Zwischenfazit: Die ersten Turniere
Disclaimer: Ich habe derzeit wieder ein paar Tage Durchzug. Ich sitze hier mit Volumen-Internet der feinsten Sorte, hab keinen TV, DVDs, Radio mit exklusiv Bayern 3, und sonst nix. Entsprechend wird die Zeit in Artikel investiert, die keiner liest. Mist.
Die Snooker Saison nähert sich langsam der heißen Phase. Bislang wurde von der tatsächlichen Main Tour kaum etwas wichtiges gespielt, das International bietet lediglich den ersten hochwertigen Titel. Ansonsten gab es in Shanghai und Bendigo zwei mittel-wichtige Titel; wovon die Arenen im asiatischen Raum eher der Akquise neuer Märkte dienen, als schön-spielbare Events darstellen. Ein guter Zeitpunkt für ein Zwischenfazit mit Power Rankings.
Power Ranking
#1: John Higgins
Mit John Higgins hätte ich nicht mehr gerechnet, genauso wie die komplette Snookerwelt. Vor zwei Jahren steckte der Schotte noch in einem Formtief, war kurz davor weiter und tiefer als Maguire abzusacken, und wurde meist eher belächelt. Nun holte er die Welsh und Australian Open, sowie den Titel im International. Die ersten zwei Titel sind eher Nebenschauplätze, wenn auch wichtiges Geld für eine Top 16 Platzierung, der Titel letzten Sonntag katapultierte Higgins von einem „extrem guten“ Spieler definitiv zu „Legende des Sports“, laut Steve Davis ist Higgins der perfekte Pro, vom Matchplay nur mit Hendry selbst gleichzustellen. 28 Titel sprechen eine eindeutige Sprache. Bemerkenswert hierbei ist, dass Higgins in langen Distanzen sein Maximum ausschöpft, und nicht nur die Best of Sevens der PTC ausnutzen kann. Auch sollte erwähnt sein, dass er die Elite im International vorführte: Selby und Murphy (White Wash) spielten ihrem Niveau entsprechend, mit Xintong vernichtete er eines der stärksten chinesischen Talente (spielt quasi andauernd 138++ Breaks in Turnieren gegen Pros), und Holt und Gilbert sind auch alles andere als schwach diese Saison. Ganz große Leistung. Insgesamt ist Higgins damit definitiv einer der Favoriten auf die großen Arenen: Masters und UK Championship.
#2: Shaun Murphy
Obwohl Murphy eigentlich „nur“ in Fürth im Finale stand, ist er für mich der momentan stärkste Spieler nach Higgins. Da ist wie immer noch mächtig Raum nach oben, und seine Formkonstanz wird ihr übriges tun. Er wird definitiv mindestens einen Minor Titel holen, wenn nicht wieder die UK Championship oder ein ähnliches großes Ding holen. Mir passt der Spielstil immer noch nicht, aber er funktioniert. Nach dem WM Finale ist er nicht eingebrochen, und wurde meist von einem Finalteilnehmer besiegt. Der bleibt im Listing wo er ist.
#3: Mark Selby
Gleiches wie bei Shaun Murphy. Sieht man von seinem Lapsus in der Australian Open (lol gegen Jamie Jones verlieren) ab, dann hat er eigentlich extrem solide Leistungen gezeigt; er übersteht immer die ersten drei Runden, und es braucht ein Schwergewicht und kurze Distanzen um den Weltranglistenersten aus dem Rennen zu werfen. Imo war Selby vs Higgins das eigentliche Finale der International. Selby merkt man an, dass er erst Vater wurde und seine Dauerteilnahme an der Form zerrt. Heißt aber nix, sein B Spiel und die taktische Klasse langt für viele Titelgewinne.
