Ich war ja bei Trumps erster Amtszeit noch eher genervt von den ganzen "Trump = Hitler" Schreiern. Der war natürlich da schon ne Katastrophe, aber da hatte ich zumindest das Gefühl, das System ist stabil genug, das auzuhalten. Das habe ich jetzt nicht mehr wirklich.
@Gustavo: Wie ist da deine Sicht auf die Dinge gerade?
Ich bin weiterhin ganz zuversichtlich. In gewisser Weise ist der Trend, der etwas wie das Trump-Phänomen erst ermöglicht hat gleichzeitig der, der ihn vermutlich daran hindern wird, das System völlig aus den Angeln zu heben: Die Leute sind schlicht sehr unzufrieden. Weil es in den USA nur zwei Parteien gibt ist die Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen immer gleichzeitig der Auftrieb für die Oppositionspartei (im Sinne der Partei, die nicht die Exekutive hält), aber das heißt nicht dass die Leute sich bewusst für Trumpismus entschieden hätten und es heißt auch nicht, dass man innerhalb von zwei bis vier Jahren das System so sehr angreifen, dass es effektiv keinen Unterschied mehr macht für wen man stimmt. Ich glaube zwar auch, dass das Ziel von Trumps Regierung (ob Trump selbst wirklich so ein konkretes Ziel hat glaube ich eigentlich gar nicht mal) es wäre, sowas wie das politische System Ungarns zu etablieren, aber wenn Leute diese Tatsache anmerken vergessen sie immer zu erwähnen, dass Orban in Ungarn halt auch tatsächlich immer die stärkste Kraft wird, ohne dafür auf Wahlbetrug oder ähnliches angewiesen zu sein. Für einen Trend hin zu den Republikanern gibt es keinerlei Anzeichen, im Gegenteil: Die Zahl derjenigen, die von Trumps Regierung wirklich überzeugt sind, schrumpft wenn überhaupt weiter.
Die zwei Trends, auf die man am meisten achten sollte, die eine systemische Gefahr wahrscheinlicher machen, sind für mich:
(1) Wahlsystem: Es ist unklar, wie weit die Republikaner die Wahlbezirke im Unterhaus noch gerrymandern können, aber ein bisschen Potenzial gibt es alleine dadurch dass im Süden bisher "majority-minority" districts existieren, mit denen sich die Republikaner bisher gut eingerichtet hatten, die man aber auch noch aufzubrechen versuchen könnte. Wenn die Republikaner mit deutlich weniger Stimmen insgesamt doch weiterhin eine knappe Mehrheit im Unterhaus sichern können und den Senat halten, weil dort die Demokraten einfach geografisch zu sehr benachteiligt sind, könnten die Repressionen tatsächlich anziehen.
(2) Zivilgesellschaft: Ich glaube man muss schon konstatieren, dass der Kapitalismus schlicht keine inhärente Barriere für autokratische Bestrebungen ist, auch wenn deren Fanboys das gerne unterstellen. Es gibt ein bekanntes Buch von Daniel Ziblatt wo er die Entwicklungen in Großbritannien und Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts vergleicht und zu der Erkenntnis kommt, dass die Konservativen die entscheidende Rolle spielen: Wenn sie sich mit den Radikalen verbünden ist die Demokratie in Gefahr (wie in Deutschland passiert, wo sie konsequenterweise auch gescheitert ist), wenn sie es nicht tun bleibt die Demokratie stabil (wie in Großbritannien). In den USA gibt es natürlich keine Großgrundbesitzer als konservative Eliten wie damals in Deutschland oder im UK, am ehesten ist die konservative Elite außerhalb der Partei dort die wirtschaftliche Elite. Dass es keinen inhärenten drive gibt, sich gegen autokratische Bestrebungen zu wehren, ist glaube ich ersichtlich, aber wenn es einen geschäftlichen Impetus gibt das zu tun dann glaube ich schon, dass sie das tun werden. Die Frage ist halt ob die Zivilgesellschaft ihn liefert.
Ein schönes Anschauungsbeispiel ist die Washington Post: Während der ersten Amtszeit von Trump waren die ungefähr auf 50% der Clicks die die NYT hat, da hatten sie sich deutlich gegen Trump positioniert. In der zweiten Amtszeit hat Bezos sich dafür entschieden, wegen seiner sonstigen geschäftlichen Interessen die Kritik zurückzufahren und die Post liegt aktuell nur noch bei 10% der Clicks, die die Times bekommt, weil das vorhandene Leserpotenzial mit der Linie nicht wirklich konform geht, sich die Post aber auch keine neuen Leser erschließt. Für die Post ist das mehr oder weniger egal, weil Bezos damit natürlich kein Geld verdienen muss, aber andere Betriebe die ostentativ mit der Regierung kooperieren können das in aller Regel nicht wegstecken.