Hat hier jemand intimeren Einblick in die tatsächlichen Abläufe? Oder spekulieren alle?
Ich kenne jemanden sehr gut, der Berufspolitiker und Landesminister in Hessen war und habe aus Gesprächen einen sehr guten Einblick, wie der Arbeitsalltag auf Landesebene aussieht.
Sicherlich ist der Minister nur ein kleines Rad im großen Uhrwerk, dennoch muss er bei der Besetzung seiner Top-Posten im Ministerium doch eine fachliche Einschätzung des Delegierten haben, oder nicht?
Wo wir schon bei Vergleichen zur realen Wirtschaft sind (eigentlich wollte ich es vermeiden), ein leitender Geschäftsführer der die Besetzung seiner Posten so dermaßen in den Sand setzt, dass die eigentlich gesteckten Ziele komplett vergeigt werden, muss seinen Hut schneller nehmen als er ihn am Ständer anhängen kann.
Von "in der echten Welt gibt es Problem X" zur Lösung ist es aber EWIG weit. Man bedenke alleine Folgendes:
1. Die Politik muss ein Problem überhaupt prinzipiell lösen können.
1a. Ist das Problem politischen Lösungen überhaupt zugänglich?
1b. Hat die Politik die gesetzliche Kompetenz, es zu lösen?
1c. Wenn die Politik die gesetzliche Kompetenz hat, wie steuerungsfähig ist sie in Frage von Problem X?
2. Wenn sie es lösen wollen. Was du und ich als Problem sehen, ist vllt. für jemand anderes vorteilhaft oder wünschenswert (oder beides).
3. Wenn sie es prinzipiell lösen kann und will, müssen auch die politischen Rahmenbedingungen stimmen:
3a. Gibt es genug Geld, um Problem X zu lösen?
3b. Wenn das Problem eine Gesetzesänderung erfordert, gibt es dafür eine Mehrheit in der Fraktion? Beim Koalitionspartner? Wenn es zustimmungspflichtig ist, gibt es eine Mehrheit im Bundesrat?
4. Gibt es den Willen, "politisches Kapital" dafür auszugeben?
4a. Gibt es wichtige Gegner in der eigenen Fraktion?
4b. Gibt es wichtige Interessengruppen, die dagegen agitieren würden?
4c. Lässt sich das Thema politisch durch den Gegner ausschlachten?
Effektiv brauchst du als Minister bei jeder mittelgroßen Änderung die Zustimmung von zig Personen, die alle mitreden wollen: Den Politikern in den Fachausschüssen, den Themenpolitikern in deiner Fraktion (und der des Koalitionspartners) usw. usf. Viele klassische Probleme der Politik passen nicht in den politischen Konjunkturzyklus: Abstrakt wollen fast alle, dass man dafür mehr Geld ausgibt, aber die Erträge fallen erst in ein paar Jahren oder sogar Jahrzehnten an, bis dahin könnte man aber längst abgewählt sein, weil die Wähler erwiesenerweise relativ kurzfristig denken. Aber vielleicht ist Problem X für den Gegner ja gar kein Problem, also muss man an der Macht bleiben, sonst würde gar nichts gelöst, also macht man Kompromisse. Ob ein Minister jetzt genau Bescheid weiß, wie die jeweilige Lösung funktionieren soll, ist dafür unerheblich, weil er bei den wirklich wichtigen Entscheidungen sowieso immer überstimmt werden würde, wenn er sich gegen die Interessen seiner Partei stellt. Die Probleme, die ein Minister mehr oder weniger alleine entscheiden kann, sind in der Regel Probleme, von denen du und ich gar keine Notiz nehmen, außer irgendetwas geht ordentlich schief. Das ist alles andere als einfach und alleine mit analytischer Fähigkeit ist es da nicht getan: Politik ist kein Denkwettbewerb und die meisten Leute, die als "Experten" in die Politik gehen, gehen baden weil man andere Kompetenzen braucht als in der freien Wirtschaft oder in der Wissenschaft.
Ohne dir zu nah treten zu wollen, aber es ist halt schon auch eher eine infantile Sicht zu denken, dass Politik "funktioniert"
Hast du schon mal in einem Land gelebt, wo Politik tatsächlich nicht funktioniert? Wenn du hier einen Zaun um dein Grundstück ziehen willst, musst du jedenfalls nicht mit Bakschisch zur Gemeinde und falls du glaubst dass dir Unrecht getan wird kannst du gegen alle Entscheidungen klagen. Versuch das mal in einem Land, wo Politik tatsächlich nicht funktioniert.