#4 Allister Carter
Carter gehört, wenn es rein um die sportliche Leistung geht, an die Nummer 1 bis ans Ende der Saison getackert. Ich habe Anfang des Jahres selbst erlebt, was eine Chemotherapie mit einem Menschen anstellt, noch dazu in Kombination mit Lungenkrebs. Umso krasser ist es, dass er nicht nur die asiatischen Events mitspielte (und direkt ein Einladungsturnier gewann), und dann auch noch in Fürth als Sieger rausging. Dabei spielte er jetzt nicht gerade schlecht, sondern trat auf als ob er im Crucible um den Titel kämpfte. Dass er strategisch ein paar Tiefplatzierte deklassierte war quasi geschenkt, weil einfachster Aspekt für einen Elitespieler, aber das Breakbuilding war enorm; wirklich enorm. Die Leistung hält Carter und wäre mit Sicherheit auch in allen Turnieren weiter oben, wenn sein Seeding ihn nicht zwingen würde fast exklusiv gegen die Top 16 zu spielen. Imo ist übrigens so ein Top 16 Platz und ein Seeding für das Crucible für Carter durchaus drin. Hut ab, der Typ ist einfach mega und entwickelt sich für mich zu dem Übersympathisanten der Szene. Einfach ein Tier.
#5 Der Hundemann
Mark J Williams muss man einfach lieben, wer was anderes sagt ist erklärter Feind des Snooker. Ähnlich wie Higgins spielt er absolut befreit und geht mit sehr guter Form in die Turniere. Dabei macht er die kleinen Spieler nass und scheitert meist erst im Viertel- oder Halbfinale an der Weltklasse. Momentan wird’s wohl höchstens für ein kleines Maintourevent langen, aber immerhin. Der kann sich krankes Snooker aus dem Arsch ziehen, wenn es denn sein muss.
#6 Judd Trump
Mr. Shiny-Shoes ist ein Fragezeichen. In Shanghai zeigte er zumindest phasenweise wie krank er spielen kann, verpennte allerdings die erste Session gegen einen mehr als schaffbaren Gegner. Dann drehte er auf und verlor ganz knapp. Ansonsten spielte er solide, aber irgendwie ohne rechte Begeisterung: das Wunderkindsyndrom. Noch hat er nicht ganz so krasse Allüren und Ansprüche wie Sullivan, wandelt aber auf einem gefährlichen Pfad, wobei er leider das nötige Talent für so was hat. Wenn er sich endlich am Riemen reißt, dann grast er noch ein paar Titel ab. Momentan wieder mal die Kategorie brachliegendes Talent.
#7 Kyren Wilson
Bei dem Jungen hab ich Schwierigkeiten ihn irgendwo hinzusetzen. Er spielt die Saison schon hartes Matchsnooker, vor allem wenn es um kurze Distanzen geht. Wilson hebt sich vor allem von anderen Jungen ab, insofern er auch mal Safeties spielen kann, die durchaus fordernd sind. Allerdings ist sein Allroundspiel gar nicht in der Nähe eines Trump, Selby, Higgins, Williams oder sonstwelchen Routiniers; er ist eher so jemand, der in „naher Zukunft“ zur beständigen Top 16 gehören kann. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass er sein Pulver verschossen hat. Wird definitiv noch für mehrere TV Auftritte langen und sich langfristig für Viertelfinale qualifizieren. Dann wird man auch sehen, ob er sich gegen die Spitzenklasse halten kann.
#7/#8: Joe Perry / Barry Hakwins
Über die Personen kann man das selbe sagen. Erfahrene Profis, die sich nur selten Schwächen erlauben. Sind deutlich über der Masse, aber doch nicht so weit weg, als das sie wirklich zu den Favoriten der ganz großen Turniere gelten dürften. Perry spielt konstanter, aber ihm fehlt der Zug zum Titel (wie eigentlich immer), Hawkins hat dafür die höheren Absolutwerte, sieht man auch am Gewinn der ET 1. Denke die Herren wird man als Dauergäste in den Viertelfinals dieser Saison sehen, ob es für einen Durchbruch langt ist schwer abzuschätzen.
#9: Martin Gould
Rechnet man ein, dass Gould a) kaum Erfahrung hat, b) chronisch krank ist und c) nur sehr wenig in Turnieren spielt, ist er definitiv ein Underdog, aber ein extrem starker. Eine Finalteilnahme und direkt hohe Platzierungen in Fürth, ein extremes Breakbuilding und relativ starke Safequalitäten. Der Mann hat so viel Luft nach oben, dass ich ihm mehr so sehr gönnen würde. Ist auch ein ziemlich sympathischer Spieler, der gerne mal Emotionen zeigt. Gehört für mich zu der eigentlichen Top 16, jedenfalls eher als ein schwächelnder Maguire (
), Marco Fu oder... … Bob Milkins (
).
