaues Übungsmaterial abzuholen?
  • Grundschule 3: Warum sind wir Menschen so unterschiedlich, sprechen verschiedene Sprachen, haben verschiedene Interessen, brauchen in der Schule und in der Freizeit andere Dinge, und wie können wir trotzdem nicht nur gut zusammenleben sondern noch voneinander lernen?
  • Grundschule 4: Warum fackelt uns der Planet ab?
  • Weiterführende Schule 1: Wie nutze ich Tiktok/Sprachmodelle, um den bekackt erklärten Stoff verständlich aufzubereiten? Woran erkenne ich, ob die Ed-Influencerin / das Sprachmodell gerade Scheiße labert?
  • Weiterführende Schule 2: Wie erkenne ich Biases in Daten/Outputs, wie entstehen Vorurteile, wie funktionieren die Sprachmodelle [ | insert aktuelle technology here], und wie gehe ich damit um? Wie machen "soziale Medien" uns kaputt und was für Potenziale haben sie (insert aktuelles kurzgesagt-Video hier)?
Ob das so in der Reihenfolge und vom Alter her machbar ist, kann ich nicht so wirklich beurteilen. Für gymnasiale Kinder bzw. mit gutem sozialen Hintergrund sicher eher machbar. Für vernachlässigte Kids mit schlechter Sozialkompetenz müssen trotzdem zunächst erstmal Basiskompetenzen im Verhalten gelernt werden. Daher bin ich für verpflichtende Kita für soziale Interaktionen und Sprachförderung. Es kann und darf nicht sein, dass Kinder erst in der 1. Klasse regelmäßig mit deutschsprechenden Gleichaltrigen zusammen kommen.
  • Alle Klassenstufen: Algorithmisches Denken/Computational Thinking, Problemlösefertigkeiten, Problemlösefertigkeiten, nochmal Problemlösefertigkeiten, Kooperation, Selbstreguliertes Lernen
  • Alle Klassenstufen: Wie kriegen wir es hin, uns nicht gegenseitig zu zerfleischen?
Seitdem Informatik verpflichtend bei uns integriert ist, bin ich für deutlich mehr davon. Es macht als Lehrkraft unheimlich Spaß und den Schülern auch, weil es mittlerweile so vieles gibt, bei dem man sich rätselnd, zusammenarbeitend und technisch austoben kann. Nicht alles macht Spaß, aber die haben lieber Informatik als viele der anderen Fächer.
Selbstreguliertes Lernen in Kooperation mit digitalen Plattformen wäre mein Traum. Leider dauert es unheimlich lange, bis der kommunale IT-Dienstleister hier die Ressourcen bereitstellt. Mein Kollege und ich suchen daher immer wieder eigene Möglichkeiten. Am peinlichsten ist: Wir arbeiten in Kl. 9 & 10 überwiegend mit dem Computer und wenn wir einen Test schreiben lassen, kommt das harte Papier wieder raus. Es gibt relativ einfache Lösungen dafür, aber wir können das bei vollem Deputat eben nicht alles sofort und mal eben so einrichten. Alleine für meine Bildbearbeitungseinheit mit paint.net habe ich trotz Wilderei von vielen Seiten im Netz locker das Vierfache an Vorbereitung reingesteckt im Vergleich zur Unterrichtszeit. Das ist unverhältnismäßig und ich kann es jedem Kollegen nachempfinden, dass man das nicht einsieht bei der aktuellen Belastung.

