Du machst hier gerade den logischen Fehler, aus der Tatsache, dass jemand argumentativen Gegenwind bekommt oder man seine Aussagen kritisch hinterfragt, abzuleiten, dass das ein Indiz dafür wäre, dass er irgendwie "Recht haben" könnte.
Habe gern geholfen, bedank Dich später.
Was mich an diesem Topic so betroffen macht ist weder der krasse Fall (ist Abstumpfung, gebe ich zu) oder die Tatsache, dass einige Leute das Konzept völliger Wehrlosigkeit scheinbar so verinnerlicht haben, dass sie tatsächlich glauben man *könne* gegen einen Gewalttäter (unabhängig vom vorliegenden Einzelfall) gar nicht mehr anders vorgehen als sich zu Unterwerfen weil jedes Risko was man eingeht, schon eines zu viel ist. Oder der Aufwand dafür wäre so hoch, dass man "sein ganzes Leben" darauf ausrichten müsse.
Nein, die krasseste Lehre aus diesem Topic ist für mich, dass über gewisse Einstellungen nichtmal eine faktenbasierende Diskussion möglich ist. Fast alle haben keine Ahnung (im Sinne von Wissen über das Thema und persönliche oder berufliche Erfahrung) aber jeder hat 'ne Meinung und die Gegenseite muss ständig ad hominem angegriffen werden (Macho, Rambo, Internetheld, Testosteronjunkie). Eigene Vorstellungen werden als unumstößliche Wahrheiten und Gipfel des gesunden Menschenverstandes betrachtet, obwohl sie größtenteils aus Bauchgefühl und Hörensagen bestehen. Abweichende Meinungen sind direkt paranoid oder wahlweise ekelhaft, überheblich oder realitätsfern.
Bei politischen Themen wie rechts vs. links, law&order vs. laissez-faire und whatnot da kann ich das nachvollziehen auch wenn ich da ebenfalls für 'ne differenzierte Betrachtung eintrete und im Einzelfall auch der Gegenseite ihre Argumente und gute Ideen zubillige.
Aber so eine Diskussion über persönliche Sicherheit und Möglichkeiten sich zu schützen? Wo es Literatur, Konzepte und Erfahrungswerte zu Hauf gibt? Da gibts nur eine unumstößliche Wahrheit die selbstverständlich in der eigenen Position liegt? Da werden sogar Richtlinien der Flugsicherheit als "Unsinn" abgetan, weil man die Sinnhaftigkeit einfach nicht begreift. Klar, da sitzen Experten zusammen und es etablieren sich weltweite Standards die regelmässig evaluiert werden, weil "die da oben die Passagiere in falscher Sicherheit wiegen wollen". Aber sonst ist noch alles fit im Kopf? Mal daran gedacht, dass Dinge auch dann funktionieren, wenn man selbst die Funktionsweise nicht durchschaut? Ihr glaubt doch auch nicht, dass Apple euch mit schwarzer Magie austrickst, weil ihr nicht erklären könnt, wie ein iPhone funktioniert... Mal daran gedacht, jemanden von der Flugsicherung, Flugstaffel, Flugbereitschaft, Airportfeuerwehr oder whatnot einfach zu fragen wieso das gemacht wird? Aber nein, in "Fight Club" hat ja mal einer gesagt das gibts nur, damit die Leute high werden vom Sauerstoff... ja klar.
Um den Kreis zum Topicbeginn zu schließen: Was "man selbst" Anstelle des Typen getan hätte ist völlig müßig zu diskutieren, weil niemand von uns an seiner Stelle war. Wir wissen nicht was exakt er gesehen hat, was er gedacht hat, wie das Licht und die Positionen waren und welche Mittel (physisch, charakterlich, materiell) er überhaupt verfügbar hatte. Insofern kann die Aussage "Er hat alles richtig gemacht!" für genau diese spezifische Situation durchaus zutreffen. Auch Chuck Norris hätte ggf. genauso gehandelt wenn er keine andere Lösung gesehen hätte. Sein konkretes Handeln in dieser konkreten Situation habe ich z.B. auch nie in Frage gestellt.
Was ich in Frage gestellt habe sind die Aussagen:
Erstens: "Aber Polizei sagt er hat alles richtig gemacht" als Argument dafür, dass er das tatsächlich getan hat. Das ist nämlich ein Fehlschluss, denn "Polizei" hat in dem Szenario schlicht keine andere Wahl als genau das zu sagen. Sie kann schlichtweg nicht vor die Presse treten und sagen "Unsere Experten halten es für 51% wahrscheinlich, dass er den Täter mit dem Taschenmesser hätte vertreiben können! PS: Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung ist raus! Trololo!". In JEDEM Statement über einen Fall bei dem am Ende beide Opfer am Leben sind, wird der Pressesprecher sagen "Alles richtig gemacht!". Auch wenn die interne Untersuchungskommission sich 100x an den Kopf gefasst hat wie man so dämlich sein konnte. Statements nach Aussen =//= Bewertung nach Innen. Könnt ihr akzeptieren oder anzweifeln, ändert nichts an der Tatsache, dass es so ist.
Zweitens: "So tragisch, da kann man gar nichts machen!". Denn das ist schlicht und einfach falsch. Denn mit anderer Vorbereitung im Vorfeld hätte man durchaus Mittel haben können. Ob man sie eingesetzt hätte hängt dann erneut von der konkreten Situation ab. Diese "Vorbereitungen" sind weder sinnfrei noch paranoid noch so aufwändig, dass man sich privat zum KSK-Elitekrieger ausbilden muss. Es geht entgegen den hier vertretenen "Gegenargumenten" (oder sollte ich sagen "Gegenüberzeugungen") überhaupt nicht darum, sich auf ein Level zu begeben um einen Angreifer "besiegen" zu können. Es geht nur darum, solche Sitationen von vorn herein zu vermeiden oder falls man doch hinein gerät, sich eine Fluchtmöglichkeit zu erarbeiten. Und das schafft man mit einfachen Mitteln auch gegen einen deutlich überlegenen Gegner, wenn man weiss wie und es vor allem geübt hat. Das anzuzweifeln zeugt von nichts weiter als mangelnder Erfahrung und fehlenden Kenntnissen auf diesem Gebiet.
Die krasse Einzigartigkeit des Falles ist dabei auch absolut gar kein Gegenargument zu einer vernünftigen Auseinandersetzung mit dem Thema persönliche Sicherheit. Schließlich würde niemand den Sinn von Airbags oder Sicherheitsgurten anzweifeln, nur weil sie im Falle des Zusammenstoßes mit einem dynamitbeladenen 40Tonner der mit 300km/h als Geisterfahrer einen Frontalcrash baut (währenddessen er von einer Atombombe getroffen wird) nichts mehr bringen. Ja, es gibt immer Fälle da wird man sich trotz Vorbereitungen dazu entschließen, die Füße still zu halten. Diese Option steht einem nämlich entgegen der Argumentation einiger Leute hier auch offen, wenn man sich vorbereitet hat. Oder man wird mit seiner Wahl scheitern. Aber so wie Sicherheitsgurte und Airbags (und Flugsicherheitshinweise!) in vielen Situationen Opfer verhindern, verhindert eben Widerstand oder couragierter Eingriff (besonders wenn er nicht völlig unvorbereitet kommt) eben auch Opfer von Verbrechen zu werden. Und genauso wie Airbags und Sicherheitsgurte schon Leute getötet haben, geht Widerstand manchmal schief. Tragik des Lebens.