#10 Michael Holt
Ja, über Holt könnte ich mich seitenweise aufregen. Der war vor JAHREN mal echt, und zwar so richtig stark, dann hat er Niederlage nach Niederlage kassiert, stieg ab und ich dachte ernsthaft den kennen so wenige Leute wie einen Jamie Cope oder einen Joe Swail (die auch mal SEHR GUT waren). Ja ne, jetzt wird er von Terry Griffiths gecoacht und spielt die Saison seines Lebens. In meinem Anti-Team. Ach mann. Wenn der Herr nicht so mega lustig wäre, wäre ich jetzt noch angepisster.
#Close, but no cigar:
Ryan Day, Liang Wenbo, Matthew Selt
Flops der Saison:
Neil Robertson
Dazu muss man fast nix sagen. Im International hat er wohl relativ gutes gezeigt, ansonsten macht er eher so den Ding Junhui. Aber auf Twitter non-stop über FIFA und Hearthstone diskutieren. So was haben wir gerne.
Ricky Walden
Schade, eigentlich ein super Spieler. Stand zwar in der AT1 im Finale, aber da war ja sonst keiner, der auch irgendwie ähnlich gut gewesen wäre.
Stuart Bingham
Naja, „Flop“. Weltmeistersyndrom, kann man ihm nicht vorhalten. Allerdings Erstrundenniederlagen gegen Schwergewichte wie Yu Delu, Fergal o'Brien... oder Fergal o'Brien. Das kannste besser. Hoffe mal er sackt nicht ZU stark ab, wäre ungerecht, der WM Titel war verdient.
Xiao Guodong
Im WM-Team-Dings hat er Ding Junhui kompensiert: gegen die Weltklasse. Das ist keine Übertreibung, die hätten den Titel nie ohne Guodong geholt. So was von krank, so was von gut, so was von... „bald Top 16, mit Sicherheit“. Und dann verkackt er jedes einzelne Turnier weit unter seinen Leistungen.
Überraschungen
Tom Ford
Tom Ford ist für mich der Unglücksrabe schlechthin und ein ähnlich schlimmes Talent wie Ryan Day. Er hat alles, was es für eine Top 32 oder besser braucht, aber er schafft es nie das umzusetzen – obwohl es in dieser Saison gut ausschaut. Ernsthaft, wenn man dem zuschaut sieht man überdurchschnittlich viele Kicks, seltsame Bandenabschläge oder Flukes, die gegen ihn arbeiten. In der ET 1 stand er imo sehr verdient im Finale und spielte Bombe während der Shanghai Qualifiers. Hoffe es geht so weiter, der Mann hätte ein paar Erfolge so was von verdient.
Daniel Wells
Von dem hörte ich vor dieser Saison gar nichts, ist aber wohl Wales nächster Topspieler nach Michael White. In Fürth sah ich wirklich nur durch Zufall, dass #108 der Weltrangliste gegen McGill spielen sollte. McGill hatte absolut keine Chance, obwohl er sehr gut gegenhielt. Danach hat er Guodong vernichtet und scheiterte erst gegen Trump. Für einen Tourneuling schon sehr gut, mal gucken ob er in den nächsten PTC Events wieder so abgeht, er spielt ja relativ wenig.
Sean o'Sullivan
Der fiel mir letztes Jahr in Fürth schon auf – gegen Unbekannte spielt er furios, vom Stil her in etwa wie Judd Trump. Er reißt quasi Breaks von 70+ aus dem Nichts, in kürzester Zeit und fegt Amateure und Pros mit einem Ranking unter 50 vom Tisch. Sobald man die Leute allerdings „kennt“ ist er das Reh vorm Scheinwerferlicht. Sei ihm verziehen, er ist ja erst 10 oder so. Wird definitiv in 3-4 Jahren eine Rolle spielen, außer er wird von einem LKW überfahren.
Hammad Miah (a)
Gehört zu denen, die irgendwie kein Ticket für die Maintour haben. Ich glaube er hatte schonmal ein 1-Jahr-Pass für die Maintour, hat aber irgendwie nix gerissen. Stört ihn aber wohl nicht, da er sich über die PTC mit hoher Sicherheit wieder für zwei Jahre eintragen wird.
