Zu schade. Genau so hatte ich dich eingeschätzt.
Du ziehst dir hier den falschen Stiefel an!
Wann müsstest du denn Verantwortung übernehmen oder zur Verantwortung gezogen werden?
Doch nur dann, wenn du unmittelbarer Auslöser der seelischen Erkrankung gewesen wärst. Das warst du aber nicht. Du warst sein Freund!
Der labile psychische Zustand deines Freundes kann die verschiedensten Ursachen haben. Er kann die Folge sehr negativer, vielleicht grausamer Erfahrungen in der Kindheit oder Jugend sein, - aber auch einfach endogen durch ein Ungleichgewicht von Neurotransmittern begründet sein. Möglich, dass überhaupt keine ersichtlichen Auslöser zu finden sind. Es gibt einfach unglaublich(?) sensible Menschen mit sehr vorsichtiger, ängstlicher Grundhaltung, die sich ständig mit Zukunfts- und Versagensängsten quälen und in einem fortwährenden Überforderungssyndrom durch die Erwartungshaltung ihrer Umgebung gefangen sind.
Du weißt nicht, wie einsam und verlassen ein Betroffener sich fühlt.
Niemand kann einen Freund mehr brauchen, als er.
Was glaubst denn du, weshalb ich Wangerooge vorgeschlagen habe? Wangerooge im eisigen, schneebedeckten Februar?
Weil es eine Insel ist. Weit weg vom Alltag, von beruflicher Verpflichtung, häuslicher Routine, von Action, von Party, von Anforderungen aller Art.
Weil sie zauberhaft verfremdet ist mit dem Schaum festgefrorener Wellen und der erstarrten Gischt am Strand, ähnlich einer natürlichen Langlaufloipe.
Weil da so leicht keiner hinkommt um diese Jahreszeit und du maximal 5 Leuten in drei Stunden Wanderung durch die Eislandschaft begegnest.
Weil man nicht viel reden muss und genug Luft bekommt, um sich leichter zu fühlen.
Ihr wart keine Freunde. Ihr wart eine Gruppe Halbstarker, die Musik gemacht hat. Wie Boote auf dem Meer, die bei relativer Windstille eine zeitlang nebeneinender hergleiten, aneinender vorbeifahren, sich überholen, vielleicht kurzfristig wieder einholen und dann doch aus den Augen verlieren. Jeder segelt in seinem Tempo in seine Richtung.
Auf einen Freund wartet man. Man schleppt ihn sogar ab, wenn es sein muss. In den nächsten sicheren Hafen. Oder man holt Hilfe.
In einer wirklichen Freundschaft versteht es sich von selbst, den anderen so anzunehmen, wie er ist. Richtige Freunde begleiten einander durch Höhen und Tiefen in einem lebenslangen Lernprozess.
Ich hatte dich nur aufgefordert, dem "Freund" Zeit, Verständnis und Geborgenheit zu schenken. Vielleicht hättest du für ihn sowas wie ein Leuchtturm sein können, der ihm zur Orientierung hilft.
Aber du warst nur so ein Schiff, das zufällig mal seine Route gekreuzt hat. Mehr nicht.