Dass du das mit dem Zerfleischen einfach nur beiläufig als einen unter vielen aufführst, spiegelt so 1:1 das Klischeedenken wider, wenn man als Lehrkraft an Bildungsforscher denkt. (Soll kein Angriff sein, ich schmunzle hier nur.) Aktuell haben wir massive Probleme an Schulen, s. auch vorgestern die Randale an einer Schule in Berlin-Neukölln. Wir kommen ja größtenteils gar nicht mehr dazu überhaupt zu lehren. Veraltete Curricula, altbackene Methoden hin oder her - alles richtig. Wenn aber die primäre Aufgabe ist, dass man als Lehrkraft erstmal massiv Sozialarbeit betreiben muss, um den Frieden in der Klasse herzustellen bzw. Klassen über Jahre schleifen muss, damit überhaupt erstmal ein vernünftiges Miteinander herrscht, von Lernatmosphäre ganz zu schweigen, dann ist es 0,0 verwunderlich, dass Fortschritt, Engagement etc. auf der Strecke bleibt, weil die Leute psychisch groggy sind ohne Ende.
  • Ohne Basis macht alles andere keinen Sinn.
    • Wir wissen seit Jahrzehnten, dass die meisten Kinder, die zur Einschulung nicht bestimmte Vorläuferfähigkeiten mitbringen (insbesondere: phonologische Bewusstheit bzw. überhaupt gutes Verständnis der Unterrichtssprache; Mengenverständnis und basales Zahlenverständnis) im Laufe der Jahre überwiegend immer und immer und immer weiter zurückfallen.
    • Das ist intuitiv nachvollziehbar: Wenn ich in Klasse 2 oder 3 noch meine komplett Aufmerksamkeit dafür brauche, einzelne Buchstaben/Wörter zu entziffern, ist es unmöglich, sich um Textverständnis zu kümmern. In Mathe ist es noch komplexer. Und ohne basale Lese- und Mathekompetenzen (aktuell in der 9. Klasse 25 bzw. 30%!!) ist alles andere einfach mal für die Katz.
    • Was gemacht werden müsste:
      • Verpflichtende richtige Diagnostik der wichtigsten Basiskompetenzen spätestens mit 4 Jahren. Dafür gibt es ebenfalls seit ca. 2 Jahrzehnten richtig gute Koffer, die auch Erzieherinnen richtig gut einsetzen könnten. Könnten, wenn sie sich an die Manuale halten würden und ein Grundverständnis dafür hätten, dass Diagnostik nicht Förderung ist. Und dass das den Kindern tatsächlich Spaß macht und nicht "obendrauf" ist. Siehe auch unten zu Kompetenzen von Fachkräften.
      • Angepasste Förderung für jedes Kind, basierend auf der Diagnostik. Und nein, dafür braucht man keine 1:1-Betreuung, auch da gibt es längst belegt funktionierende Konzepte, wie man das z.B. in Gruppen aufteilt. Aber ja, man bräuchte anders ausgebildetes und möglichst auch zusätzliches spezialisiertes Personal.
      • Kind kommt erst in den Regelschulunterricht, wenn es die Vorläuferkompetenzen beherrscht. Inklusive Sprache. Kinder lernen so unfassbar schnell eine neue Sprache, wenn man es nur zulässt und etwas begleitet.
      • In der Grundschulzeit durchgängig Lernverlaufsdiagnostik zu den Basiskompetenzen: alle paar Wochen 20 Minuten Test am PC, das gibt ein viel valideres Urteil als das die allermeisten Lehrkräfte fällen können (s.u.), personalisiertes Feedback, personalisierte Aufgaben. Das gibt's auch so schon seit Jahren ohne Generative KI. Muss nur eingesetzt werden. Keine Leseverständnisaufgaben, wenn noch nicht flüssig gelesen wird, s.o.
      • Zentrale Qualitätssicherung und Bereitstellung von Unterrichtsmaterial: Unterrichtsmaterial ist bei ganz vielen Lehrkräften ein gehüteter Schatz, der nicht mal im geschätzten Kollegium weitergegeben wird. Andere schmeißen mit "OER" (Open educational resources) um sich, die sie sich schön ausgedacht haben und die vielleicht auch schön bunt sind, aber 0,0 Lernzuwachs bewirkt oder nur an irrelevanten Stellen. Wer auch immer nach Unterrichtsmaterial sucht, wird überschwemmz von einem undurchdringlichen Angebot.
