Hmhm. Also ich bin gerade in der Praxis tätig und kann da ein bisschen berichten:
- Drohen hilft nur, wenn man wirklich konsequent ist, und selbst dann kann es einem passieren, dass man gegen ne Wand läuft. Manche Schüler sammeln eben Verweise wie andere Pokémons, teils kommt man nicht mal an die Eltern ran. Die unterschreiben brav jeden Verweis, ignorieren aber sonst jegliche Kontaktaufnahme.
- Es gibt auch an Regelschulen Kinder, deren Verhalten sie eigentlich untragbar in der ohnehin inhomogenen Klassengemeinschaft macht. Hab z.B. nen Schüler, der leicht autistische Tendenzen zeigt. So gerne ich ihn unterstütze, so viel Kraft kostet der Kerl auch. V.a., wenn er z.B. unvermittelt anfängt, seinen Arm abzuschlabbern oder seinen Kopf auf die Tischplatte knallt. Blöde is er nicht, aber eben betreuungsaufwändig. Bei dem hilft ein "Ich will nicht, dass du das machst, du störst die anderen" gar nix. Läuft in BY alles unter Inklusion - an sich stehe ich der Inklusion aufgeschlossen gegenüber, allerdings bräuchten viel mehr von diesen Kindern ne Schulbegleitung. Aber die zahlt niemand.
- Schule ist Zwang genug. Disziplin lässt sich v.a. durch 2 Dinge erreichen: Gut vorbereiteten Unterricht und Klarheit, bzw. Fairness. Die Schüler müssen wissen, was Sache ist und man muss als Lehrer die klare Linie auch rüberbringen. Gelingt mir persönlich von Monat zu Monat besser, am Anfang hab ich aber auch genug Kacke gemacht, die mir nun teils nachhängt. Durch Gebrüll oder permanente Strafen erreicht man maximal Angst, was zwar die Klasse ruhigstellt, das Lernklima aber nachhaltig vergiftet. Das kann bis zur Schulangst führen, wenn man richtig schlecht ist. Jeder hatte wohl mindestens einen ultra-autoritären Lehrer, vor dem alle einfach nur wahnsinnig Schiss hatten, weil er unberechenbar war. Das kann nicht der Sinn der Sache sein.
- Ein massives Problem bei der Aufrechterhaltung entsteht, wenn man nicht vermitteln kann, wozu den Schülern das Gelernte außerhalb der Schule dienen soll. Ganz schlimm bei Deutsch und Mathe. Was aber nicht mal an den Inhalten, sondern an den teils abstrus weltfremden Prüfungsformen liegt. In Deutsch schreibt man z.B. in der RS sogenannte "textgebundene Aufsätze". Die bestehen aus einer Inhaltszusammenfassung, einem deskriptiven Teil (Sprache, Layout, etc.), einem argumentativen Teil (z.B. Stellungnahme zum Text) und ner kreativen Aufgabe. Anders gesagt: Ziel ist die eierlegende Wollmilchsau, was bei den Schülern ankommt, ist: "Mach das alles, weil es so sein muss, und du kriegst ne gute Note." Da stoße ich auch an meine kreativen Grenzen, derlei Unsinn kann man einfach nicht verpacken. Ich versuche dann wenigstens, die Texte so zu wählen, dass die Schüler was mit ihnen anfangen können. (Denn in den Deutschbüchern steht völliger Scheiß.)
- Zum Thema Handy: Ist v.a. in Großstädten ein Problem. Auf meiner Landschule halten sich die Schüler ans Handyverbot. Alle haben eins dabei, aber im Unterricht ists tatsächlich aus. Ich arbeite also im Paradies.
Ich fände es sinnvoll (und das ist vom KM btw auch nicht verboten), wenn Handys viel stärker in den Unterricht integriert würden. Man kann die Dinger durchaus sinnvoll nutzen.
- Was zum eigentlichen Problem führt: Gerade in Ballungsräumen findet man sehr viele Kinder vor, der quasi null Erziehung genossen haben. Hab das hier bei mir nur am Rande, aber diese Randfälle hochgerechnet wären Brainfuck deluxe. Damit meine ich jetzt nicht die Kinder, die offensichtlich noch den einen oder anderen Knoten im Hirn haben - wo der herkommt, sei dahingestellt - sondern z.B. auch solche, die niemandem gegenüber Respekt zeigen. Auch nicht gegenüber ihren Mitschülern. Als Lehrer, der nur 45 bis 90 Minuten am Tag in der Klasse steht, hat man da kaum ne pädagogische Handhabe. Man braucht so oder so ne Wahnsinnsgeduld und auch ein gerüttelt Maß an Ignoranz. (nicht despektierlich gemeint, sondern eher so, dass man etwaige Probleme nicht "mit nach Hause" nimmt - in der Schule sollte man imho alles geben, danach haben aber andere Dinge Priorität.)