Mateusz Baranowski (a)
Polnischer Amateur, der in den europäischen PTCs echt viel reißt. Er hat quasi die englischen Amteure mit einer Beständigkeit besiegt, die für einen nicht-Inselbewohner schon überrascht. Mit McGill und Holt hatte er zwei Gegner, die er schon teilweise stark beschäftigte. Mit etwas mehr Erfahrung ist da noch Raum nach oben. Ist imo die europäische Hoffnung nach Kleckers.
Misc.
Referees
Irgendwie bekomme ich den Eindruck, dass die Amateurschiedsrichter immer seltsamer werden. Früher hatte man den alten deutschen Referee, der eigentlich super gechillt und richtig professionell war. Heute hat man die Turboblonde und den Elton, die beide wirklich Diktatoren der Arena sind. Rein vom professionellen ist die Frau fraglos unantastbar, Elton etwas weniger. Allerdings hauen die mittlerweile so was von aufs Publikum, im Sinne von „Alter, der hat abgeschmatzt. BÄM“.
Statements
Verwandt dazu erschien gestern ein Artikel auf InsideSnooker, der über die Statements der Spieler auf Twitter und sonstige Medien abzielte, imo mit sehr interessantem Inhalt. Barry Hearn hat wohl alle Spieler aufgerufen „mehr Emotionen“ zu zeigen, bestraft sie aber dafür konsequent. Es geht darum, dass immer mehr Pros besonders die Tische kritisieren, speziell wenn es um Asien geht. Im Endeffekt wäre das auch die beste Kritik überhaupt, die Pros wissen wohl noch am ehesten wie ein Tisch sein sollte, mehr als Organisatoren oder Reporter. Dumm nur, dass sich Sponsoren angegriffen fühlen und jetzt die Spieler mit Strafen für solche Äußerungen belangt werden. Es ist paradox, v.a. Wenn man die Statements gelesen hat – die waren wirklich nicht schlimm. Hearn ist streckenweise schon etwas lächerlich in seinen Entscheidungen, glücklicherweise aber auch sehr effektiv.
Weltrangliste
Die Weltrangliste wird sich in den kommenden Monaten teilweise erheblich verändern, da viele Preisgelder abgezogen werden: Die Zweijahresfrist kommt für die internationale Spitze immer näher.
Im Kampf zwischen Bingham und Selby bedeutet das etwa, dass Selby auf sein Preisgeld der WM verzichten muss – momentan führt er mit astronomisch hohen 280.000 Pfund, was auf 30.000 schrumpfen wird. Da Bingham allerdings in der Saison vor sich hinkrebst wird Selby aller Vorausicht nach die Spitze weiter halten, er kann noch sein Geld aus Berlin (50k ?) eine halbe Ewigkeit halten, sowie die sechs Minortitel, die insgesamt auch um die 100k kommen dürften.
Richtig abkacken wird Ding Junhui – 2013 gewann er seine fünf Titel, die alle verschwinden werden. Danach kam gar nichts mehr und erst dieses Jahr die mageren 15k Pfund für die AT1 Finale. Er ist quasi definitiv aus den Top8 und nimmt langsam kurs auf Top32. Er kommt langsam in Zugzwang.
Was mich etwas stört ist Ronnie o'Sullivan. Er wird nicht an der UK Championship oder dem Champion of Champions teilnehmen; da er allerdings den UK Titel hält, wird er knapp in den Top 8 bleiben – wo er nicht hingehört. Hat was mit den Seedings zu tun. Theoretisch sollte man die Leute hochbefördern, so … fairness blabla, macht man aber nicht. Wenn es hart auf hart kommt friert er so sein Ticket ins Crucible auf zwei Jahre ein, was irgendwie nicht Sinn der Sache sein sollte.
Die PTC Rankings werden für jene Spieler wichtig, deren Profi-Lizens Ende der Saison auslaufen wird. Die Top 8 der ET und die besten zwei der AT werden ein 2-Jahres-Ticket gewinnen; das ist schon viel wert, da es ziemlich schwer ist anderswo eins zu gewinnen und meist auch mit Kosten ohne Ende verbunden ist. Die Kandidaten sind momentan: Leo Fernandez (a), Zhang Anda, Stuart Carrington, Ian Burns, Thor Chuan Leong, Lee Walker, Scott Donaldson, Aditya Mehta, Hammad Miah (a). Bei Carrington, Leong, Donaldson und Walker sehe ich eher schwarz, Anda, Miah, Mehta und Fernandez werden sich normal ohne Probleme qualifizieren, zur Not auch über Umwege.