Uneingeschränkte Zustimmung. Beim Unterrichtsmaterial sind die Gemeinschaftsschulen sicherlich lockerer aufgestellt und wir arbeiten hier in allen Fächern übergreifend mit dem gleichen Material. Hier und da gibt es auch mal Ausnahmen. Von den Gymnasien höre ich aber weiterhin vom Einzelkampf, sowohl was das Handling der eigenen Klasse im Jahrgang anbelangt als auch beim Material.
Der Hohn in Schleswig-Holstein war, dass um Corona herum eine Lernplattform eingeführt wurde, die halt leer war und dann gesagt wurde, dass man sich darüber ja jetzt austauschen könne. Ich wäre so froh, wenn das IQSH Profis anstellen würde, die in Zusammenarbeit mit Lehrkräften, dieses System füttern würden und man könnte sich dann daraus bedienen. Aber nein, stattdessen sucht jede Lehrkraft von Flensburg bis Pinneberg, von Husum bis Lübeck ihre eigenen Sachen zusammen, und tauscht es immer noch maximal an der Schule aus. Was da über Jahrzehnte mittlerweile an Arbeitszeit und somit auch Steuergeld verschwendet wurde, geht auf keine Kuhhaut. Man könnte formulieren, dass dies alles ja unter dem Deckmantel der "freien Lehre" so gewünscht sei. Am Arsch.
  • Das bringt mich zum nächsten großen schlimmen Themenkomplex:
  • Lehrkräfte. Sie können nicht das, was sie brauchen. Sie tun nicht das, was sie sollten.
Teilweise Zustimmung, teilweise nicht. Ich habe etliche sehr gute kennengelernt, die so dermaßen gut pädagogisch aufgestellt sind und genial mit schweren Schülern und Klassen umgehen können, bei denen ich am Verzweifeln war. Auf der anderen Seite war es dann fachlich eben nur Grundstock - kann man aber auch nicht kritisieren. Den Fachidioten brauchts an der Schule einfach nicht, aber sicherlich Menschen, die in ihrem Fach begeistern können. Letzteres fällt aber immer schwerer, weil bereits Grundschüler so reizüberflutet in den Klassenraum strömen, dass du ein Feuerwerk abbrennen müsstest, damit diese Kinder irgendwie ins Lernen kommen.
    • ...
      Weil es viel wichtiger ist, dass die Grundschullehrerinnen komplexe mathematische Beweise durchführen können. In dein Gesicht.
Volle Zustimmung.
  • Zweite Phase Lehramtsausbildung. Hat nichts mit den anderen Phasen zu tun. Man spricht einfach nicht miteinander. Wozu auch.
  • Referendariat. Das System ist so kaputt. Wenn man Glück hat, kann es sinnvoll sein. Von 6 mir näher bekannten Lehrkräften war das in einem(!) Fall so, der Rest war verlorene, schlimme Lebenszeit, die keinen Deut dazu beigetragen hat, dass die Leute bessere Lehrkräfte geworden sind.
Ebenfalls d'accord. Ich habe das Ref. nie nachgeholt, weil ich es für unmenschlich halte und es nicht dem aktuellen Stand entspricht, wie man Menschen ausbildet, ihre Persönlichkeit stärkt und sie positiv führt und unterstützt. Auch ist viel Schwachsinn dabei und dann sitzen alle abnickend in der Runde, wohlwissend, dass der/die Modulverantwortliche Bockmist von sich gibt. Nur Anneliese ist begeistert, führt dies auch später so fort und versteht nicht, warum sie bei den Schülern nicht ankommt und im Kollegium auch einen nicht so ganz unproblematischen Stand hat.
    • Lehrkräftefortbildung: Jedes Bundesland kocht sein eigenes Süppchen. Qualitätsgesichert ist nichts. Schaut euch mal die Themen an, zu denen fortgebildet wird (ist tw. öffentlich einsehbar) und wer die Fortbildungen macht.
      Einfach alles einstellen und ganz neu aufziehen.
Voll dabei. Fortbildungen vom IQSH bei uns sind SCHEISSE! Seltene Ausnahmen bestätigen die Regel. Highlights: Zu uns kam einer, der Arbeit mit dem iPad vorstellen wollte. Nach 20 Min. meinte er nur: Warum bietet ihre Schule keine Fortbildungen an. Sie können das ja schon alles und viel mehr. :rofl2: Der andere kam mit einem wassergefüllten Gefäß + Tischtennisball und dann gab es einen Stuhlkreis für ca. 90 Minuten. Der hat echt geglaubt, dass das in der heutigen Zeit bei 25+ Kids funktioniert. "Sie müssen auch mal offen sein für sowas." - Deine Mudder!