- Zum Thema Diversität innerhalb einer Schulart: Die ist irre. Hab ne Schülerin, die zu 100% nach der RS das Abi machen und wahrscheinlich mit nem Bombenschnitt ablegen wird. Die bringt Antworten auf einem Niveau, das mich teils sprachlos macht. (10. Klasse) Kontrast: Ein Schüler der 8. Klasse, der so ne Art Hirnlähmung hat. Bisher konnte er sich aufgrund seiner durchaus vorhandenen Cleverness durchmogeln, nun, da der Anspruch steigt, ist er völlig verloren. Wenn der Durchschnitt nen Text ganz gelesen hat, hat er vllt. 30% geschafft. Anweisungen muss man ihm meist persönlich "vorbeibringen", weil er komplett wegdriftet. Kann man schwer beschreiben, macht auf jeden Fall ein bisschen ratlos.
- Zum Thema Inselbegabungen: Schwierig. Man muss auch sehen, was in so ner Schule gemessen wird: Die Fähigkeit, Wissen zum Zeitpunkt X wiederzugeben und im Idealfall nen Transfer hinzukriegen. (Letzteres wird immer größer geschrieben, so reine "Scheib alles auf, was du gelernt hast"-Prüfungen sterben langsam aus.) Dennoch profitieren von diesen Prüfungsformen primär zwei Schülergruppen: Die Schlauen und die Fleißigen. Die, die schlau UND fleißig sind, kriegen meist die 1, die, die nur 1 von 2 Kriterien erfüllen die 2 oder 3. Der Rest fällt unter den Tisch.
Gute Notengebung heißt, möglichst viele Kompetenzbereiche zu benoten. Durch die immense Gewichtung der schriftlichen Prüfungen bleibt es aber dabei, dass Schüler in manchen Fächern, sobald sie mal den Anschluss verloren haben, ihn nur noch unter großer Anstrengung wiederherstellen können. Und man muss wohl auch so realistisch sein und sagen, dass es tatsächlich Schüler gibt, die selbst, wenn sie sich anstrengen, niemals wirklich gut sein werden, weil sie einfach zu lange brauchen, um etwas Neues zu verstehen. Da ist das System gnadenlos. Der Lehrplan ist voll und für großartige Differenzierung hat man kaum Platz. Schon gar nicht bei der Leistungserhebung, außer an einigen Projektschulen. Warum man z.B. nicht innerhalb einer Klasse mehrere Prüfungsniveaus einführt, verstehe ich nicht. Man müsste diese Niveaus natürlich durchlässig gestalten. Aber gerade durch den Föderalismus bleibt hier vieles Stückwerk. Und bevor sich in Bayern ernsthaft was ändert, regiert die SPD.
- Zum Schluss: Ich kenne nun zwei Schularten "von innen". War am Gym und dort die meiste Zeit gelangweilt. Hab ab ca. der 9. Klasse nirgendwo ernsthaft gelernt und deshalb auch nur in den Fächern gute Noten gehabt, die mich auch interessiert haben. Wobei ich immer noch ein bisschen stolz darauf bin, Latein mit ner 3 abgelegt zu haben, obwohl ich fast 2 Jahre keine Vokabeln gelernt habe. Lexikon + Grammatikskillz deliver.
Arbeite nun an ner Realschule und muss sagen, dass diese Schulart vom Konzept her weitaus durchdachter als das Gym ist. Eigentlich die perfekte Mischung aus Theorie und Praxis. Das Niveau ist auch in Ordnung, wenngleich natürlich nicht mit dem Gym vergleichbar. Wobei imho eine gefährliche Schieflage entstanden ist: Man braucht für sehr viele Jobs Abi, obwohl das Gym mehr denn je die Schüler aufs Studium vorbereitet. Eigentlich müssten viel mehr Kinder auf die RS. Aber die Inflation frisst unsere Kinder, oder so ähnlich. Die Lücke, die in BY zwischen RS und MS klafft, ist allerdings beängstigend. Hab das während des Studiums im Nebenjob mitbekommen. Zur Einschätzung: Ein mittelmäßiger Gymnasiast in der 8. Klasse ist mit einem mittelmäßigen Realschüler der 9. Klasse vergleichbar. Ich hatte Mittelschüler zur Nachhilfe, die in der 9. Klasse mit Ach und Krach das Niveau eines Realschul-Sechstklässlers hatten. Und selbst da musste man gnädig sein. So blöd können die doch gar nicht sein.