Favoriten
Trotz Virus wurden fast alle Turniere veranstaltet, auch wenn die Bedingungen denkbar merkwürdig waren. Profitiert haben vor allem die etablierten Spieler, die entweder auf Erfahrung oder ihre Trainingsleistung aufbauen konnten. In der Eliteklasse gab es daher wenig Bewegung und die Favoriten sind mehr oder weniger klar.
1. Judd Trump
Judd Trump führt die Weltrangliste mit eisernem Griff an. In den letzten drei Jahren gewann er 16 Turniere, stellte dabei den geteilten Rekord von Stephen Hendry, Mark Selby und Ding Junhui (jeweils fünf Siege pro Saison) 2019/2020 ein und könnte ihn dieses Jahr wiederholen. Zu Anfang der laufenden Saison zeigte Trump kaum Schwäche, erst gegen Ende des Marathons in der ewig gleichbleibenden Arena zeigte er hier und da Schwächen. Allerdings gibt es sonst niemanden, der eine ähnliche Konstanz über Wochen und Monate aufweisen kann - weder die alte Garde, noch die Nachfolger konnten den Vorsprung im Ranking deutlich kleiner machen.
2. Selby und Robertson
Seit seinem letzten WM-Titel brach Selby erheblich ein und schnitt merkbar schlechter in den Turnieren ab. In den letzten 12 Monaten zeigte sich aber die Investition in sein Training und er kommt langsam wieder zu seinem Allround-Spiel zurück. Seine durchschnittliche Leistung langt normal für einen ersten Platz im Ranking, immerhin kamen mehrere Endrunden und zwei Titel dabei herum - allerdings 'nur' in der Home Nation Series. Dort allerdings sehr souverän und ohne große Fehltritte. Wie üblich, je länger die Distanzen sind, desto schwieriger wird es Selby zu besiegen. Dann braucht es schon einen erfahrenen Spieler wie Robertson, Trump oder Higgins. Insgesamt dürften Selbys Chancen auf einen vierten Titel steigen, je weiter er im Turnier kommt. Es könnte aber auch eine Erstrundenniederlage passieren, je nachdem, mit welchem Bein er früh aufsteht.
Robertson spielt diese Saison sehr unstet und setzt seinen Wankelmut der letzten zehn Jahren fort. Dennoch ist die Variation höher als bei Selby und ähnelt eher einem Sullivan: Entweder er spielt Durchschnittskost oder besser als jeder andere. Deswegen sitzt er auch auf Augenhöhe mit Selby: Mit zwei Titeln in der UK Championship und der Tour Championship, sowie zwei Silbermedallien sollte man mit dem Australier rechnen. Es gibt keinen Gegner, den er nicht völlig deklassieren könnte.
Egal auf welchen der beiden Trump stößt: Das wird der Benchmark für den Titel.
3. Sullivan und Kyren Wilson
ROS "muss" immer mit einberechnet werden. Als Titelverteidiger sollte er trotz seiner Kapriolen ernstgenommen werden - oder vielleicht auch gerade wegen seiner Unberechenbarkeit. Doch irgendwie fehlt es ihm schon länger, der "Negativrekord" von fünf Silbermedallien, eine davon gegen Jordan Brown, zeigt, wie instabil er geworden ist. Ob er wirklich auf langer Distanz mit Selby, Robertson oder Trump mithalten kann ist fraglich. Noch wahrscheinlicher wäre ein frühes Aus gegen einen eher noch weniger guten Spieler, dem er auf dem Papier überlegen sein sollte. Aber, alles ist möglich, vielleicht dreht er aufgrund seiner Persönlichkeit erst im Crucible auf.
Kyren Wilson, ähnlich wie ROS, gehört zu der zweiten Reihe der Favoriten. Auch er gewann zwei Titel in der laufenden Saison, allerdings jene Turnierformate, die man als willkürlich bezeichnen kann: die Pro Series und die Championship League. Kurze Distanzen und unterschiedliche Gegner liegen dem Waliser scheinbar, da packt er das ganze Können aus. Auch im Crucible schaffte er es letztes Jahr ins Finale, das könnte durchaus wieder passieren. Gefährlich ist er auf jeden Fall.
Im Gegensatz zu Trump, Selby und Robertson sinkt bei ROS/Wilson jedoch die Wahrscheinlichkeit besser als im Rest der Saison zu spielen.
4. Higgins / Junhui / MJW
MJW und Higgins sind immer gefährlich, beide spielen weiterhin "ihr Ding", völlig egal, was passiert. Higgins schaffte es in vier Jahren drei mal auf den zweiten Platz, warum jetzt nicht auf den ersten? Zwar unwahrscheinlich, aber wer weiß das schon.
MJW hat zwar wenig gezeigt, aber drehte gegen Ende der Saison auf. Drin wäre es schon.
Junhui ist das Fragezeichen schlechthin, seit Ewigkeiten "das Talent", seit Ewigkeiten muss er keine Angst haben. Allerdings spielte er so wenig, dass eine Einschätzung fast unmöglich ist.
5. Wildcards: Hawkins, Bingham, Lisowski, Un-Nooh, Gould, Gilbert, Jordan Brown und Jamie Jones
Dem Rest der Top 16 - Bingtao, Murphy, Maguire, Allen, McGill und Yuelong - spreche ich das Können nicht ab. Nur denke ich nicht, dass diese bei der aktuellen Form sonderlich viel reißen werden, was man ihnen nicht eh zutraut. Viertelfinale, eventuell noch Halbfinale, das war's dann aber wahrscheinlich auch (aufgrund dieser Vorhersage kriegen wir Bingtao vs. McGill im Finale und alle kotzen).
Bei Hawkins/Bingham wäre dennoch einiges möglich, jederzeit und immer. Sehr unkonstante Spieler, die gerade in Sheffield nochmals aufdrehen.
Un-Nooh und Lisowski sind schon länger am Anklopfen in puncto Titel - es wird zwar nie im Leben langen, aber als Vizeweltmeister könnte ich mir beide vorstellen.
Ähnliches für Gould und Gilbert, die "wieder am erstarken" sind und das nötige Rüstzeug mitbringen.
Letzlich hat Jordan Brown aus dem Nichts die Welsh Open mitgenommen, sich dort gegen ROS und Selby in Decidern behauptet. Auch da wäre ein Viertel- oder Halbfinale kein undenkbares Ereignis, wenn er sich denn qualifiziert. Auch Jamie Jones spielt unfassbar konstant und bringt die Erfahrung in der Weltklasse mit. Auch ihm ist ein Viertel- oder Halbfinale zuzutrauen.
Für den ganz großen Wurf sehe ich aber in dieser Kategorie aktuell keinen. Kann sich im Laufe der Woche noch ändern.