  • Nebenbei: Wir wissen aus der Forschung ziemlich gut, dass es ungefähr ein halbes Jahr training on the job braucht, um im Lehrkraftberuf eine wesentliche Änderung am Unterricht herbeizuführen.
    • Wer wird Lehrkraft? Nicht die, die es werden sollten. Lehramtsstudierende haben so ziemlich die niedrigste Selbstwirksamkeitserwartung von allen Studierenden und auch mit die schlechtesten NCs unter größeren Studiengängen (alte Daten, hat sich bestimmt nicht geändert und nein, ich suche die Quellen jetzt nicht raus).
Hat mittlerweile mit der Attraktivität des Berufes zu tun. Wer will sich das bitteschön noch antun. Man verdient aktuell sehr viel mehr, wenn man nicht im ÖD arbeitet. Aber auch hier stimme ich zu: Ich habe bei vielen Kollegen das Gefühl, dass die Bereitschaft zur Extrameile nicht oder nur während des Refs vorhanden ist. Danach ist bei den meisten damit vorbei, natürlich auch aufgrund der Desillusionierung, dass das Überleben in der Klasse heute so extrem hart geworden ist und die Kraft fehlt.
    • Was auch dazu gehört: Das Mindset. Siehe auch Technologie.
Eine der Sachen, die mich als Schul-IT-Admin mittlerweile krass stört. Wieder aus meiner Bubble: Lehrkraft meint, dass sie ja fit sei in Sachen IT etc. Dann verschickt sie Mails an Absender, die diese gar nicht erhalten sollen, findet auf einer Buchungsseite für digitale Endgeräte den Stornobutton nicht bzw. probiert nicht einmal und versteht simple Unterschiede im Stundenplantool nicht. Ein anderer hat sich pikiert gezeigt, als ich eine sarkastische Anspielung gemacht habe, dass man seine Geräte auch up-to-date halten und vielleicht auch mal im W-LAN sein muss, damit sich sein Gerät verbindet und um ein Vieraugengespräch zur Klärung gebeten, weil er sich schlecht behandelt gefühlt hat. Zwei Wochen später kam ne Nachricht: "Die Tafel in meiner Klasse geht nicht." - Ja, du Lappen, wenn der Stecker nicht in der Steckdose ist, kann ich dir auch nicht helfen. Da kippst du um, was da an Anfragen bzw. Problemen auftreten, für die ich dann kostbare Zeit opfern muss. Ich mache das, bin ja nett, aber das ist oft einfach zuuuuu heftig.
    • Es ist scheißegal, ob du zwei Korrekturfächer hast und dich jeden Abend bis in die Nacht reinhängst um auch das letzte Kind in der Klasse doch noch irgendwie mitzunehmen und die Eltern zufriedenzustellen oder ob du 30 Jahre lang sagst "Buch aufschlagen auf Seite drölfhundert, Aufgaben 5 bis 23" -- du kriegst das gleiche Geld und keinerlei Konsequenzen.
Richtig, s.o., aber "jeden Abend bis in die Nacht reinhängen" kann es auch nicht sein. Es gibt einen Grund, warum die Arbeitszeit von Lehrkräften immer noch nicht erfasst wird, es aber eig. müsste: Wir hätten wohl den Freitag dann frei (bzw. massig Überstunden).
    • Keine Arbeitsplätze an den Schulen. Da fuq? Gebt allen ein eigenes Büro (mit vielen Glasscheiben) und macht Anwesenheitspflicht bis 16:45 Uhr. Zeiterfassung. Funktioniert mit Sicherheit nicht bei allen, würde aber Trittbrettfahrende abschrecken. Beamtentum muss natürlich genauso abgeschafft werden: Wer so richtig scheiße baut oder gar die Arbeit ganz verweigert, muss fliegen wie in der Wirtschaft auch -- und nicht weggelobt werden, wie aktuell.
Ganz meine Meinung. Aktuell sind Angestellte übrigens krass benachteiligt und ich weiß nicht, was bei einer Klage vor dem EU-Gerichtshof für Menschenrechte herauskommen würde, aber ich bekomme derzeit weniger Gehalt als meine verbeamteten Kollegen bei definitiv gleicher Arbeit.
    • Kooperation. Siehe oben. Innerhalb der Fachschaft, aber auch dazwischen. Gemeinschaftsprojekte, einfach mal was Geiles machen (eigenes Animationsvideo / eigene App programmieren, eigenen Chatbot, oder zur Roboter-Weltmeisterschaft fahren, einen Ninja Warrior Parcours bauen, ein großes Fest zusammen planen und machen, was auch immer. Schiebt das nicht in irgendwelche Nachmittags-AGs, sondern macht es halt im Unterricht.
      Ach ja: Curricula, s.o.
Wir bräuchten mind. für die schwierigen Fälle viel mehr praxis- und stärkenorientierten Unterricht. Aber auch der Rest wird viel zu viel in der Schule gelangweilt. Das wäre für mich ein Grund, dass Schule komplett neu gedacht wird und man solche Dinge verstärkt in den Alltag einbaut.


  • Schüler:innen, die von Quer- und Seiteneinsteiger:innen unterrichtet werden, schneiden in den großen Schulleistungsstudien in Deutschland im Mittel nicht einen Punkt schlechter ab als die Kids von grundständig ausgebildeten Lehrkräften. Sie werden in den Schulen aber so sehr alleine gelassen und so stark gemobbt, dass es extrem hohe Ausstiegsquoten gibt.
Hat leider auch mit der Lobby zu tun. Die CDU - man muss nicht ihr Freund sein - wollte in in Schleswig-Holstein alle angestellten Lehrkräfte, die mehrere Jahre über Kettenverträge genau den gleichen Job machen wie die verbeamteten Kollegen, gleichstellen. Dagegen ist man (GEW) Sturm gelaufen und meinte, dass die Lehrkraftausbildung damit geschwächt würde. Schwachsinn! Die wenigsten Lehrkräfte kommen und kamen bis dato über den Quer- bzw. Seiteneinstieg. Es wäre eine Anerkennung der Arbeit der Lehrkräfte gewesen, die 1:1 das gleiche leisten, aber schlechter bezahlt werden.
    • Arbeitsteilung: Warum gibt es in Deutschland keine "guidance counceler" wie in den USA mit festen 3-6 Terminen mit einer festen Ansprechperson für jede Schülerin und jeden Schüler? Warum ist die Schulpsychologie und Schulsozialarbeit so verdammt mies aufgestellt? Warum gibt es nicht an jeder Schule mindestens 3 fest angestellte IT'ler, die keine Lehrkräfte sind?
      (Ich kenne die Antworten, aber sie sind zu frustrierend.)
Die Antworten würde ich gerne kennen. Ich kenne nur eine: Ist nicht zu finanzieren. Würde in der Tat was kosten, sich meiner Meinung nach aber auszahlen.
Darfst du dich hier nicht näher äußern?
  • Technologie:
    • Vorweg: Technologie ist kein Selbstzweck. Wenn ich das Buch auf dem Tablet darstelle, ist nichts gewonnen. Weiß inzwischen jedes Kind. Sondern es muss darum gehen, wie ich Technologie nutze, besseren Unterricht zu machen und die Kids beim Lernen zu unterstützen. Dinge machen, die analog nicht oder nur schlecht gehen.
Korrekt.
 
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    • Also:

    • Sprache: Das Kind spricht nur ukrainisch? Hol halt Google Translate raus, dann kannst du trotztdem mit ihm Sprechen. Gib ihm das Unterrichtsmaterial digital und zeig ihm, wie es sich mit ChatGPT (oder bei komplizierteren Dingen DeepL) übersetzt. Denn wenn du Mathe unterrichten willst, unterrichte Mathe und verlange nicht vom Kind, dass es Deutsch kann.
    • Diagnostik und Fördermaterial: Siehe oben. fobizz & Co. könnten sowohl den Unterricht stark verbessern als auch extrem viel Arbeit abnehmen. Ich hab in meinem Uni-Projekt immer wieder gehört "Wann soll ich das denn noch machen, dafür habe ich keine Zeit, ich muss mich um den eigentlichen Unterricht kümmern, das funktioniert eh nicht." Und zwar auch noch, als wir längst eine vierstellige Zahl von Lehrkräften hatten, die es einfach mal gemacht haben und uns immer wieder gefeedbackt haben: Geil, das spart Zeit, ich kann die Kids besser einschätzen, und wenn ich die Fördermethoden einmal eingeführt habe, können es die Kinder das ganze Schuljahr einfach selbständig machen." Und mehrere zehntausend Schüler:innendaten über 10 Jahre im Längsschnitt haben auch gesagt, dass es funktioniert.
    • uvm.
Meine Ukrainerin in Klasse 6 in Naturwissenschaften darf ihr Tablet zum Übersetzen benutzen. Anfangs hat mein Kollege die Leistungsnachweise komplett auf ukrainisch übersetzen lassen und ihr so ausgehändigt. Ging, war aber semi richtig von der Übersetzung her. Die Gute kommt damit vernünftig zurecht. Geht es noch besser? Sicherlich, aber ich bin damit zufrieden. Man merkt, dass sie mittlerweile immer besser in Tritt kommt. Höhepunkt dürfte nä. Jahr die 2. Klassenfahrt für sie sein. Anfangs noch eher skeptisch dreinblickend, sehe ich sie fast nur noch lächelnd auf dem Schulgelände.
    • Gibt es irgendeine Bevölkerungsgruppe in Deutschland, die im Mittel technologieängstlicher ist als pädagogische Fachkräfte? Ich glaube nicht.
S.o. vermutlich nicht, wobei ich allgemein nicht glaube, dass die deutsche Bevölkerung im Durchschnitt sehr technologieaffin ist.
  • "Datenschutz". Alle haben eine Heidenangst irgendwas mit Technik einzusetzen, speichern aber gleichzeitig alle Kontaktdaten aller Kids und Eltern in ihren Telefonen und verschicken wichtige Nachrichten ausschließlich in WhatsApp-Gruppen. Und das schon in der Kita. Ich kann gar nicht so viel essen wie ich brechen will.
Hier mache ich einfach. Ich versuche verantwortungsvoll zu handeln, aber wenn mich die Eltern immer wieder über Whatsapp anschreiben, leiste ich keinen Widerstand. Sensibles wird darüber aber nicht verhandelt. Meistens bestätige ich Krankmeldungen oder aber gebe Auskunft über Uhrzeiten etc.
  • Nochmal Datenschutz: In einer OECD-Erhebung haben 24(?) von 29 Ländern angegeben, dass alle Kinder eine eineindeutige digitale ID haben, in denen die wichtigsten Daten gespeichert werden. Die allermeisten Länder haben Schulmanagementsysteme, in denen relevante Dinge zum Unterricht gespeichert werden, mit Eltern und Schüler:innen kommuniziert werden kann, Testergebnisse genauso wie die Hausaufgaben eingesehen werden können uswusf. Die Systeme haben Nachteile, sie sind aber verfickt nochmal besser als dem Kind irgendwas ins Heft zu schreiben, das das Kind seinen Eltern aber eh nicht zeigt - z.B., weil die Eltern kein Deutschn können. Hätten die Eltern die Nachricht digital als Pushnachricht, könnten es wenigstens diejenigen leicht übersetzen, die es interessiert.
Wir haben hier das digitale Klassenbuch und die Eltern können über dieses einsehen, wann Leistungsnachweise anstehen und Aufgaben zu erledigen sind. Kommunikation kann über einen Messenger gemacht werden, aber s.o.: viele Eltern nutzen Whatsapp. Bei wichtigen Dingen gibts die Elternmail oder eben so wie früher Telefonat und Gespräch vor Ort. Dass einige Schulen hier immer noch hinterm Berg agieren, macht betroffen.
  • Wer bestimmt, was für Software eingesetzt werden kann? Meistens irgendeine Schulaufsicht mit 0,0 Plan sowohl von Sicherheit als auch von sinnvollem Einsatz, die beraten wird von einer kommunalen IT-Klitsche, die genauso wenig Ahnung von IT(-Administration) hat.
Oder das Land mit seinem Datenschutz. Wenn ich ein funktionierendes System haben will, muss ich es bereitstellen. Hier sind die großen Player aus den USA einfach führend. Wenn ich die nicht will, weil Datenübermittlung in die Staaten, dann muss ich verfickt nochmal ein eigenes bauen. Ganz einfache Chose. Bin ich dazu nicht in der Lage, selber Schuld.

Viele eingefleischte IT'ler verstehen nicht, wie Schule bzw. Unterricht funktioniert: Du kommst in die Klasse und deine Technik muss laufen. Falls nicht, geht dir Kevin stiften, Ali schlägt die Liese, Chantal mobbt Anna und es herrscht Unruhe. Des Weiteren hat man als Lehrkraft auch nach dem Unterricht keine Zeit sich mit Frickellösungen zu beschäftigen. Eine Zeitlang bzw. habe ich immer noch das Gefühl, dass sich Informatiker auf Linux alle 5 Minuten einen runterholen.
Ja verdammt, wenn du Linux-System für Schule willst, dann sieh verlixt nochmal zu, dass die einwandfrei und mit allem Komfort laufen. Kannst du nicht garantieren bzw. gibt es nicht? Ja, dann lass mich Microsoft und Apple nutzen. Da geht das. Alles. Problemlos. Und schnell. Und verständlich. Sensible Schülerdaten können ja gerne im Verwaltungssystem hinter deutschem Datenschutz hocken, nervt trotzdem aber die Lösung des Landes akzeptier ich. Aber, dass Tommy seine Recherche über Hunderassen oder Hanna ihren Dänisch-Essay nicht in der Cloud speichern darf (Random Anwendungsbeispiel) ist übertrieben. Das weitere Beispiel mit dem Passwort habe ich oben genannt. Ein Förderschüler, der zudem 50% seiner Schulzeit seine Hefte etc. nicht beisammen hat, in denen er das Passwort aufgeschrieben hat, kommt mit "x34D%&r2" nicht so gut klar wie "2023KevinP!?"

Auf jeden Fall danke für deine Ausführungen! Vll. magst du kurz zur orange gefärbten Frage noch was entgegnen, sofern du damit nicht zu viel ausplaudern würdest.
 

parats'

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Ohne Inhaltlich was dazu beizutragen - ich hätte nicht gedacht, dass der xte Bildungsthread endlich mal einen anderen Einschlag bekommt. Vielen Dank @vinniesta und @Smarty für die Einblicke.
 
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@vinniesta Hab deine beiden Postings gelesen, danke für deine Einschätzungen!
Nur kurz
Die Antworten würde ich gerne kennen. Ich kenne nur eine: Ist nicht zu finanzieren. Würde in der Tat was kosten, sich meiner Meinung nach aber auszahlen.
Das war mistig von mir ausgedrückt, ich hab mein Posting oben mal editiert (und bei der Gelegenheit auch an anderen Stellen etwas näher ausgeführt/präzisiert, bis ich ins 25.000-Zeichen-Limit gekommen bin).
Im Grunde: Was du sagst. Wie alles kann man das beliebig komplexer begründen, ich kenne mich (wie jetzt im Posting klargestellt) nicht im Detail aus, darum hier nur Halbgares:
  • Kommunen sind insbesondere für die Aufgaben zuständig, die besonders viel Geld kosten (würden, um es vernünftig zu machen), wenn die Kommune arm ist (z.B. Jugendämter).
  • Überhaupt: Warum wird Ganztag von den Kommunen organisiert und bezahlt, nicht vom Lehrkörper? (Weil es noch weniger Lehrkräfte gibt als Sozialpädagoginnen und weil dann nicht die Kommune bezahlen müsste).
    Die Trennung ist erstmal ein harter Bruch zwischen Unterricht und Ganztag, den man mit sehr viel Willen und sehr viel Engagement überbrücken kann - oder man lässt es.
  • [frustrierter Bullshit mit wahrem Kern:] Psychologie. Wo kämen wir denn da hin? Wenn die Ärzteschaft-Lobby ein großes Ziel hat, dann ist es doch, die Psychologie klein zu halten, und dazu gehört halt auch Schulpsychologie. [/Bullshit] Und diese Denke, dass psychologische und soziale Aufgaben nicht so viel wert sind wie andere, ist meinem oberflächlichen Eindruck nach auch in Verwaltungen und Poltik noch sehr weit verbreitet in D.
  • War schon immer so. In Deutschland ändern wir Sachen nicht einfach so, nur weil es sinnvoll wäre.
  • Selbst wenn man es wollte: Wer sollte das denn entscheiden? Es ist niemand dafür zuständig, und wer nicht zuständig ist, macht auch nichts. Und wenn sich jemand zuständig fühlt, kriegt der-/diejenige so schnell so viel Shitstorm von den anderen Verwaltungen, Verbänden, Interessensvertretungen, dass ganz sicher nichts daraus wird. Ich bin mir sicher, selbst die GEW würde sich irgendwas aus den Fingern saugen, warum es eine ganz, ganz schlechte Idee wäre, psychologische und sozialpädagogische Aufgaben an Leute zu geben, die dafür ausgebildet sind.
 
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In den USA dürfte sich die Zusammensetzung der Schülerschaft ja nicht soo stark geändert haben, oder? (Stichwort Migrationshintergrund / anderer Eltern-Mix.)
 

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Gustavo

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Spannend!
In den USA dürfte sich die Zusammensetzung der Schülerschaft ja nicht soo stark geändert haben, oder? (Stichwort Migrationshintergrund / anderer Eltern-Mix.)

Wenn du sowas wie "Staatsausgaben für Feld X" siehst, es sich um ein wichtiges Feld der Staatstätigkeit handelt und die Ausgaben ist nicht in irgendeiner Form in "Prozent des BIP" ausgedrückt sind kannst du dir fast sicher sein, dass du belogen wirst. Erstbeste Statistik: https://ourworldindata.org/grapher/...-share-of-gdp-public-and-private-institutions
 
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Verstehe ich nicht ganz - auch in deinem Chart steigen doch die Ausgaben für Bildung in % des GDP. Und die Betreuungsquote ist ja schon relevant.

Das einzige Erklärungsmodell was mir im Kopf herum schwirrt ist, dass die Qualität der Schulen aufgrund des funding gespreizt wurde - und der schlechtere outcome der schlecht finanzieren Schulen nicht den besseren outcome gut finanzierter Schulen ausgleicht - gerade bei einfacheren Metriken wie Leseskills.
 

Gustavo

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Verstehe ich nicht ganz - auch in deinem Chart steigen doch die Ausgaben für Bildung in % des GDP. Und die Betreuungsquote ist ja schon relevant.


Sicher, aber der Chart beginnt auch 1950, nicht 1970. Von 1970 an ist der Anstieg irgendwo zwischen 10% und 20%, nicht die 140% die die Grafik einen glauben lässt und auch keineswegs so konstant (was durch "lineare Interpolation" für fehlende Datenpunkte zustande kommt, womit er schlicht "ich habe zwei Punkte mit dem Lineal verbunden" meint).

Es ist immer derselbe Trick: So zu tun als wären "inflationsbereinigte" Zahlen 1 zu 1 vergleichbar, was sie nicht sind. Du kannst in einer wohlhabenderen Gesellschaft bestimmte Berufe von diesen Wohlstandsgewinnen nicht ausschließen, sonst ist irgendwann niemand mehr bereit sie zu machen. Gerade diejenigen, die in einem normalen Bildungssystem Lehrer und Professoren werden wollen haben in der Regel das Humankapital, dass sie sich auch anderweitig spezialisieren könnten, wenn du diese Berufe von jeglichen Wohlstandsgewinnen ausschließen würdest.


Das einzige Erklärungsmodell was mir im Kopf herum schwirrt ist, dass die Qualität der Schulen aufgrund des funding gespreizt wurde - und der schlechtere outcome der schlecht finanzieren Schulen nicht den besseren outcome gut finanzierter Schulen ausgleicht - gerade bei einfacheren Metriken wie Leseskills.

Das ist alles völliger Nonsense. Es gab den enormen Anstieg an Ausgaben, den diese Grafik suggerieren soll, schlicht nicht. Konsequenterweise gibt es auch keinen gap, den es zu erklären gilt, den du hier ad hoc zu erklären versuchst. Die NAEP test scores stagnierten auch nicht alle; die für jüngere Kinder (im Alter von 9) sind sie seit Anfang der 70er merklich gestiegen, die für Jugendliche (im Alter von 13) nur geringfügig.

Ich sage es dir nochmal: Du fällst hier schlicht auf einen Trick rein. Coulson war auch kein Forscher, sondern jemand der sein Leben lang (er ist vor ein paar Jahren gestorben) bei "free market" think tanks angestellt war, um für die Privatisierung von Bildung zu agitieren. Das ist schlicht Propaganda, die jedem Bildungsforscher um die Ohren gehauen würde.
 
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